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Ein anderer Blick auf das Neue Bauen
Neue Zürcher Zeitung

Architektinnen der Moderne in Hannover

Nur wenige weibliche Namen sind mit der Architekturgeschichte der Moderne verknüpft. Eine Ausstellung im Kestner Museum und am Sitz der Architektenkammer in Hannover, die aus einem umfangreichen Forschungsprojekt hervorgegangen ist, wirft Schlaglichter auf den weithin vergessenen Anteil, den Frauen am Neuen Bauen hatten.

14. März 2005 - Hubertus Adam
An den Architekturfakultäten im deutschsprachigen Raum studieren heute etwa gleich viele Frauen wie Männer. Doch das Bild verändert sich, wenn man auf deren spätere Tätigkeiten blickt. Der Erfolg singulärer Persönlichkeiten wie Zaha Hadid kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bereich der Architektur noch immer weitgehend eine männliche Domäne ist. Das reicht vom Geschehen auf der Baustelle bis zum Lehrbetrieb der Universität, wo für Frauen die Karriereleiter oft mit der Assistenzstelle endet. Und wenn sie ein eigenes Büro eröffnen, dann meist zusammen mit einem männlichen Partner.

Erst vor gut hundert Jahren erhielten Frauen die Möglichkeit, ein Architekturstudium aufzunehmen. Emilie Winkelmann, die in Hannover studierte, gilt als eine der Protagonistinnen. Doch als sie 1906 ihr Diplom machen wollte, wurde ihr dies verweigert; erst 1908 führte Preussen das Architekturdiplom für Frauen in den Technischen Hochschulen ein. Nun ist im Kestner Museum Hannover und im früheren Wohnhaus des Klassizisten Georg Ludwig Friedrich Laves, heute Sitz der Architektenkammer Niedersachsen, eine Ausstellung zu sehen, die sich unter dem Titel «Die Neuen kommen!» mit Architektinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Im Rahmen eines mehrjährigen, breit angelegten Forschungsprojektes an der TU Braunschweig haben die Architekturhistorikerinnen Ute Maasberg und Regine Prinz Grundlagenforschung betrieben. Denn nur die Namen weniger Architektinnen verbinden sich rückblickend mit der Baukunst der zwanziger Jahre - in Deutschland mag man an Lilly Reich oder an die Erfinderin der Frankfurter Küche, die Österreicherin Margarete Schütte-Lihotzky, denken, in der Schweiz an Lux Guyer und Flora Crawford-Steiger, in Frankreich an Charlotte Perriand oder Eileen Gray.

Grundlagenforschung

Dass dieser Blick auf einige wenige Prominente einer dringenden Revision bedarf, ist das Resultat der vorbildlichen Arbeit von Maasberg und Prinz. In einer weitgehend auf den deutschsprachigen Raum konzentrierten Datenbank, die sukzessive aktualisiert und demnächst auch im Internet zugänglich sein soll, konnten sie gut 1300 Frauen erfassen, die vor 1933 eine Ausbildung im Bereich der Architektur oder verwandter Disziplinen erhielten. Das Gros der Studentinnen gehörte den Geburtsjahrgängen 1890 bis 1910 an, und für die meisten bedeutete der Beginn der Nazi-Diktatur einen entscheidenden Knick in der Karriere. Teils war es das Verbot der Doppelverdienerschaft für Ehepaare, teils waren es die Wirren des Krieges, welche eine weitere Berufstätigkeit verhinderten. Viele Frauen mussten zudem emigrieren; nicht wenige der Studentinnen, so zeigen die Untersuchungen, waren Töchter aus jüdischen Familien. Als attraktivste Studienorte galten München, Berlin und das Bauhaus. Obwohl Walter Gropius die gleichwertige Behandlung der Geschlechter in seiner Weimarer Begrüssungsansprache vom April 1919 gefordert hatte, sah die Realität anders aus: Mit sanftem Druck drängte das Lehrpersonal die meisten Studentinnen in die Weberei ab. Erschwerend kam hinzu, dass in der Weimarer und Dessauer Zeit keine geregelte Architekturausbildung am Bauhaus existierte.

Die Materialfülle machte eine kluge Auswahl nötig. So stellt die aus der Untersuchung hervorgegangene Begleitpublikation - anschliessend an einige thematische Kapitel - die Lebensläufe von ungefähr 30 Architektinnen exemplarisch vor, und die Ausstellung mischt Dokumente verschiedener Art. Zu sehen sind Zeichnungen, Publikationen, Modelle, Fotos, aber auch Objekte wie die Metallarbeiten der Bauhaus-Schülerin Marianne Brandt oder eine komplette «Frankfurter Küche», die von Margarete Schütte-Lihotzky für Ernst Mays Wohnungsbauprogramm des «Neuen Frankfurt» entwickelt und in einer Stückzahl von rund 10 000 produziert wurde.

Frauenschicksale

Die eindrucksvollsten Exponate aber sind die häufig erst im Verlaufe der Recherchen entdeckten Objekte, welche Schlaglichter auf bis heute von der Architekturhistoriographie weitgehend ignorierte Karrieren werfen. Beispielsweise auf jene von Paula Marie Canthal, die mit ihrem Kommilitonen und Mann Dirk Gascard Ende der zwanziger Jahre in Berlin als Shootingstar der Architekturszene galt und sogar in den Illustrierten gefeiert wurde. Wettbewerbserfolg reihte sich an Wettbewerbserfolg; nach 1933 ermöglichte der Auftrag des Maharadschas von Indore für einen Luxuszug Canthal die Emigration nach England. Immer noch wenig bekannt ist auch die 1898 geborene Friedl Dicker, die nach ihrem Studium am Bauhaus mit ihrem Lebensgefährten Franz Singer ein Büro eröffnete und in Wien einige multifunktional-konstruktivistische Wohnungseinrichtungen kreierte, die sich durch ein grosszügiges Raumverständnis vom Purismus des Bauhauses absetzten. Nach der Besetzung Tschechiens, wohin sie vor den Nazis geflohen war, erfolgte die Internierung im Ghetto Theresienstadt; 1944 wurde Friedl Dicker in Auschwitz ermordet.

Kath Both, die zunächst an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, dann am Bauhaus in Dessau studiert hatte, begab sich nicht in die Selbständigkeit, sondern arbeitete als Angestellte in Architekturbüros - zunächst bei Luckhardt & Anker in Berlin, dann bei Otto Haesler in Celle. Für Haesler konzipierte sie Innenausstattungen und Minimalwohnungen, entwarf aber auch einige Projekte eigenständig, so die vor wenigen Jahren abgerissene Jugendherberge im norddeutschen Müden an der Oertze. Ausstellung und Katalog widmen sich aber nicht allein den praktisch tätigen Architektinnen der Zeit, sondern richten ihren Fokus auch auf jene Personen, welche das Neue Bauen in anderen Sektoren flankierten. Erinnert wird an die Fotografinnen Marianne Breslauer, Lotte Jacobi und Lucia Moholy sowie an die Filmerin Ella Bergmann-Michel, deren Nachlass das Sprengel-Museum Hannover aufbewahrt. Aufschlussreich für einen anderen Blick auf die Moderne ist, dass Bergmann-Michel nicht die radikalästhetische Programmatik in Szene setzte, sondern die Bauten des «Neuen Frankfurt» im Alltagsgebrauch zeigte.

Schliesslich geraten auch Publizistinnen als Protagonistinnen der Wohnreform ins Blickfeld. Hildegard Schwab-Felisch zählte mit ihrem Mann Alexander Schwab zu den wenigen Wegbegleitern, welche die Moderne wohlwollend, aber durchaus kritisch analysierten. Und die Ökonomin Erna Meyer postulierte mit ihrer Zeitschrift «Neue Hauswirtschaft» die Lebensführung auf rationeller Basis und publizierte eine Reihe von Berichten über vorbildliche Bauten der Moderne. 1933 nach Palästina ausgewandert, setzte sie ihre volkspädagogische Tätigkeit fort und veröffentlichte bald darauf «Wie kocht man in Erez Israel» als Kochbuch für Emigranten.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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