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Jubiläum ist immer
Der Standard

Anlässlich des bejubelten Jahres 2005 startet das ALBUM eine kleine Serie (Teil 1) über österreichische Architekten, die Bejubelung gezwungenermaßen im Ausland erfuhren - und begibt sich zuerst auf verwischten Spuren von Emigranten in den USA.

19. März 2005 - Ute Woltron
Und gleich noch ein Jubiläum: Vor genau zehn Jahren eröffnete in der Wiener Kunsthalle am Karlsplatz eine sperrige, wenngleich sensationelle Ausstellung, deren Highlight ein wissenschaftlich erarbeiteter Katalog war: Die Schau „Visionäre & Vertriebene“, kuratiert von den einschlägig als überaus wissensreich bekannten Herren Matthias Boeckl, Otto Kapfinger und Adolph Stiller, machte eine Tür in die Vergangenheit auf, die jahrzehntelang sorgfältig verschlossen gewesen war.

Man hatte sich gemeinsam mit Historikern und anderen Spezialisten auf die „österreichischen Spuren in der modernen amerikanischen Architektur“ begeben, hatte jahrelang in Archiven gewühlt, letzte Zeitzeugen aufgestöbert und eine dicke Decke meist übel riechenden historischen Staubes abgetragen.

Was zutage kam, „war eine Menge Vergangenheit, die da die große Flucht in die Zukunft unternahm“, schrieb Adolf K. Placzek in der Vorrede, „aber auch eine Menge Zukunft, die da ihre Vergangenheit rettete; und eine Menge, die verloren gehen musste, aber wenigstens dem Gedenken nach wiederaufgerufen wurde“.

Wie viele der - zumindest - 5000 Künstler und „Kreativen“, die nach 1938 das Land verließen, Architekten waren, bleibt im Dunklen. Die meisten Spuren haben sich verloren und wurden zu einer Zeit, als man sie noch hätte aufspüren können, von der Zweiten Republik geflissentlich übergangen, um nicht zu sagen übertrampelt.

Das offizielle Österreich schenkte nur ganz wenigen der vertriebenen Architekten nach 1945 flüchtige Momente der Beachtung. Im Gegenteil: Karl Renner hatte schriftlich klargemacht, dass das „massenhafte plötzliche Zurückfluten der Vertriebenen zu verhüten“ sei.

Engstirnige Provinzialität auch in den Nachfolgegenerationen: Die Wiener Architektenkammer etwa entblödete sich im Jahr 1970 nicht, den 1938 nach New York geflüchteten Victor Gruen nach dessen Rückkehr nach Wien vor das Handelsgericht zu zitieren. Man warf ihm, der in den USA ein Planungsbüro von 300 Mitarbeitern etabliert und sich buchstäblich Weltruhm erbaut hatte, vor, die Bezeichnung „Architekt“ zu Unrecht zu führen.

Victor Gruen, den wir hier als den wohl erfolgreichsten Architekten im Exil unter vielen anderen herauspicken, war ein 165 Zentimeter kleiner, dialektisch wie fachlich mit allen Wassern gewaschener Koloss. Er zog es vor, sich auf sich selbst und nicht auf Anwälte zu verlassen, erschien persönlich vor den Wiener Richtern und entschied die Causa letztlich nonchalant für sich. Das Goldene Verdienstzeichen der Republik bekam er 1980, zwei Jahre vor seinem Tod, und zwar für sein „Amerika und Europa verbindendes Lebenswerk“.

Gruen steht exemplarisch für jene, die dem tödlichen Naziregime in der Blüte ihrer Schaffenskraft entgingen und auch die nötige Jugend und Zähigkeit besaßen, andernorts die Trümmer ihrer ersten Existenz zum Fundament einer neuen Karriere zu machen. Älteren, womöglich etablierteren Kollegen wie Josef Frank, Oskar Wlach und Walter Sobotka gelang dieser Neubeginn nur begrenzt.

Doch zurück zu Gruen: Noch im März 38 hatte er seinem Freund Jura Soyfer seine Skiausrüstung vermacht und ihn zum Wiener Westbahnhof gebracht, er selbst verließ das Land im Mai und nahm lediglich Bücher und die wichtigsten Dokumentationen seiner Architekturprojekte mit auf den Weg.

Letztere stellten die Basis für eine zweite Karriere dar, die ihn rasch zu einem der wichtigsten Planer der USA werden ließ. Gruen geht in die Architekturgeschichte nicht nur als Erfinder des Einkaufszentrums ein. Seine Arbeiten und seine brillant zu Papier gebrachten Theorien veranschaulichen die Kraft, die durch Verschmelzungsprozesse verschiedener sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Sichtweisen entsteht und die nur in Menschen zu Hause sein kann, die jene freiwerdenden Energien, die sich durch Gefälle von Unterschiedlichkeiten ergeben, intelligent in ganz Neuem aufzufangen verstehen.

Wie viele andere auch fand Gruen erst einmal in ebenfalls Emigrierten seine Auftraggeber in der Neuen Welt. Im Gegensatz zu Wlach, Sobotka, Felix Augenfeld und Hans Adolf Vetter gelang es ihm allerdings, diese Kreise rasch auszuweiten. Er wurde zum wichtigsten Städteplaner der USA, erfand die Shoppingmall (erstmals ausgeführt mit dem Northland Shopping Center, 1954), exportierte sein Können nach Asien und Europa und lieferte, 1967 nach Österreich zurückgekehrt, das bis heute innovativste Konzept zur „Revitalisierung der Wiener City“, das allerdings nur in Bruchteilen realisiert wurde. Dass Graben und Kärntner Straße heute Fußgängerzonen sind, ist jedenfalls seinem Konzept zu verdanken.

Obwohl Gruens Klientel der großen Handelsunternehmen gewissermaßen Speerspitzen des Kapitalismus darstellten, verlor er selbst nie soziale Anliegen aus den Augen. „Die Aufgaben und Probleme, denen der Architekt heute gegenübersteht, sind größer und bedeutender als je zuvor“, schrieb er 1971. „Um sie zu erfüllen, muss er erkennen, dass er es mit einem neuen Klienten zu tun hat - mit der menschlichen Gesellschaft.“

34 Jahre später liest sich erstaunlich aktuell, was er noch zu verkünden hatte: "Wenn sich eine Berufsgruppe vom zeitgenössischen Leben isoliert, so finden sich bald andere, welche die frei gewordene Lücke füllen. Genau das geschieht auf dem Gebiet der Gestaltung unserer vom Menschen geschaffenen Umwelt.

Diese Aufgabe wird nicht mehr vom Architekten wahrgenommen, sondern von Ingenieuren, von Verkehrsspezialisten, von Spekulanten, Verwaltungsberatern, Wirtschaftsfachleuten und anderen Experten, die durchwegs Scheuklappen gegen die Wissensgebiete anderer tragen. Das Ergebnis dieser zahllosen, aber unkoordinierten Bemühungen ist katastrophal. Der Architekt wird in zunehmendem Maße ausschließlich als Berater herangezogen, als „Spezialist“ für Innen- und Außendekoration."

Gruen, wie gesagt, war nur einer von vielen, die ihre Spuren in der internationalen Architekturgeschichte zogen und die zum Teil in der Publikation Visionäre & Vertriebene. Österreichische Spuren in der modernen amerikanischen Architektur (Verlag Ernst & Sohn, Berlin) so gründlich nachverfolgt wurden. Bedauerlicherweise ist das Buch längst vergriffen, eine Neuauflage ist nicht in Sicht.

Herausgeber Matthias Boeckl würde, so es Forschungsgelder dafür gäbe, eine Vertiefung und Ausweitung des Themas sofort in Angriff nehmen: Welche Spuren hinterließen Leute wie Walter Loos in Argentinien, Harry Seidler in Australien, Josef Frank in Schweden, Margarethe Schütte-Lihotzky in der Sowjetunion, Clemens Holzmeister in der Türkei? Wieder wurden hier ungerechterweise nur die Prominentesten genannt.

Jubiläen gibt es also sonder Zahl, wenn man sie schon nicht feiert, so sollte man ihrer doch wenigstens gründlich gedenken.

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