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Selbstbewusste Monumente
Neue Zürcher Zeitung

Anzeichen einer neuen Blüte der Synagogenarchitektur in Deutschland

Schon in den ersten Jahrzehnten nach Krieg und Shoah entstanden in Deutschland einige beachtenswerte Synagogen. Doch erst die Zuwanderung aus Osten bewirkte eine zaghafte Blüte des jüdischen Sakralbaus. Davon zeugen Synagogen in Chemnitz, Dresden oder Duisburg sowie bedeutende Projekte für Mainz und München.

21. Mai 2005 - Roman Hollenstein
Eine Welt der Toleranz, der vielen Wahrheiten hat die Europäer von jeder Vormundschaft des Glaubens befreit. Trotz der damit einhergehenden Schwächung der religiösen Institutionen erlebt die Sakralarchitektur seit Jahren eine Blüte - zumal, was den formalen Reichtum neuer Bauten anbelangt. Denn Künstlerarchitekten können sich hier wie kaum anderswo entfalten und ihre Projekte durch mystische Stimmungen und poetische oder metaphysische Dimensionen adeln. Während aber seit den achtziger Jahren von Portugal bis Finnland aussergewöhnliche Kirchen entstanden, blieb es um die Synagogenarchitektur lange eher still. Wohl wurden seit dem Zweiten Weltkrieg auch in Europa jüdische Sakralbauten errichtet. Spektakuläre Bauwerke wie Angelo di Castros Synagoge in Livorno (1962), eine hochexpressive Architekturskulptur mit einem polygonalen, zeltartigen Innenraum, blieben jedoch rar. Und selbst dieser Bau konnte und wollte sich mit dem Jahrhundertwerk von Le Corbusiers Wallfahrtskapelle in Ronchamp nicht messen. Gleiches galt für die beiden architektonisch bedeutendsten Synagogen jener Zeit in Deutschland: die durch Erich Mendelsohn angeregte halbkugelförmige Anlage von Dieter Knoblauch und Heinz Heise in Essen (1959) sowie Hermann Guttmanns halb ovalen Bau von 1963 in Hannover.

NEUBEGINN MIT BOTTA

Erst gut dreissig Jahre nach den Bauten von Guttmann und di Castro gelang dem Tessiner Architekten Mario Botta mit der von einem Schweizer Stifterpaar in Auftrag gegebenen Cymbalista-Synagoge ein neues Meisterwerk des europäischen Synagogenbaus - nicht auf dem alten Kontinent allerdings, sondern auf dem Campus der Tel Aviv University. Dieses Monument mit seinen Kubus und Zylinder zum kosmischen Symbol vereinenden Zwillingstürmen erscheint wie eine moderne Kreuzritterburg oder - dank den beiden an Boas und Jachin erinnernden Eingangspfeilern - wie eine eigenwillige Interpretation des Salomonischen Tempels und darf als Quintessenz der jüdischen Sakralarchitektur von der Prager Altneuschul bis hin zu Louis Kahns unrealisiert gebliebener Hurva-Synagoge in Jerusalem gelten. Sein baldachinartig überdachtes, von segmentförmigen Oberlichtern und einem kleinen Fensterkranz erhelltes Inneres kann ebenfalls als idealtypisch bezeichnet werden. Es erstaunt daher nicht, dass dieses Gebäude sogleich einen bemerkenswerten Einfluss ausübte.

Wenige Monate nach der Eröffnung von Bottas Cymbalista-Synagoge konnte am 9. November 1998, dem sechzigsten Jahrestag der Reichspogromnacht, in Duisburg das jüdische Gemeindezentrum von Zvi Hecker eröffnet und in Dresden der Grundstein zu einer neuen Synagoge gelegt werden. Diese beiden Anlagen sollten durch ihr ungewöhnliches Erscheinungsbild die Geschichte der jüdischen Sakralarchitektur nach 1945 in Deutschland verändern. Denn die zwischen der Gründung der Bundesrepublik und der Wiedervereinigung gebauten Synagogen und Betstuben - rund 60 an der Zahl - waren mehrheitlich klein und folgten in ihrem einfachen Äusseren meist der modernen Kistenform, die Fritz Landauer 1930 bei der Synagoge in Plauen oder Robert Friedmann und Felix Ascher 1931 in Hamburg entwickelt hatten. Aufsehenerregende Bauwerke waren damals nicht gefragt, zum einen weil die meisten Gemeinden klein waren, zum andern weil ihre von der Shoah traumatisierten Mitglieder keine Zeichen setzen wollten.

In ihrem Inneren zeigen viele dieser Bauten eine bei Reformgemeinden schon seit der Gründerzeit auszumachende «Tendenz zur Synagogenkirche», bei der das Bima oder Almemor genannte Podest für die Thoralesung von der Raummitte hin zu dem nach Jerusalem ausgerichteten Thoraschrein verschoben ist. Diese architektonische Entwicklung drohte aus Synagogen optisch neutrale Sakralräume zu machen, die nur noch durch einige Symbole als jüdisch charakterisiert sind. Nicht zuletzt deshalb publizierte 1988 der Architekt und heutige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, im Katalog zur Frankfurter Ausstellung «Die Architektur der Synagoge» mit dem Traktat «Synagoge '88» seine Theorie des zeitgenössisch aschkenasischen Synagogenbaus - und dies, obwohl er damals kaum mehr eine Zukunft für die Synagogenarchitektur in Deutschland sah.

THEORIE DES SYNAGOGENBAUS

Korn hielt in seiner Abhandlung fest, dass es keine besondere jüdische Bauweise, wohl aber eine «originär-räumliche Anordnung» für aschkenasisch-orthodoxe Synagogen gebe. Die zentral positionierte Bima und der in die Ostwand eingelassene Thoraschrein verlangten nach den unterschiedlichen Raumformen von Zentralbau und Langhaus. Auf die daraus sich ergebende «synagogale Raumantinomie» solle der Architekt mit einem spannungsvollen Raumkontinuum im Sinne eines zentralisierten Langhauses oder eines longitudinalen Zentralraums antworten. Zu diesem Zweck könne die Frauenempore hilfreich sein, aber auch die architektonische Umsetzung des Gegensatzes von «provisorischem» Stiftszelt und «dauerhaftem» Tempel, wobei mit einem von der steinernen Raumhülle abgehängten Baldachin die Längsrichtung auf den Thoraschrein hin, mit einem zenitalen Licht über der Bima aber das Zentrum betont werden könne. Im Entwurf müssten diese synagogalen Elemente in eine zeitgenössische Architektursprache übersetzt werden. Bei Neubauten in Deutschland sei dabei zudem der Aspekt des «schmerzlichen, aber notwendigen Erinnerns» zu berücksichtigen.

Dieser theoretische Leitfaden, welcher dreizehn Jahre später in der neuen Synagoge von Dresden eine grossartige künstlerische Umsetzung finden sollte, war genau im richtigen Zeitpunkt erschienen. Strömten doch nach den Umwälzungen im ehemals kommunistischen Machtbereich aufgrund einer bewusst liberalen, seit Anfang 2005 allerdings durch das mit Israel abgesprochene Zuwanderungsgesetz modifizierten Einwanderungspraxis Zehntausende von Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland, was bald schon den Bau neuer jüdischer Gemeindezentren und Synagogen nötig werden liess. Dieser Baubedarf machte zusammen mit Korns theoretischem Impuls aus Deutschland ein Zentrum der innovativen Synagogenarchitektur.

Als eindrücklichster Beweis dafür darf der 1997 durchgeführte Wettbewerb für ein jüdisches Zentrum auf dem Gelände der zerstörten Semper- Synagoge in Dresden gelten, an dem international bekannte Architekten wie Zvi Hecker, Daniel Libeskind, Heinz Tesar und Livio Vacchini teilnahmen und Entwürfe vorlegten, welche bezüglich ihrer architektonischen Qualität durchaus neben den in den letzten 50 Jahren realisierten Meisterwerken von Frank Lloyd Wright, Louis Kahn, Philip Johnson, Minoru Yamasaki oder Mario Botta bestehen können. Das Siegerprojekt des Locarneser Architekten Vacchini, in welchem sich lateinischer Rationalismus mit Kahns additiver Bauweise vereinte, erinnerte mit den beiden Kuben von Synagoge und Gemeindehaus entfernt an Bottas Bau in Tel Aviv. Hohe Betonpfeiler sollten die beiden Volumen und den dazwischen sich öffnenden Innenhof umfassen. Durch einen Vorhof wäre man in den nach Südosten gerichteten quadratischen Sakralraum gelangt, in welchem wie bei Bottas Synagoge in Tel Aviv der Raumkonflikt durch eine Bestuhlung nach sephardischem Ritus sowie durch eine der italienischen Tradition folgende bipolare Anordnung von Bima und Thoraschrein gelöst werden sollte.

Die jüdische Gemeinde von Dresden gab aber dem drittrangierten Projekt von Wandel Hoefer Lorch und Hirsch den Vorzug. Ausgehend von Korns Theorie des Synagogenbaus, schufen die jungen Architekten aus Saarbrücken und Frankfurt eine höchst eindrückliche Anlage. Wie Bottas Synagoge besteht sie aus zwei bipolar angeordneten Steinkuben, wobei das Gemeindehaus mit einer vitrinenartigen Glasfassade auf den zentralen Hof blickt, der fast hermetisch geschlossene Würfel der Synagoge sich aber mit zunehmender Höhe nach Osten abdreht. In diesen ist ein baldachinartiges, den eigentlichen Betsaal umschliessendes Gewebe aus golden schimmerndem Messingdraht eingehängt, unter welchem Thoraschrein, Bima und Frauenempore wie Möbel angeordnet sind. Von geheimnisvollem Oberlicht erhellt, verweist dieser Raum auf das mosaische Stiftszelt. Die steinerne Gebäudehülle hingegen soll an den Tempel in Jerusalem erinnern. Den Architekten gemäss symbolisiert damit die neue Synagoge den schon von Korn thematisierten «Konflikt zwischen Stabilität und Zerbrechlichkeit, zwischen Dauerhaftem und Provisorischem». Trotz starker Anlehnung an Korns Theorie haben es die Architekten verstanden, die Klippen des Formalismus zu umschiffen und ein stimmungsvolles Raumgefüge zu schaffen, in welchem sich - wie einst bei Kahns Sakralbauten - alles um Spiritualität, Mystik, Licht und Schatten dreht.

Das prominent als Abschluss des Elbpanoramas errichtete Bauwerk zeugt vom neuen Selbstverständnis der in den letzten Jahren schnell gewachsenen jüdischen Gemeinde Dresdens. Gleichzeitig erinnert es mit dem Davidstern über dem Synagogeneingang, mit einigen in die Hofwand eingemauerten Fundamentsteinen und dem durch Bruchglas angedeuteten Grundriss an die in der Reichspogromnacht geschändete Synagoge Gottfried Sempers und erfüllt so Korns Forderung, dass neue Synagogen in Deutschland auch die dunkle Vergangenheit in Erinnerung rufen sollen. Deshalb darf dieses architektonisch, künstlerisch und kultisch gleichermassen überzeugende Bauwerk, in dem Synagoge, Gemeindezentrum und Mahnmal eine Einheit von grosser skulpturaler Klarheit bilden, als einer der bedeutendsten Sakralbauten unserer Zeit bezeichnet werden.

ZEICHENHAFTE VIELFALT

Verzichtete man in Dresden bewusst auf formale Anleihen an die Semper-Synagoge, so zitierte der an der ETH Zürich ausgebildete Frankfurter Architekt Alfred Jacoby in der postmodern stilisierten «Doppelturmfassade» seiner 1988 geweihten Synagoge von Darmstadt dieses Hauptwerk der deutschen Architektur ganz explizit. Aufgrund der leicht lesbaren Bildhaftigkeit und der stereometrischen Einfachheit stiess der Darmstädter Sakralbau ausser bei Salomon Korn, der damals ganz allgemein eine philosemitische Scheu vor der Kritik am Synagogenbau feststellte, durchwegs auf Zustimmung und begründete Jacobys Erfolg als Synagogenarchitekt. Dank Wettbewerben und Direktaufträgen konnte Jacoby denn auch in den letzten 17 Jahren sechs weitere Synagogen in Aachen, Chemnitz, Heidelberg, Kassel, Köln und Offenbach realisieren.

Der stimmungsvolle Innenraum und die an den Salomonischen Tempel gemahnende Hülle aus Zedernholz, durch deren Lattenwerk der Thoraschrein von aussen zu erahnen ist, verleihen Jacobys Kasseler Synagoge eine gewisse Intimität. Das 1998 aus einem Direktauftrag hervorgegangene und 2002 eingeweihte jüdische Zentrum von Chemnitz, das leicht erhöht am Rand der Innenstadt errichtet wurde, verströmt hingegen fast schon glamouröse Eleganz. Dies nicht zuletzt wegen des einer Thorakrone gleich über ovalem Grundriss aus dem niedrigen Gemeindehaus emporwachsenden Synagogenturms aus Beton und Glas, der in einer Art Vitrine den Thoraschrein nach aussen sichtbar werden lässt. Der Zentralbau und Langhaus verschmelzende Innenraum, der - in Widerspruch zu Korn - liberal gestaltet ist, besticht durch sorgfältige Details und das in Synagogen beliebte magisch blaue Licht.

Weniger geglückt ist hingegen Jacobys Neubau in Aachen, der aus einem 1991 durchgeführten Wettbewerb resultierte. Weit überzeugender war hier das rigorose Projekt des Basler Architekten Roger Diener, der sich im Zusammenhang mit der Restaurierung der alten Synagoge seiner Heimatstadt eingehend mit der Geschichte des jüdischen Sakralbaus befasst hatte. Diener widersetzte sich mit dem Entwurf eines leicht zurückversetzten kubischen Gebäudeclusters, der durch Höfe und Passagen zum Synagogeneingang führt, der gewünschten Reparatur des Stadtraums, um an den Bruch in Aachens jüdischer Geschichte zu gemahnen. «Mit der aufgesetzten Struktur einer lichtführenden Decke» (Diener) hätte sich die Synagoge selbst über die anderen Bauteile der Anlage erhoben und so eine Forderung im Talmud erfüllt, wonach das Heiligtum die höchste Stelle eines Ortes markieren soll.

Im Innern des einfachen, von zenitalem Licht erhellten Hallenbaus wollte Diener die räumliche Trennung der Geschlechter nicht nach dem seit dem Barock bewährten integrativen Schema der Frauenempore, sondern nach dem additiven romanischen Vorbild von Worms handhaben, indem er die «Frauenschul» rechtwinklig an die Nordseite des Synagogenraums gefügt und auf diesen geöffnet hätte. Dadurch, dass Diener den longitudinalen Hauptraum mittels der Frauenabteilung auf die Bima hin zentrierte, fand er zu einer höchst eigenwilligen Lösung des synagogalen Raumkonflikts. Aussen sollte die Synagoge von einer papieren wirkenden Holzhaut mit aufgemalten hebräischen Zeichen umhüllt werden, die laut Diener an die «Bedeutung von Wort und Schrift für die jüdische Religion» erinnert hätte.

Mit seiner urtümlichen Trennung von Männerbereich und «Frauenschul» berief sich Diener auf die lange deutsche Tradition der Synagogenarchitektur, die schon in der rheinländischen Romanik von Speyer über Mainz bis Köln bedeutende Bauten hervorgebracht hatte. Damals begann sich das aschkenasische Raumschema mit zentraler, oft zwischen zwei Pfeilern errichteter Bima und nach Osten orientiertem Thoraschrein zu formen, während die Frauenempore erst in der Neuzeit grössere Verbreitung fand. Nach der Aufklärung wurde es in einigen deutschen Residenzstädten erstmals möglich, wirklich repräsentative Synagogen zu planen und zu bauen, wie Heinrich Christoph Jussows pantheonartiger Entwurf für Kassel oder die 1806 geweihte ägyptisierende Synagoge von Friedrich Weinbrenner in Karlsruhe beweisen. Später im 19. Jahrhundert entstanden dann viele grosse, meist liberale Synagogen, die bald im maurischen Stil mit neu erwachtem Selbstbewusstsein das religiöse Anderssein, bald mit romanischen Formen die Zugehörigkeit zur deutschen Kulturnation betonten.

EXPRESSIVE FORMEN

Einem barocken Jugendstil verpflichtet war hingegen die 1912 geweihte Hauptsynagoge von Willy Graf an der Hindenburgstrasse in Mainz, von der nach Reichspogromnacht und Krieg einem Mahnmal gleich nur noch die Säulen des Portikus übrig blieben. Beim 1999 ausgelobten Wettbewerb für eine neue Synagoge an derselben Stelle schlug Roger Diener zwei aneinander gefügte, kistenförmige Bauten für Synagoge und Gemeindehaus vor. Der Thoraschrein wäre in die östliche Längswand des von vier grossen Fenstern erhellten Raumes eingefügt worden, während die lange Westwand bei Bedarf zum höher gelegenen Gemeindesaal hätte geöffnet werden können. Für eine eigentliche Sensation aber sorgte der damals 30-jährige Manuel Herz aus Köln, der an der renommierten Architectural Association (AA) in London studiert und anschliessend für Daniel Libeskind die Synagogen- Wettbewerbe in Duisburg und Dresden betreut hatte. Sein Siegerprojekt, das hoffentlich bald realisiert werden kann, verspricht zum bedeutendsten jüdischen Zentrum der letzten 60 Jahre in Deutschland zu werden.

Mit einer fast wie ein Schofar oder Widderhorn gebogenen Grundrissform, die vor der Synagoge einen kleinen Platz frei lässt, nähert sich Herz der einstigen Hofrandbebauung an. Das auffällige Aussehen von Sakralbau und Gemeindehaus basiert auf der stilisierten Umsetzung der fünf hebräischen Zeichen des Wortes Keduscha, das für den Akt des Lobpreisens steht und die Anlage unter einen besonderen Segen stellen soll. Herz liess sich vom Objektcharakter hebräischer Buchstaben anregen, «die fast wie Bausteine gesetzt werden» und aus denen etwa die Texte im Talmud «wie ein Gebäude oder eine Bühne konstruiert» sind. Der Synagoge verleiht das Kuf genannte hebräische K eine himmelweisende Bewegung, während die Buchstaben Dalet, Waw, Schin und He den Umriss von Eingangsfoyer, Versammlungssaal und Schule bestimmen. Dadurch entsteht eine dekonstruktivistisch verschachtelte Miniaturstadt, in welcher die Synagoge als höchster Bau ausgezeichnet ist. Deren trichterförmiges Dach lässt Tageslicht auf die Bima fluten, gibt dem Längsbau ein Zentrum und löst so den synagogalen Raumkonflikt. Die geplante Aussenhaut aus orientalisch anmutendem türkisfarbenem Klinker verweist mit ihrer gerillten Oberfläche erneut auf das uralte jüdische Blasinstrument des Schofar, dessen Klang an hohen Feiertagen die Gemeinde zusammenruft.

Schriftlastigkeit, Expressivität und ein Hang zu abstrakten Symbolen verbinden das Schaffen von Herz mit dem von Libeskind oder Zvi Hecker. Obwohl es auch jüdische Architekten gibt, die eher rational bauen wie Richard Meier, glaubte der grosse italienisch-jüdische Architekturhistoriker Bruno Zevi im Dynamischen und Logozentrischen typische Eigenschaften der vom jahrhundertealten Erbe der Heimatlosigkeit geprägten jüdischen Architektur zu erkennen. Dieser Sicht entspricht Heckers ausdrucksstarkes Gemeindezentrum in Duisburg. Seine fünf weit ausgreifenden Betonbügel verkörpern die geöffneten Seiten des Buchs der Bücher, das über Jahrtausende die Diaspora zusammenhielt und über das und die Kultur der Schrift ganz allgemein sich laut Hecker «jüdische Kultur und Identität hauptsächlich entwickelten». Als eine Art Wegweiser stellen diese Bügel geistige Bezüge zu fünf Orten im Duisburger Stadtgefüge her, die mit der jüdischen Geschichte verknüpft sind.

Der dreieckige, spitz zum Thoraschrein und zur Bima zulaufende Synagogenraum mit Frauenempore, der über Grundriss und Sichtachsen eng mit dem Gemeindezentrum verwoben ist, nimmt nur einen bescheidenen Teil der Gesamtanlage ein. Denn für den laizistischen Israeli Hecker stand von Anfang an die Gemeinde im Zentrum - eine mehrheitlich aus älteren, mit religiösen Überlieferungen oft kaum vertrauten Immigranten bestehende Gemeinde, die nach Identität sucht. Hier bildet erstmals eine Synagoge in der von Hermann Guttmann beschriebenen Entwicklung «vom Tempel zum Gemeindezentrum» nicht mehr das eigentliche Herzstück der Anlage.

Für die gegenteilige Haltung entschieden sich Wandel Hoefer Lorch und Hirsch in München, wo sie die Synagoge als skulpturalen Blickfang vor einem Baukomplex inszenieren, zu dem neben dem Gemeindehaus auch ein Jüdisches Museum zählt und der bei seiner Fertigstellung Ende 2006 das grösste jüdische Zentrum Europas darstellen wird. Diese räumliche Verdichtung jüdischer Lebensbereiche erachtete Manuel Herz in einem 2003 an der Stanford University gehaltenen Vortrag als typisch für Deutschland und kritisierte die damit verbundene Zeichenhaftigkeit aus kulturellen und politischen Überlegungen heraus. Allerdings war die jüdische Gemeinde München an einem baukünstlerischen Zeichen gar nicht interessiert. Sie hätte lieber den ebenso konventionellen wie architektonisch banalen Kuppelbau realisiert, den der Münchner Architekt Johannes Dotzauer in der ersten Wettbewerbsrunde vorgelegt hatte. Doch die Stadt München träumte von einer bedeutungsvollen Architektur am Jakobsplatz, damit - laut Oberbürgermeister Christian Ude - «jüdische Kultur wieder einen würdigen Platz in der Münchner Innenstadt erhält». Deshalb wurden für den zweiten Durchgang einige Büros dazugeladen, darunter Wandel Hoefer Lorch, die 2001 den Sieg errangen. Wenn nun die Bautafel vor Ort stolz verkündet, «die Israelitische Kultusgemeinde kehrt in die Mitte Münchens zurück», so drückt sich darin vor allem die Hoffnung vieler nichtjüdischer Münchner aus, das grossartige Werk möge zum weithin sichtbaren Symbol dafür werden, dass Deutschland 60 Jahre nach Holocaust und Krieg wieder ein Land wie jedes andere geworden sei.

MONUMENTE IM HERZEN DER STADT

In der Tat dürfte München Ende 2006 mit dem neuen Zentrum der Israelitischen Kultusgemeinde ein leuchtendes Wahrzeichen erhalten, das weltweit Beachtung finden wird. Von den drei leicht gegeneinander verschobenen Baukörpern, die den Jakobsplatz neu definieren, dürfte das multifunktionale Gemeindehaus, das mit einem Altbau zu einem Hofrandgeviert und so gleichsam mit der Geschichte Münchens verschmolzen wird, vergleichsweise konventionell ausfallen. Das Museum hingegen wird sich als steinerner Quader, der über einem vitrinenartigen gläsernen Erdgeschoss schwebt, wie eine minimalistische Skulptur in Szene setzen. Mehr noch gilt dies für die Synagoge, die als ein nachts schimmerndes textiles Objekt aus einem klagemauerartigen Travertinsockel herauswachsen wird. Dabei wird sie - ähnlich wie die Dresdner Synagoge - den Widerspruch zwischen Provisorischem und Dauerhaftem thematisieren, nur dass diesmal das erneut aus einem Metallgewebe bestehende «Stiftszelt» nicht in den «Tempel» hineingehängt ist, sondern nach aussen in Erscheinung treten wird.

Das gegenwärtig vielerorts in Deutschland auszumachende Bestreben, jüdische Sakralbauten an städtebaulich prominenten Orten zu errichten, wird in München eine neue Dimension erreichen. Es liesse sich aber auch am Projekt der neuen Synagoge von Bochum aufzeigen. Dort wird der Kölner Peter Schmitz aufgrund eines im Februar 2005 gefällten Juryentscheides neben dem zentrumsnah gelegenen Planetarium für alle unübersehbar eine von niedrigen Annexbauten gerahmte kistenförmige Synagoge mit metaphorischem Bezug zu Stiftszelt und Tempel realisieren. Sie wird zusammen mit anderen, hier nicht genannten Bauten den formalen Reichtum des zeitgenössischen Synagogenbaus in Deutschland weiter mehren. All diese Beispiele tragen dazu bei, den Pessimismus Salomon Korns zu relativieren. Meinte er doch noch 1999, die wenigen substanziellen Beiträge zur Architektur der Synagoge reichten nicht aus, «um dieser eher marginalen Baugattung schon eine gesicherte Zukunft in Deutschland zu bescheinigen». Zwar lässt sich zurzeit nirgends auf der Welt eine wirkliche Blüte der Synagogenarchitektur ausmachen, mehrere überdurchschnittliche Bauten und Projekte haben in Deutschland ein Repertoire an architektonischen Lösungen hervorgebracht, die weit über Europa hinaus befruchtend wirken könnten.

[ Beim vorliegenden Text handelt es sich um die überarbeitete Version eines am 14. April dieses Jahres im Jüdischen Museum in Berlin gehaltenen Vortrags. ]

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