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Die Magie des Ortes
Neue Zürcher Zeitung

Jean Nouvel im Louisiana Museum bei Kopenhagen

Seit dem Bau des Kultur- und Kongresszentrums Luzern gilt Jean Nouvel hierzulande als Garant für Spitzenarchitektur, obwohl er längst nicht mehr im Zentrum des Architekturdiskurses steht. Zurzeit arbeitet er an Grossprojekten in Paris, Madrid, Minneapolis - und in Kopenhagen, wo er nun sein Werk in Form eines Manifestes präsentiert.

16. Juli 2005 - Roman Hollenstein
Zwei aussergewöhnliche Bauwerke bilden die Eckpfeiler von Jean Nouvels Schaffen: das mit orientalisierendem Hightech kokettierende Institut du Monde Arabe von 1987 in Paris und das mit seinen komplexen Durchblicken und Spiegelungen nach dem Immateriellen strebende Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL). Auch wenn dieses seit seiner Fertigstellung im Jahr 2001 den internationalen Architekturdiskurs nur marginal beeinflusst, erfreut es sich noch immer grosser Popularität. Denn es gibt wohl nur wenige Gebäude, welche der Stadt, in der sie stehen, so sehr schmeicheln wie dieses vielschichtige Werk. In seiner Formensprache antwortet es den umliegenden Bauten, während die präzis gesetzten Öffnungen die Stadtlandschaft zu Postkartenbildern verdichten. Ausserdem fehlt dem KKL auf angenehme Weise die Selbstverliebtheit von Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao, jener anderen im Wettstreit der Städte oft beschworenen Architekturikone. Das eigentliche Gegenstück zu Gehrys hell glänzendem Musentempel am trüben Nervión ist Nouvels Gerichtsgebäude an der Loire in Nantes. Das in seinem Inneren schwarz und rot glitzernde Gebäude mit dem sich vielfach reflektierenden Gitterwerk wirkt wie eine filmartige Bildsequenz über Rechtsstaat und Justiz.

Architektur als Film

Wie in Luzern benutzte Nouvel in Nantes und nun auch bei der im Bau befindlichen Erweiterung des Reina-Sofia-Museums in Madrid ein weit auskragendes Dach, unter dem er alle Baukörper zu einer Grossform vereint - eine Geste, die schnell von anderen Architekten vereinnahmt wurde. So gleicht das jüngst von 3XNielsen in Amsterdam vollendete Muziekgebouw einer schlechten Kopie von Nouvels KKL, und auch die vom namhaften dänischen Architekten Henning Larsen entworfene neue Oper von Kopenhagen ist nur ein phantasieloser Abglanz des Luzerner Meisterwerks. Gleichsam als Entschädigung für diesen Ideenraub darf Nouvel nun das neue Konzerthaus des Dänischen Rundfunks in Ørestad errichten. Nach seinen Plänen entsteht in der gesichtslosen, auf halbem Weg zum Kopenhagener Flughafen liegenden Neustadt ein bald von Claude Parent, bald von Hans Scharoun angeregter, kubistisch-skulpturaler Findling, welcher der anonymen Umgebung eine eigene Identität verleihen soll. In der Auseinandersetzung mit dem Ort sieht Nouvel, in dessen architektonischer Recherche neben Bildern aus Science-Fiction-Filmen stets auch der gebaute Kontext eine wichtige Rolle spielt, die Möglichkeit, jener Anonymität der globalisierten Stadt und jenem seelenlosen Chaos von Suburbia entgegenzuwirken, die beispielsweise Rem Koolhaas so sehr faszinieren.

Nun erhielt der Franzose, der am 12. August seinen 60. Geburtstag feiern kann, im Rahmen einer Ausstellung im Louisiana Museum die Gelegenheit, öffentlich Position zu beziehen gegen eine vom historischen, kulturellen, sozialen, städtebaulichen oder landschaftlichen Kontext losgelöste Architektur, wie sie heute überall auf der Welt wie Unkraut spriesst. Angeregt durch die Harmonie des an den Ufern des Øresund in Humlebæk bei Kopenhagen gelegenen Kunstzentrums, erklärte Nouvel seine Schau kurzerhand zum «Louisiana Manifesto» und ruft nun dazu auf, von diesem Ort zu lernen. Dazu setzt er mittels eines Pavillons mit gezielt placierten Fenstern die parkartige Anlage in Szene und ermöglicht es den Besuchern, von einem neu erstellten Steg aus erstmals das meerseitige Panorama von Louisiana zu geniessen.

Den Auftakt zur eigentlichen Ausstellung macht der «Copenhagen Room» in der alten Villa. Er ist ganz Nouvels Ørestad-Projekt gewidmet, das 2007 eingeweiht werden soll. Kopflastiger wird es dann im unterirdischen Ausstellungsbereich, in dessen Zentrum der «Manifesto- Raum» steht. Stapel von Ausstellungszeitungen und Plakaten mit Abbildungen seiner wichtigsten Bauten auf der einen und seinem Manifest auf der anderen Seite fordern hier zur Selbstbedienung auf, während an den Wänden bombastische Sätze eine Neubesinnung in der Architektur fordern. Wer sich Pläne und Modelle erhofft hat, wird enttäuscht. Stattdessen präsentiert Nouvel in der anschliessenden «Porträt-Galerie» - wie schon vor vier Jahren im Centre Pompidou - leuchtende Dias und Farbfotos. Sie erlauben ein Wiedersehen mit «emblematischen» Bauten wie dem raumschiffartigen Nemausus-Studentenwohnhaus in Nîmes (1988), dem an rostige Tabakscheunen gemahnenden Hotel Saint-James bei Bordeaux (1989), der würdevollen Aufstockung des Opernhauses von Lyon (1993) oder der fast körperlos wirkenden Fondation Cartier (1995) in Paris.

Im Durchgangsraum, der sich tunnelartig zum Meer hin öffnet, bleibt einem kaum Zeit, sich ein Bild der gegenwärtigen Baustellen des Guthrie Theater in Minneapolis, des Musée Quai Branly in Paris und der Reina-Sofia-Erweiterung in Madrid zu machen. Denn hier wird der Blick hinabgezogen in eine überhohe Halle, deren Wände mit grossformatigen Comics französischer und belgischer Zeichner tapeziert sind. Eine Bildsequenz zeigt, wie Nouvel nach einem Himmelssturz sanft auf einem Orangenwagen landet, um anschliessend Valencia mit seiner megalomanen Delta-Park-Vision zu beglücken. Eine andere führt durch Nouvels Pariser Hallen-Projekt, welches das Herz der Seinestadt in ein Raumgebilde à la «Star Wars» hätte verwandeln sollen. Betont menschenfreundlich wird Nouvel dann im künftigen Alcantara-Viertel in Lissabon dargestellt, für welches er eine sanfte Bebauung mit Wohnungen, Ladengeschäften und Büroräumen konzipiert hat: Fassaden mit Azulejo-Mustern, rankenden Pflanzen und wehenden Vorhängen umschliessen Höfe mit künstlichen Wasserfällen und wecken ein südländisches Stadtgefühl. Nouvels Motto, «Jede neue Situation verlangt nach einer neuen Architektur», überzeugte selten so wie hier.

Flüchtige Erscheinung

Weniger human als das Alcantara-Projekt gibt sich die Torre Agbar in Barcelona, der man derzeit auch im Dänischen Architekturzentrum in Kopenhagens Gammel Dok im Rahmen der aus Düsseldorf übernommenen Ausstellung «Dream of Tower» (3. 12. 04) begegnen kann. Im Betonkäfig dieses raketenartigen, mit bedrucktem Glas umhüllten Riesenphallus kriegt sogar Nouvel Migräne, wie aus dem vieldeutig betitelten Kurzfilm «Gaudir Nouvelle» des spanischen Regisseurs Bigas Luna hervorgeht. Der Betrachter aber zerbricht sich den Kopf darüber, ob Nouvel mit diesem nicht wirklich gelungenen Hochhaus zu seinem jugendlichen Rebellentum zurückfinden wollte, als er als Vorkämpfer einer architektonischen «Nouvelle Vague» mit frechen baukünstlerischen Statements zu irritieren suchte. Trotz ihren Schwächen vermag sich einem aber auch die Torre Agbar - wie alle Bauten von Nouvel - als flüchtig aufflackernde Erscheinung ins Gedächtnis einzuprägen.

[ Bis 18. September im Louisiana Museum in Humlebæk bei Kopenhagen. Statt eines Katalogs werden gratis eine Ausstellungszeitung und ein Poster mit Nouvels Manifest abgegeben. - Die Ausstellung «Dream of Tower» im Dänischen Architekturzentrum in Kopenhagen dauert bis Anfang Oktober. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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