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Weltraumdesign und Kommerzarchitektur
Neue Zürcher Zeitung

Der Japaner Kisho Kurokawa im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt

23. Mai 2005 - Roman Hollenstein
Beinahe über Nacht rückte Japan 1972 mit dem Nakagin-Kapselturm ins Bewusstsein der internationalen Architektenavantgarde. An der noblen Ginza in Tokio hatte damals Kisho Kurokawa ein Haus wie aus einem Science-Fiction-Film realisiert, von dem die jungen Wilden in Europa, die sich in Gruppen wie Archigram oder Superstudio zusammenfanden, nur träumen konnten. An zwei Erschliessungsmasten liess Kurokawa 140 waschmaschinenartige Wohncontainer befestigen, in denen auf jeweils zehn Quadratmetern Grundfläche Küche, Bad, Büro, Sitzecke und Bett untergebracht sind. Fast wie in einer Weltraumrakete erlauben sie auf einem Minimum an Platz ein Maximum an Komfort. Es erstaunt daher nicht, dass der Kapselturm und sein gestylter Bruder, der Sony-Tower in Osaka, längst zu Ikonen der japanischen Nachkriegsmoderne geworden sind.

Diese legendären Frühwerke wirken zwar verglichen mit Kurokawas jüngsten Megaprojekten wie dem Grossflughafen von Kuala Lumpur bescheiden. Gleichwohl handelt es sich bei den Türmen um gebaute Manifeste, an denen Kurokawa die 1960 zusammen mit Kiyonori Kikutake entwickelte Theorie des Metabolismus im realen Raum erprobte. Der Begriff Metabolismus, den die beiden Architekten von der Biologie übernommen hatten, stand für eine prozesshafte, auf gesellschaftliche Entwicklungen reagierende und durch den baulichen «Stoffwechsel» bestimmte Architektur des Lebens, die - eher auf die Städteplanung als auf das Einzelhaus ausgerichtet - eine Alternative zum Maschinenprinzip der abendländischen Moderne bieten wollte.

Ihren Höhe- und Endpunkt sollte die metabolistische Bewegung 1970 mit den Pavillons der Weltausstellung von Osaka erreichen. Danach wurde es eher still um Kurokawa, bis er in den achtziger Jahren mit einem geschliffen eleganten, von west-östlichen Traditionen inspirierten Klassizismus einmal mehr für Irritierung sorgte. Die seither entstandenen Bauten erklärte er mit der Symbiose heterogener Konzepte und verwies auf die von ihm proklamierte «Kultur des Graus», wobei er im Grau eine Antwort auf die dualistische, schwarzweisse Weltsicht Europas sah. Die daraus resultierende ganzheitliche Planung manifestierte sich unter anderem im stahlgrauen, entfernt an ein japanisches Dorf erinnernden Museum für zeitgenössische Kunst von Hiroshima, das sich seit 1988 leicht erhöht über dem Zentrum der Stadt in einem Hain aus Kampferbäumen verbirgt. Dieser Baukomplex verkörpert im Sinne der für Kurokawa wichtigen «buddhistischen Koexistenz» ein Zusammengehen von Geschichte, Stadt, Natur und Technik. Der von der Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie geprägte Versuch, Ordnung ins Chaos zu bringen, fand 1987 Eingang in den architekturphilosophischen Traktat «Shin Kyosei no shiso», für den Kurokawa 1993 den Grossen Preis der japanischen Literatur erhielt und der nun als «Kurokawa-Manifest» auch auf Deutsch vorliegt.

Der 71-jährige Kurokawa leitet noch immer sein seit 1962 allmählich zur Grossfirma angewachsenes Architekturbüro, das bis heute mehr als 100 Bauten realisiert und gut 400 Projekte entworfen hat. Diese erstaunliche Produktivität spiegelt sich zurzeit in einer überreichen, fast wie eine Werbeveranstaltung inszenierten Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt, die von einem Katalog mit lesenswerten Essays begleitet wird. Anhand von Bildtafeln und miniaturhaften, bis in jedes Detail ausgearbeiteten Modellen werden Kurokawas Hauptwerke vorgestellt vom längst zerstörten Vergnügungszentrum «Hawaii Dreamland» in Yamagata (1967) bis hin zum Projekt des organisch geformten und ökologisch angehauchten Zwillingshochhauses «Fusionpolis» in Singapur, das 2007 eröffnet werden soll. Darüber hinaus veranschaulicht die Schau - wohl eher unbeabsichtigt, dafür umso deutlicher -, wie das immer stärker kommerzialisierte Baugeschehen der letzten Jahre aus einem kreativen Vordenker einen sich mit den wirtschaftlichen und technologischen Zwängen arrangierenden Architekten gemacht hat, dem offensichtlich kein Projekt zu gross ist.

Von riesigen Strukturen war Kurokawa allerdings seit je fasziniert. So entwarf er 1961 für die Bucht von Tokio die von DNA-Strängen angeregte Helix City, die sogar als «Star Wars»- Kulisse beeindrucken würde. Verglichen mit dieser Stadtutopie erscheinen seine Masterpläne für die Neustadt von Zhengdong in China oder für Kasachstans Hauptstadt Astana trotz ihren gigantischen Dimensionen fast schon bescheiden. Bei diesen Mammutunternehmen scheint sich Kurokawa, der sich mit Investoren stets zusammenraufen konnte, damit abgefunden zu haben, dass auch die ambitioniertesten Entwürfe im Getriebe sich widersprechender Interessen letztlich nur in verstümmelter Form umgesetzt werden können. Wichtiger als der schöne Schein ist diesem Denker unter den Architekten ohnehin der respektvolle Umgang mit der Natur, den Ressourcen und den Bedürfnissen der Nutzer und der Menschen ganz allgemein.

[ Bis 19. Juni im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt. Katalog: Kisho Kurokawa. Metabolismus und Symbiosis. Deutsch und englisch. Hrsg. Peter Cachola Schmal, Ingeborg Flagge und Jochen Visscher. Jovis-Verlag, Berlin 2005. 159 S., Fr. 50.40 (Euro 29.80). - Kisho Kurokawa: Das Kurokawa-Manifest. Jovis-Verlag, Berlin 2005. 382 S., Fr. 42.20. ]

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