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Fertighaus nach Mass
Fertighaus nach Mass, Foto: Toshi Kobayashi
Fertighaus nach Mass, Foto: Toshi Kobayashi
Fertighaus nach Mass, Plan: Toshi Kobayashi

In Japan werden pro Jahr rund eineinviertel Millionen Häuser gebaut. Diese Zahl ist unter anderem deswegen so unglaublich hoch, weil die durchschnittliche Lebensdauer eines Hauses auf dem Archipel nur etwa 25 Jahre (in der Schweiz 90 Jahre) beträgt.

1. Juli 2002 - Roderick Hönig
Trotz hohen Preisen und beschränktem Bauland (das Land besteht zu 80 Prozent aus Bergen) träumen immer noch unzählige Japaner in wehmütiger Erinnerung an das kleine Dorf der Reisbauerngemeinschaft den Traum vom Einfamilienhaus.

Da nun zwölf Jahre nach der Wirtschaftskrise die Bodenpreise in Japan um rund 80 Prozent gefallen und bei den Banken variable Hypothekarkredite mit einer Laufzeit von bis zu 40 Jahren zu unter 2 Prozent zu haben sind, können sich auch jüngere Familien wieder Wohneigentum leisten. 90 Prozent der Nachfrage nach Einfamilienhäusern befriedigen Multis wie Mitsubishi, Toyota oder Panasonic mit Fertighäusern im sogenannten Western Style.

Darunter muss man sich langweilige gleichförmige Baukastenhäuser mit wenigen Grundrissvariationen vorstellen, die im Prospekt immer frei stehend und mit Umschwung dargestellt werden, sich in Wirklichkeit aber im Meterabstand an end- und gesichtslosen Peripherie-Quartierstrassen aufreihen - mit direkter Sicht auf die kahlen Wände des Nachbarn.

Aber auch ein solches Haus, das nicht mehr bietet als eine grosszügige Mietwohnung, ausser dass man mit dem Nachbarn die Wände nicht teilt, kostet, trotz Vorfertigung und Standardisierung, immer noch die stolze Summe von rund 450 000 Dollar, ohne Land. Dieses Missverhältnis hat den wendigen Architekten Katsu Umbeyashi vom Büro F.O.B Architecture aus Kyoto zusammen mit seinem Kollegen Kazuo Kobayashi dazu bewogen, ein ähnliches Produkt mit mehr Stil zum selben Preis anzubieten. Die beiden Architekten gründeten 1999 in Tokio die Firma F.O.B Homes, deren Slogan sinngemäss «Eigener Stil zum angemessenen Preis» lautet.

Was, ausser dem modernistischen Stil, unterscheidet die beiden von den andern Fertighausanbietern? Es ist die individuelle Architekturleistung. Denn auch bei traditionellen Fertighausproduzenten zahlt man rund 15 Prozent der Bausumme fürs individuelle Design und kann dennoch nur aus zwei bis drei Grundrissvarianten wählen.

Diese «Marktlücke» machte F.O.B Homes zum Verkaufsargument: Die Firma geht beim Design speziell auf die Kundenwünsche ein. In Japan war das bis anhin nur in den oberen Segmenten der Architektur eine Selbstverständlichkeit.

Das Vorgehen ist einfach: Der Architekt besucht mit dem interessierten Kunden eines der Musterhäuser in Tokio oder Osaka. Dann arbeitet er mit seinem Team ein auf stets demselben Grundtypus basierendes Projekt aus. Die Kunden können Gebäudevolumen und Raumaufteilung vom hauseigenen Designerteam gegen eine Pauschalsumme von 3000 Dollar ihren individuellen Ansprüchen anpassen lassen. Den Entwurf präsentiert Umbeyashi wenig später mit Plänen und einem Modell. Ist ein Grundstück gefunden, wird das Haus innert eines halben Jahres in traditioneller Bauweise an Ort und Stelle gebaut.

Der Prototyp, das F.O.B Home 1, steht in einem typischen Vorstadt-Einfamilienhausquartier vor den Toren Osakas. Wie ein vom Himmel gefallener Monolith liegt der weisse Kubus in der biederen Nachbarschaft. Die verschlossenen Wände sind bis ans Äusserste der Parzellengrenzen geschoben. Von der Strasse her ist nicht viel zu sehen: Eine kleine Öffnung in der weissen Wand deutet den Eingang an. Entlang einem kleinen Quartierweg auf der Südseite ist ein grosses Fenster bis zum Boden ausgeschnitten - eine eingeschossige Wand aus Milchglasscheiben verwehrt den Einblick. Sonst strahlt der im Sonnenlicht gleissende Block makellos.

Im Inneren ist dann die Überraschung gross: Ein luftiges Wohn- und Esszimmer empfängt den staunenden Besucher. Das Haus mit 128 Quadratmetern Wohnfläche scheint auf den ersten Blick nur aus grosszügigen Leerräumen zu bestehen: Da gibt es das doppelstöckige Wohn- und Esszimmer und gleich daran anschliessend, nur durch eine breite Glaswand getrennt, den nach oben offenen Gartenhof.

Diese beiden riesigen Leerräume verschaffen dem Haus eine für Japan eher ungewohnte Grandezza, viel Licht, Luft und Atem. Für Schlafzimmer, Bäder und Nebenräume bleiben nur zwei schmale Raumtranchen entlang der Vorder- und der Rückfassade. Diese Räume werden als das behandelt, was sie in Japan sind: als Nebenräume, in denen man sich nur in zweiter Linie aufhält.

F.O.B Homes finden selbstverständlich nicht beim gemeinen Fertighauskunden Zuspruch. Sie sprechen den bis anhin kleinen, aber laufend wachsenden Prozentsatz derer an, die trendbewusst und «stylish» sind und sich auch getrauen, Individualität gegenüber den Nachbarn auszudrücken.

Trendbewusst bedeutet in diesem Fall: modernistische Gestaltung, ein auf einen makellosen Kubus reduzierter introvertierter Baukörper und ein kontinuierlicher Innenraum. Die Häuser bieten eine räumlich wie auch finanziell attraktive Alternative zum unansehnlichen Fertighaus-Einheitsbrei in Japan.

Denn zwar viele, aber noch lange nicht alle Japaner wollen dasselbe Haus.

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