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Sublime Einfachheit
Neue Zürcher Zeitung

John Soane und die Schweizer Holzbrücken in Mendrisio

18. Juni 2002 - Roman Hollenstein
Nicht erst Le Corbusier und andere Meister des 20. Jahrhunderts liessen sich vom Ingenieurbau inspirieren. Schon die Architekten der Frühmoderne interessierten sich für klare Formen und neue Konstruktionsweisen, und diese fanden sie vor allem bei technischen Bauten. In diesem Kontext erkannte John Soane früh schon die Bedeutung des Brückenbaus. Auf seiner Grand Tour nach Italien studierte er deshalb Jean-Rodolphe Perronets Pont de Neuilly in Paris sowie die Holzbrücken von Palladio und die von diesem in den «Quattro Libri» behandelte Brücke, die Cäsar für seine Legionen über den Rhein schlagen liess. In Rom wurde Soane dann wohl von Frederick Hervey, dem Bischof von Derry, auf die einem strengen Rationalismus verpflichteten Schweizer Holzbrücken aufmerksam gemacht, die er Ende Mai 1780 auf der Rückreise nach London vor Ort studierte. Soanes Aufmerksamkeit galt vor allem den drei kühnen Brücken, die die Brüder Johannes und Hans Ulrich Grubenmann aus Teufen zwischen 1756 und 1766 in Reichenau, Wettingen und Schaffhausen realisiert hatten. Sie waren für ihn der Ausdruck einer «sublimen Einfachheit» und nahmen später in seinen Vorlesungen an der Royal Academy eine zentrale Stelle ein, da sie «vom konstruktiven Gesichtspunkt her wirklich einzigartig sind». Obwohl die in verschiedenen Stichwerken über die Schweiz verewigten Grubenmann-Brücken den kriegerischen Ereignissen von 1799 zum Opfer fielen, blieb ihr Einfluss über Lehre und Fachliteratur in England und Frankreich so gross, dass sie entscheidende Auswirkungen auf den Eisenbrückenbau im 19. Jahrhundert hatten und eine Schweizer Brückenbautradition begründeten, die von Maillart über Ammann, Menn und Calatrava bis hin zu Jürg Conzett führt.

Der Initiative Letizia Tedeschis vom Tessiner Archivio del Moderno und Margaret Richardsons vom John Soane's Museum in London ist es zu verdanken, dass in einer kleinen, aber vorzüglichen Ausstellung in Mendrisio, die von Mario Botta eingerichtet wurde, Zeugnisse der Beschäftigung von Soane und seinen Zeitgenossen mit den Grubenmann-Brücken in kostbaren Originalen aus Bern, London, Padua, Vicenza und Zürich zu sehen sind - darunter Soanes in der Schweiz gefertigte Skizzen (die einzigen, die von seiner Grand Tour erhalten geblieben sind), die prachtvollen aquarellierten Schautafeln zur Rheinbrücke Cäsars und zu verschiedenen Schweizer Holzkonstruktionen aus Soanes Vorlesungen, aber auch eindrückliche Modelle der Grubenmann-Brücken. Wissenschaftlich untermauert wird die Schau durch den von Angelo Maggi und Nicola Navone herausgegebenen Katalog, der einen gültigen Einblick gibt in ein sonst eher wenig beachtetes architekturgeschichtliches Kapitel des Klassizismus und in die technologische Kultur des späten 18. Jahrhunderts.


[Bis zum 30. Juni im Archivio del Moderno in Mendrisio, anschliessend in Vicenza, London und Basel. Katalog: John Soane e i ponti di legno svizzeri. Architettura e cultura tecnica da Palladio ai Grubenmann. Hrsg. Angelo Maggi und Nicola Navone. Archivio del Moderno, Mendrisio 2002. 223 S., Fr. 50.-.]

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