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Kann es sein, dass die Architektur für diese (Geschäfts-)Welt zu langsam geworden ist?

4. Juni 2005 - Ute Woltron
Unsere Zeit und unsere Umwelt sind nicht so beschaffen, dass Pathetik und heroische Gesten in Form reiner Architektur angebracht wären", steht im letzten Kapitel eines Buches geschrieben, das vor über einem Vierteljahrhundert auf amerikanischfreundliche Brutalität die Stadt, die Wirtschaft, die Reklame, die Architektur und den sich daraus ergebenden bunten Brei geißelte.

Learning from Las Vegas erschien 1978 und ist auch heute noch eine der faszinierendsten Architekturpublikationen der letzten Jahrzehnte - und sie ist aktueller denn je. Darin rechneten die Architekten Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour allerdings weniger mit der von Werbung, Plakaten und Logos überfrachteten Geschäftsstadt selbst ab, als mit der Architekturkollegenschaft, die sich im Dienste des vermeintlich Hehren, Großen und Wahren gegen diesen offensichtlichen Ausdruck der Kommerzialisierung empörte, aber kaum brauchbare - und, wie man als Architekt zu sagen pflegt, „anständige“ Alternativangebote zuwege brachte.

„Verdummung und Manipulation sind keineswegs das Monopol hemdsärmeliger Geschäftemacher“, behaupteten Venturi&Co schon damals provokant, „es gibt sie auch bei anderen.“ So etwa bei „kulturellen Interessensvertretern und den Stadtbild-Beiräten“, die „ihr einschüchterndes Prestige in die Waagschale werfen, um eine gegen die Werbezeichen gerichtete Gesetzgebung und Verschönerungsaktionen durchzusetzen“. Und bei den Architekten selbst, die sich, so die Autoren, „im großen und ganzen nicht so sehr mit dem beschäftigen sollten, was eigentlich sein sollte, sondern mit dem, was ist - und damit, wie man es anpacken muss, diese Realität hier und jetzt zu verbessern“.

Die vermeintliche Überfrachtung der zeitgenössischen Stadträume mit Reklame und Werbebotschaften aller Art ist letztlich der Status quo eines Prozesses, der bereits mit den ersten Stadtgründungen einsetzte. Stadt war immer schon der Ort intensivster Kommunikation, und die trägt jeweils das Gesicht ihrer Zeit. Was früher Hieroglyphen, römische Aufschriften, romanische Unholdskulpturen, mittelalterliche Zunftzeichen waren, ist heute Unternehmenslogo, Product-Image, Shopfassade.

Die Architektur war immer Büttel der Macht, und Pyramiden, Paläste, Villen, Triumphbögen, Kathedralen und andere Tempel aller Art trugen das, was sie darstellten, stets mehr als deutlich und demonstrativ in die Stadträume. Dass Shopping zum Götzen unserer Zeit geworden ist, wissen wir nicht erst, seit der holländische Architekt Rem Koolhaas uns in gewichtigen Publikationen und Ausstellungen gekonnt und gut vermarktet darauf hinwies. Dass die Architektur heute zu langsam sei, um mit den rasanten Modifikationen der Geschäftswelt und deren Repräsentanzen mitzuhalten, ist ebenfalls eine Idee, auf die Koolhaas bereits in „Learning from las Vegas“ gestoßen sein dürfte.

Architektur sei ein verschwommenes Amalgam althergebrachten Wissens und zeitgenössischer Anwendung, behauptet der Holländer, eine linkische Art, die Welt zu betrachten, und ein inadäquates Medium, sich ihr zu nähern. Jedes einzelne Projekt würde in seiner Abwicklung Jahre in Anspruch nehmen - viel zu viel Zeit also, um mit den ständigen Veränderungen, die derweil abseits der Baustellen passierten, Schritt halten zu können.

Dennoch gäbe es - jedenfalls außerhalb der Profession selbst - noch eine „vage Erinnerung an eine Hoffnung“, die die Baukunst seit jeher vermittelte: die Hoffnung, dass „diesem gewalttätigen Strom an Informationen, der uns täglich überspült, so etwas wie Gestalt, Form und logische Zusammenhänge auferlegt werden könnte“.

Geht es nach Wolfgang Koelbl, beginnen sich superdichte Stadtgefüge ab einem gewissen Punkt einfach selbst zu regulieren. Der Architekt beschreibt in der sehr lesenswerten Publikation Tokyo Superdichte, erschienen 2000, einen Extremfall der Urbanität - einen Knotenpunkt in der japanischen Hauptstadt, der täglich von 3,4 Millionen Passanten frequentiert wird: „Superdichte ist beschleunigte Stadt, beschleunigt auf die Höhe der Kommerz- und Entertainmentindustrie und auf die Mainstreambedürfnisse einer Fun-Gesellschaft ausgerichtet. Die Aufgabe der versammelten Attraktionen besteht darin, aus möglichst vielen Passagieren oder Umsteigern Kunden zu machen.“

Und weiter: „Was zuerst als Extremvariante einer Stadt anmutet, entpuppt sich Schritt für Schritt als das Gegenteil, als Nicht-Stadt. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Superdichte überhaupt nur funktionieren kann, wenn sie alles vermeintlich Städtische abwirft und zu einem reinen Zustand der Intensität wird, wie man ihn sonst nur aus Kunst, Musik, Medien kennt. Die Stadt entledigt sich ihrer selbst.“

Was bedeutet das alles aber nun für eine lang gewachsene und noch relativ geruhsame Stadt wie Wien? Fest steht, dass Investoren und Geschäftsleute auf die Antworten der Architekten nicht lange zu warten geruhen. Wollen die also die „vage Erinnerung an eine Hoffnung“ einlösen und sich aktiv damit beschäftigen, „wie man es anpacken muss, diese Realität hier und jetzt zu verbessern“, müssen sie vor allem eines lernen: Geschwindigkeit.

Wer Architektur und Plakatkommunikation der Einkaufsstraßen und Shoppingcitys mit ihren „geschwätzigen Fassaden“ (Venturi & Co) tatsächlich verbessern will, muss die Hektik und den Konkurrenzdruck der turbokapitalistischen Zeit mit einplanen, um „diesem gewalttätigen Strom an Informationen, der uns täglich überspült, so etwas wie Gestalt, Form und logische Zusammenhänge“ aufzuerlegen.

Und die Moral? Wer befasst sich mit den ethischen Komponenten all dieses Kommerz- Wahnsinns? Wer kann noch davon ausgehen, dass die Architektur das Gute und Schöne in die Welt bringen will? In Learning from Las Vegas heißt es zu Beginn: „Wir blicken zurück auf Geschichte und Tradition, um der Zukunft gewachsen zu sein. Ebenso können wir auch nach unten blicken, um emporzusteigen. Sich eines Urteils zunächst zu enthalten, kann durchaus der richtige Weg sein, um später zu einer differenzierteren Einschätzung kommen zu können. Auf diese Weise ist es möglich, von allem zu lernen.“

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