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Lichträume zwischen Himmel und Erde
Neue Zürcher Zeitung

Mario Bottas Sakralbauten in einer Ausstellung in Florenz

1. Juli 2005 - Roman Hollenstein
Die Liebe der Italiener zum Luganeser Architekten Mario Botta ist bekannt. Sie äussert sich nicht nur in bedeutenden Bauaufträgen wie dem MART-Museum in Rovereto oder dem Mailänder Scala-Umbau, sondern auch in Ausstellungen. So zelebrierte Padua vor anderthalb Jahren neuere Hauptwerke des Tessiners in einer grossen Schau im altehrwürdigen Palazzo della Ragione; und jetzt werden Bottas Sakralbauten im jüngst renovierten Hauptsaal der Gipsoteca dell'Istituto Statale d'Arte in Florenz präsentiert.
Baukünstlerische Rhetorik

Beim Rundgang durch die Schau stellt sich unweigerlich die Frage, welcher zeitgenössische Architekt ausser Botta allein mit Gotteshäusern eine ganze Ausstellung bestreiten und darüber hinaus ein prächtiges Katalogbuch füllen könnte. Zu sehen sind nicht weniger als zehn Bauten und zwei Projekte, die zwischen den riesigen Gipsabgüssen von Giambolognas Neptun und Michelangelos David anhand von zierlichen Holzmodellen (im Massstab 1:50), Zeichnungen, Plänen und hervorragenden Grossfotos von Enrico Cano und Pino Musi vorgestellt werden.

Dem Zweifel, ob man heute überhaupt noch sakrale Räume realisieren kann, begegnet Botta, wie vor ihm schon Le Corbusier, mit der verführerischen Rhetorik seiner Werke. Obwohl Bottas Zentralbauten nach Meinung einiger katholischer Kritiker nicht wirklich auf die liturgischen Bedürfnisse eingehen, sind sie - vor allem in der italienischsprachigen Welt - bei den Kirchgängern ebenso beliebt wie bei architekturbegeisterten Laien. Denn Botta baut weder frömmelnden Kitsch noch stimmungslose Mehrzweckhallen. Vielmehr nähert er sich dem Sakralen mit den ästhetischen Mitteln von Licht- und Schattenzonen sowie sinnlichen Materialien. Das Ergebnis sind Raumgebilde, die all jene ansprechen, welche spirituelle Erfahrung suchen, und dies ganz unabhängig von einem Glaubensbekenntnis. Im Zusammenhang mit dem Bergheiligtum am Monte Tamaro meinte Botta denn auch: «Chi entra in questo spazio troverà il suo Dio.» Dennoch gelang es ihm, in Evry eine überzeugende Kathedrale und auf dem Campus der Tel Aviv University ein Meisterwerk des Synagogenbaus zu errichten.

Nicht in der Ausstellung gezeigt wird jenes Frühwerk, welches einst Bottas Interesse an der Kirchenarchitektur weckte. Es handelt sich dabei um den Umbau des Kapuzinerklosters von Lugano, dem Botta den wohl schönsten zeitgenössischen Bibliotheksraum unseres Landes anfügte. Entscheidend für Bottas Grosserfolg als Kirchenarchitekt war aber Mogno, das kleine Dorf in der Valle Lavizzara. Für dessen im Lawinenwinter 1986 zerstörtes Kirchlein schuf Botta unentgeltlich ein Projekt, das aufgrund heftiger Diskussionen erst eine Dekade später gebaut werden konnte. Der horizontal gestreifte Ovalzylinder aus Granit und weissem Marmor mit dem abgeschrägten, kreisrunden Glasdach, der die romanische Architektur des Tessins ganz neu interpretiert, stiess vor allem in Italien auf Interesse. So konnte Botta schon 1987 in Pordenone einen Neubau beginnen, der mit seinem weithin sichtbaren Konus an Le Corbusiers unvollendete Kirche von Firminy erinnert, nur dass Botta in der materiellen Umsetzung des Entwurfs den Brutalismus des Vorbilds stark milderte.
Kathedrale und Synagoge

Kurz nach diesem zeichenhaften Meisterwerk konzipierte er die würfelförmige Kirche von Sartirana, aber auch die zylinderartige Kathedrale von Evry in der Art einer monumentalen «Casa di Dio», deren Erscheinung sich - ausser im Massstab - nicht wesentlich von Bottas Wohnbauten der frühen neunziger Jahre unterscheidet, wenngleich sie sich durch das zenitale Licht im Innern ganz klar von jeglicher Profanarchitektur abhebt. Gestaltete Botta mit der baumbekränzten Kathedrale von Evry das Zentrum der Pariser Vorstadt neu, so lotete er mit der Marienkapelle am Monte Tamaro das Archaische in der Architektur aus - und erbrachte gleichzeitig den wohl sinnfälligsten Beweis für seine These, dass erst die Architektur den Ort baue. Die ins Unendliche gerichtete Aussicht erinnert hier entfernt an Louis Kahn Salk Institute. Anregungen des grossen Amerikaners wurden von Botta auch bei den jüngsten Sakralbauten weitergedacht - etwa bei der unlängst geweihten, kubisch-skulpturalen Kirche von Paderno-Seriate nahe Bergamo oder bei der Cymbalista-Synagoge in Tel Aviv, deren Verschmelzen von Kubus und Zylinder ausserdem Le Corbusier verpflichtet ist. Kahns nie realisierte Hurva-Synagoge schliesslich entwickelte Botta im Entwurf der Santo-Volto-Kirche zu einem Rundbau weiter, der demnächst in Turin gebaut werden soll.

Auch wenn Bottas Gotteshäuser wie alle seine Arbeiten von Symmetrien und primären Geometrien, von schwerem Mauerwerk und ausgekerbten Öffnungen geprägt sind, so wirken sie doch weniger formalistisch als die Profanbauten. Denn seine Architektursprache korrespondiert besonders gut mit sakralen Inhalten. So gut, dass selbst das von Botta entworfene liturgische Mobiliar in diesen Räumen erstaunlich harmonisch wirkt.

[ Bis 30. Juli in der Gipsoteca dell'Istituto Statale d'Arte bei der Porta Romana in Florenz. Katalog: Mario Botta. Architetture del sacro. Hrsg. Gabriele Cappellato. Editrice Compositori, Bologna 2005. 207 S., Euro 40.- (Euro 35.- in der Ausstellung). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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