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Dickschädlige Tüftler
Der Standard

Roland Hagenbergs subtile Interviews und Fotos zeichnen überraschende Bilder japanischer Architekturzeitgenossen.

14. Mai 2005 - Ute Woltron
Als der österreichische Fotograf und Autor Roland Hagenberg den japanischen Architekten Hiroshi Naito in seinem Atelier in Tokio besuchte, um ihn zu interviewen und zu fotografieren, bemerkte er zu seinem Erstaunen, dass die Fenster in Naitos Office nur einfachverglast waren. Ob ihn, einen Architekten, das nicht störe, fragte er den Japaner erstaunt. In Europa gebe es Einfachverglasung aus Gründen der Energiehaushaltung so gut wie überhaupt nicht mehr.

Naito antwortete milde Folgendes: „Ich stimme mit Ihnen in dieser Frage nicht überein. Sie beziehen sich auf eine sehr westliche Vorstellung von moderner Architektur, die sich im Grunde damit befasst, eine Box zu konstruieren und deren Inneres zu kontrollieren. In dieser von Kontrolle regierten Architektur verwenden die Menschen Airconditioners, Heizungen und Doppelverglasungen. Das mag Energie sparend sein, aber nicht ökologisch. Wirklich ökologische Architektur sollte sich zu den Außenräumen öffnen, und in diesem Zusammenhang könnte ich einen neuen Stil sehen, der sich für das 21. Jahrhundert entwickelt.“

Es stimme auch, fuhr Naito fort, dass viele „Westerner“ dächten, die japanischen Wohnstandards wären niedrig, die Wohnungen zu klein. Doch Japanern wäre der Maßstab traditionell nicht so wichtig wie die Art und Weise, mit der Häuser mit ihrer Umgebung kommunizierten, sich nach außen öffneten.

Hoppla. In einer Architektur- und Medienwelt, die von glatten Bildern und geschliffenen Projektbeschreibungen geprägt ist, kommt Hagenbergs kleine, ausgesprochen schön gemachte Publikation 14 Japanese Architects (Details siehe Tokioräume) mit Zitaten wie diesem einigermaßen kantig daher. Ständig stolpert man bei der Lektüre über Aussagen, die scheinbar Grundsätzliches in der Architektur lässig hinterfragen und die gehörig zum Nachdenken anregen.

Tadao Ando, zum Beispiel, einer der elegantesten Planer des Inselreiches, antwortet auf die Frage, wie er dem elementaren Gefühl der Angst begegne, so: „Ich war früher Boxer. Boxen kann töten. Ich konnte nicht essen. Ich konnte nicht schlafen. Ich übergab mich. Ich lebte in ständiger Angst, also meditierte ich. Heute, als Architekt, fühle ich immer noch Angst. Kann ich große Ideen entwickeln, wundervolle Pläne zeichnen und dann in eindrucksvolle Gebäude umsetzen? Und all das allein, in Einsamkeit. Was, wenn das Gebäude schlecht wird? Bekomme ich dann noch eine Chance? Und wenn nicht, was wird aus meinen Mitarbeitern? Als Boxer habe ich gelernt, dass ich allein entscheiden, handeln und die Verantwortung tragen muss. In diesem Sinne ist das Leben eines Boxers und eines Architekten ähnlich.“

Unter den 14 Architektinnen und Architekten, die Hagenberg über mehrere Jahre hinweg auf Baustellen, in ihren Büros und in fertig gestellten Architekturen aufgesucht, interviewt und fotografiert hat, finden sich Berühmtheiten wie Arata Isozaki, Kenzo Tange, Shigeru Ban, Toyo Ito. Doch auch die hier zu Lande weniger bekannten Planer spinnen in den Gesprächen mit dem Autor interessante Gedankengebäude, die sich wie eine Bandstadt aneinander reihen und durchaus andere Zugänge zum Planen, Bauen und Leben veranschaulichen.

In Japan, sagt Kazuyo Sejima (SANAA), würden die zeitgenössischen japanischen Architekten als Internationalisten angesehen. Im Ausland hingegen preise man ihre charakteristisch japanische Handschrift. Kisho Kurokawa wiederum erläutert die japanische Aggression, mit der Elemente fremder, womöglich bewunderter Kulturen traditionell einverleibt und modifiziert werden: „Wir verdauen es, aber wir bleiben dabei japanisch.“

Arata Isozaki erklärt, dass Architektur nicht zu dominant und schön sein dürfe, weil sonst die Menschen darin ihr eigenes Leben nicht ausreichend entwickeln könnten. Und Hiroshi Naito sagt: „Wenn ich ein Gebäude fertig gestellt habe, dann lasse ich es gehen. Es stört mich nicht, wenn die Leute es auf eine andere Art nutzen, als ich ursprünglich geplant hatte, oder wenn sie es verändern, um sich darin komfortabler zu fühlen.“

Jedes der 14 Interviews ist spannend, erfrischend und überraschend. Und auch die dazugehörigen Fotos sind höchst individuell und ungewöhnlich. Hagenberg erlegt ohne Belichtungsmesser und ohne viel Tamtam Augenblicke, „Sekunden, in denen der Charakter eines Menschen brach da liegt“. Ando, beispielsweise, würde viel Wehmut und Sanftmut vermitteln, „die ständig mit seiner Boxerseele ringen, denn gleichzeitig hat man den Eindruck, er will dir eins in die Fresse hauen, weil du ihm als Interviewer die Zeit stielst“.

Hagenberg beobachtet die japanische Architekturszene seit 1995 genau, er meint: „Hier sind dickschädlige Tüftler am Werk, die mit vier Stunden Schlaf pro Tag auskommen, Tiefschläge von Kunden, Baulöwen und Politikern einstecken, nur um ihre Universen realisieren zu können. Der Andrang von Jungarchitekten, die bei einem der Stars arbeiten wollen, ist so groß, dass fast alle umsonst arbeiten - und dann auch unter dem Arbeitstisch schlafen.“

Seit drei, vier Jahren würden die Baukünstler hier plötzlich wie Popstars gehandelt: „Sie erscheinen auf Covers von Modemagazinen, die Grenzen zwischen Fashion und Architektur sind gefallen.“

Gleichzeitig kommt jeder einzelne der Interviewten irgendwann einmal auf das Thema Natur zu sprechen, die in der japanischen Architektur trotz des allgegenwärtigen und nirgendwo kunstvoller verarbeiteten Baustoffs Beton stets gegenwärtig ist. Hiroshi Naito erinnert sich an seinen Großvater, der täglich frühmorgens - auch bei Minusgraden - eiskalte Bäder im Freien zu nehmen pflegte, um sich abzuhärten. Und Jun Aoki träumt von einem neuen, fantastischen Material, das ihn schützen könne wie eine Haut, das sich anpasse, je nach Gegebenheit hart oder weich wäre, wärmend oder kühlend, das sich zu einem kleinen Raum ausdehnen würde, vielleicht sogar in eine Psychosphäre, die ihn vor negativen Emotionen abschirme. „Die Möglichkeiten“, sinniert er, „sind endlos wie die Natur selbst, in der Pflanzen und Tiere ihre eigenen Schutzmechanismen über Jahrmillionen entwickelt haben.“

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