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Von Fläche und Fraß
Spectrum

In Österreich werden täglich rund 20 Hektar Natur versiegelt. Der Beitrag der Einfamilienhäuser dazu ist beträchtlich. Über Wohnträume und ihre Folgen.

18. Juni 2005 - Bernhard Steger
Die Popularität des frei stehenden Einfamilienhauses ist ungebrochen. Es steht bei über 70 Prozent der österreichischen Bevölkerung ganz oben auf der Wohnwunschliste. Im Umfeld der Städte werden daher immer neue Gebiete erschlossen, in denen der Traum der eigenen vier Wände Wirklichkeit werden soll. Nicht ohne Folgen: Die ungebremsten Siedlungserweiterungen immer weiter in das grüne Umland bringen mit der Zersiedelung auch höhere Verkehrsaufkommen, gestörte Ökosysteme und hohe Kosten mit sich. Doch anstatt nach Beispielen zu suchen, die dieser Entwicklung sinnvolle Alternativen entgegensetzen könnten, wird ihr noch das Mäntelchen der Kultur umgehängt: zuletzt etwa mit dem Preis für „Das beste Haus“, ausgelobt von der S-Bausparkasse in Zusammenarbeit mit dem Staatssekretariat für Kunst und Medien und dem Architekturzentrum Wien. Dabei ist die Entwicklung einer breiten zeitgenössischen Baukultur nur möglich mit Bauaufgaben, die auch gesellschaftliche Relevanz besitzen. Die Architektur der Moderne entstand aus dem Bemühen um gesunde und den Anforderungen der Zeit entsprechende Wohnungen - und nicht aus dem Anspruch, mit besonders schicken Häusern Individualität zu demonstrieren.

In Österreich werden täglich rund 20 Hektar Natur versiegelt. Der Beitrag der Einfamilienhäuser dazu ist beträchtlich: Während in einem mehrgeschoßigen Wohnhaus der Flächenbedarf 225 Quadratmeter oder bei einem zweigeschoßigen Reihenhaus 340 Quadratmeter pro Wohneinheit beträgt, liegt dieser Wert beim frei stehenden Einfamilienhaus bei 890 Quadratmeter. Bei den anteiligen Flächen für Straßen und Zufahrten ist das Verhältnis ähnlich. Flächen, die der Natur als ökologische Ausgleichsgebiete zur Verfügung standen, werden nun durch Straßen und Häuser versiegelt. Zusammenhängende Ökosysteme werden so zerstört, und wenn dann Regenfälle die Häuser unter Wasser setzen, ist es genau diese Siedlungspolitik, die an solchen dramatischen Auswirkungen die Schuld trägt. Und da geht es nicht nur um die Häuser, die in Schutzzonen errichtet wurden, sondern der Flächenfraß selbst ist es, der dazu führt, dass das Regenwasser über Dächer und Straßen sofort in die Kanäle und dann weiter in die Flüsse geleitet wird.

Massive Auswirkungen hat eine solche Siedlungsentwicklung auch auf den Verkehr und den Energieverbrauch. Nicht nur dass kompaktere Siedlungsformen weniger Heizenergie verbrauchen als die frei stehenden Einfamilienhäuser, allein das zusätzliche Verkehrsaufkommen einer Streusiedlung gegenüber einer verdichteten Wohnbebauung ist mit rund 5000 Kilowattstunden pro Jahr und Haushalt zu beziffern; das entspricht der jährlich notwendigen Heizenergie eines durchschnittlichen Niedrigenergiehauses. Die Kosten dieser Siedlungsentwicklung für die öffentliche Hand sind beträchtlich. Das „Grünbuch für eine österreichische Strategie zu einer nachhaltigen Entwicklung“, 2001 erschienen, bezifferte die Folgekosten für Infrastruktur für die folgenden zehn Jahre mit mehr als 14,5 Milliarden Euro. Aber nur 37 Prozent der Infrastrukturkosten tragen die „Häuslbauer“ über Anschlussgebühren und Abgaben selber, der Rest wird von den Gemeinden, Bund und Ländern getragen. Und selbst die direkt verrechneten Kosten werden unabhängig vom Verursacherprinzip eingenommen.

Da die Gebührenbestandteile den tatsächlichen Kostenaufwand für die Errichtung, den Betrieb und die Erhaltung der Infrastruktur nicht berücksichtigen, kommt es zusätzlich zu einer Quersubventionierung innerhalb einer Gemeinde von den (kostengünstigeren) verdichteten Siedlungsformen zu den (kostenintensiveren) dünnen Siedlungsgebieten. Die fehlende Kostenwahrheit wird auch in anderen Bereichen schlagend: Während die Transportkosten für soziale Dienste im kompakten Siedlungskörper rund 1800 Euro pro 1000 Einwohner betragen, steigen sie bei zersiedelten Gebieten auf bis zu 20.000 Euro.

Doch es sind nicht nur finanzielle und ökologische Gründe, die für ein Überdenken der bestehenden Siedlungspolitik sprechen. Die in den Nachkriegsjahren so stabil wirkenden Gesellschafts- und Familienstrukturen sind einem massiven Wandel unterworfen. Die Zahl der Scheidungen ist rasant gestiegen, die Lebenserwartung heute höher, und auch die Anforderungen der Arbeitswelt haben sich stark geändert. Unterbrochene Erwerbsbiografien werden zur Regel, Flexibilität wird zum Marktvorteil. Ergebnis ist ein sehr differenziertes soziales Gefüge, dem der bauliche Bestand nicht mehr entspricht.

Häuser besitzen bei uns eine durchschnittliche Lebensdauer von mehr als 100 Jahren, ihr Grundriss wird aber anhand kurzfristiger Lebenssituationen entwickelt, die sich später sehr oft ändern. Die Pflege des großen Hauses und des Gartens wird zur Last, die großen Distanzen zu den notwendigen Einrichtungen des täglichen Lebens stellen gerade ältere Menschen vor oft unlösbare Probleme in der Bewältigung ihres Alltags. Erfordern berufliche Veränderungen einen Ortswechsel, wird das Haus und die darauf liegende Hypothek zum Klotz am Bein. Denn ob das Einfamilienhaus eine so sichere Wertanlage ist, scheint nicht so eindeutig zu sein. Prognosen sprechen davon, dass in Zukunft viele Einfamilienhäuser von den erbenden Kindern oder zur Sicherung des Lebensstandards im Alter abgestoßen werden, sodass vor allem abseits der Ballungsräume ein Angebotsüberhang entsteht, dessen Folge ein Wertverlust der Immobilien sein wird.

Der prinzipielle Ansatz des von der S-Bausparkasse ausgelobten Preises für „Das beste Haus“ wäre ja richtig: Best practice - Beispiele zu suchen, zu prämieren und auf möglichst vielfältige Weise unter die Leute bringen; am besten direkt zu denjenigen, die auf der Suche nach einer neuen Wohnung sind. Aber bitte mit Beispielen, die verantwortungsvoll mit Ressourcen umgehen. Es geht doch darum aufzuzeigen, dass die Alternative zum frei stehenden Einfamilienhaus nicht automatisch die anonyme Mietskaserne ist. Dabei müssen die Anliegen hinter dem Wunsch nach dem Einfamilienhaus ernst genommen werden: der Wunsch nach Eigenständigkeit und Individualität, ausreichende Wohnungsgrößen, Möglichkeiten des Lagerns und Bergens, die Erbringung von Eigenleistungen und vor allem direkte und differenzierte Freiraumbezüge. Denn es sind die privaten und öffentlichen Freiräume, die eine Ansammlung von Häusern erst zu einer lebenswerten Umwelt machen.

So lange die Menschen nur Beispiele von erfüllten Lebensträumen in Einfamilienhäusern präsentiert und diese auch noch so massiv finanziell unterstützt bekommen, werden sie den Wunsch haben, darin zu wohnen. Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik wäre es zu zeigen, wie es sonst noch gehen könnte. Intelligenter, verantwortungsvoller, schöner.

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