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Unspektakuläre Interventionen
Neue Zürcher Zeitung

Tony Frettons Umbau des Camden Arts Centre in London

Das spätviktorianische Gebäude des Camden Arts Centre im Londoner Stadtteil Hampstead ist nach einem Umbau wiedereröffnet worden. Die Eingriffe des Architekten Tony Fretton geben sich bewusst zurückhaltend, überzeugen aber als Antwort auf die immer wieder aktuelle Frage, was heute ein Ort der Kunst sein kann.

15. Juli 2005 - Hubertus Adam
Auto an Auto quält sich der Verkehr in London vom Swiss Cottage durch die Finchley Road Richtung Autobahn. West Hampstead, am Fusse des Hügels gelegen, auf dem sich das idyllische Hampstead selbst befindet, hat in den vergangenen Jahren an Lebensqualität eingebüsst: Die kleinteilige Geschäftsstruktur ist verschwunden, und dort, wo neben der North London Line der Eisenbahn auch zwei U-Bahn-Linien an der Finchley Road ihre Tunnelstrecken verlassen, manifestiert sich die Unwirtlichkeit in einem überdimensionierten Shopping-Center in banalsten spätpostmodernen Formen. In dessen Sichtweite steht an der Ecke der steil zum Ortskern von Hampstead emporführenden Arkwright Road das Camden Arts Centre, ein pittoresk anmutender Ziegelsteinbau im Neo-Tudor-Stil mit sanften Anklängen an die Formensprache der Arts-and- Crafts-Bewegung.

Errichtet wurde das von einem reichen Philanthropen finanzierte Gebäude 1897 nach Entwürfen des Architekten Arnold S. Taylor als Bibliothek - und 1909 erweitert um einen Vortragssaal, verschiedene Arbeitsräume und eine Kinderbücherei. Die 1926 noch einmal vergrösserte, im Zweiten Weltkrieg aber zum Teil zerstörte Bibliothek übersiedelte in den sechziger Jahren in die neue Hampstead Library, die Basil Spence am Swiss Cottage errichtet hatte.

Architektur und Kunst

Unter dem Namen Camden Arts Centre fand der von einer lokalen Künstlerinitiative gerettete Bau eine neue Bestimmung als Ort, an dem Kunstkurse verschiedener Gattungen angeboten wurden, und erwarb sich nicht zuletzt einen Ruf durch Ausstellungen von überregionaler Bedeutung. Als im Vorfeld der Millenniumsfeierlichkeiten ein Antrag gescheitert war, das Gebäude mit Lotteriemitteln aufwendig zu erweitern, musste das Projekt redimensioniert werden. Den architektonischen Wettbewerb des Jahres 2000 konnte dann Tony Fretton für sich entscheiden - ein Architekt, der sich immer wieder mit der Beziehung von Kunst und Architektur auseinandergesetzt hat.

Eines seiner Hauptwerke ist die 1990 eröffnete Lisson Gallery im Stadtteil Marylebone: In zweigeschossiger Verglasung öffnet sich die Galerie zur Strasse, hinter dem Beton der weitgehend geschlossenen Geschosse darüber befinden sich Wohnungen. Puristisch konzipiert, ist die Lisson Gallery dennoch frei von minimalistischem Edelschick. Vorangegangen waren dem Bau ausgiebige Gespräche mit Künstlern wie Julian Opie, Tony Cragg und Anish Kapoor - für Letzteren baut Fretton derzeit ein Atelierhaus.

Mit Gesprächen begann auch die Arbeit am Camden Arts Centre. Das Architekturbüro MUF wurde beauftragt, Interviews mit allen Beteiligten zu führen - auch und vor allem mit den Besuchern und Nutzern. Es ergab sich, dass man keinen superben Umbau, sondern etwas mehr Annehmlichkeit wünschte. Fretton hat diese Aufgabe überzeugend, aber bewusst unspektakulär gelöst.

Absage an die Label-Architektur

Der eigentliche Eingriff ereignete sich im Sockelgeschoss, in dem zuvor Lager, Verwaltung und ein Keramikstudio untergebracht waren. Fretton schloss den bisherigen, von einer doppelläufigen Treppe erschlossenen Eingang in das Hauptgeschoss und schnitt links davon einen mit einem gläsernen Vestibül versehenen Zugang in den Sockel. Roter Terrazzo schafft eine zurückhaltend-warme Atmosphäre, auf der einen Seite befindet sich der Kassentresen, auf der anderen Seite ein Bookstore. Dem gläsernen Vestibül antwortet auf der Rückseite des Gebäudes ein ebenfalls neu entstandener Cafépavillon; von der vorgelagerten Freifläche aus, die von MUF gestaltet wurde, blickt man in den Garten oder auf die Strasse, die durch eine gläserne Aussparung in der Grundstücksbegrenzung sichtbar geworden ist. Fast unsichtbar zeigen sich die Eingriffe in den Obergeschossen: Die zwei historischen, zur Arkwright Road hin ausgerichteten Säle wurden mit Klimaanlage und Verdunkelungssystem versehen, der grosse Saal auf der Rückseite erhielt neue Oberlichtschächte. Weiss getünchte, schlichte Wände schaffen eine zurückhaltende Atmosphäre, die den Anforderungen an einen heutigen Ausstellungsbetrieb entspricht.

Der Umbau des Camden Arts Centre ist das Gegenteil dessen, was Label-Architektur heute vermag. Neu und Alt sind hier nicht getrennt, sondern beiläufig miteinander verschliffen. Fretton hat den spätviktorianischen Charme des Gebäudes erhalten und sich selbst dezent zurückgehalten, ohne sich formaler Anbiederung zu befleissigen. Ein Ort der Kultur ist wiedererstanden - für die Bewohner des Stadtteils und die Besucher aus der Ferne.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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