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Ohne Maß und Ziel kein Plan
Der Standard

Die kleine Großstadt Wien bekommt in den nächsten Jahren noch ein paar hohe Häuser in den Stadtfrack geflickt. Internationale Architekturstars geben sich dabei etwas zickig.

16. Juli 2005 - Ute Woltron
„Von vorn betrachtet sieht ein Haus meist besser als von hinten aus“, wagte bereits Wilhelm Busch anzumerken. In der zeitgenössischen Architekturproduktion ist diese „Hinterseite“ des Hauses der Planungsprozess, der natürlich auch seine hübschen, aber auch seine komplizierteren Seiten zeigen kann. Das Ringen von Investoren und Nutzern, von Architekten und Bauherren um Quadratmeterpreise und Mietvereinbarungen bereits während der Planungsphase wird kaum je dokumentiert, obwohl gerade dieser Prozess die spätere Architektur aktiv mitformt. Das Zusammenspiel ist äußerst kompliziert, schlecht ausgetragene Reibereien und missliche Kompromisse setzen sich im Gebauten fort wie genetische Defekte.

Wien bekommt beispielsweise in den nächsten Jahren eine Reihe neuer Hochhäuser verpasst. Derzeit sitzen drei internationale und berühmte Architekten an Plänen für Tower in der Donaucity und am Donaukanal. Jean Nouvel wird, wie bereits im STANDARD berichtet, für die Uniqa-Versicherung einen Büro-Hotel-Geschäftsbau in Nachbarschaft zu Hans Holleins Generali-Gebäude am Donaukanal errichten. Sein Landsmann Dominique Perrault baut ein Wohn-Büro-Hochhaus in der Donaucity, die Schweizer Kollegen Herzog & de Meuron stellen einen zweiten Turm gleicher Nutzung daneben auf.

DER STANDARD zeigt hier erstmals die lang erwarteten Visualisierungen der beiden neuen WED-Türme, die nicht zuletzt die Stadtsilhouette prägen sollen - und zwar gemeinsam, quasi in Absprache miteinander. Dominique Perrault, dessen wettbewerbsprämierter Masterplan für die Donaucity im Jahr 2002 das ursprüngliche städtebauliche Leitbild für dieses derzeit größte und wichtigste Stadtentwicklungsaral ablöste, darf den höchsten Turm bauen: Der hier vorgestellte 200 Meter hohe Entwurf ist nach Angaben von WED-Chef Thomas Jakoubek in etwa der 50. Der von Herzog & de Meuron (160 Meter) immerhin schon der 30. Warum? „Weil es eine Herausforderung für uns ist, mit beiden Architektenteams, die wir für sehr gut halten, eine unseren Anforderungen entsprechende Lösung zu finden“, sagt Jakoubek, und zu diesen Anforderungen zählt eben auch die kombinatorische Qualität des Hochhaus-Ensembles.

Dass der Immobilienmanager schwierige Projekte erfolgreich abwickeln kann, hat er unter anderem mit Günther Domenigs viel beachtetem T-Center an der Tangente unter Beweis gestellt. Die architektonische Skulptur Domenigs prägt die Stadtlandschaft dort auf äußerst wohltuende Weise, die Baukosten explodierten wider Erwarten vieler nicht, und das Haus ist solchermaßen konzipiert, dass etwaige Nachnutzungen laut Jakoubek keine gröberen Probleme darstellen werden.

Auch die Superstars Perrault und Herzog & de Meuron müssen im Dienste der Stadtansicht und natürlich auch der Vermietbarkeit ihre Entwürfe nun pfleglich aufeinander abstimmen, doch eine Tendenz zur Zickigkeit ist in der Gilde der Weltberühmten offenbar Trademark, und es entbehrt nicht einer gewissen Peinlichkeit, wenn die einen den Entwurf des anderen aus Visualisierungen einfach digital wegradieren. Worüber sich Jakoubek im Übrigen hinwegsetzt, denn erstens ist Architektur immer auch öffentliches Anliegen, und zweitens wird vonseiten der Investoren viel Geld dafür in die Hand genommen. Perraults Turm ist mit rund 120 Millionen Euro veranschlagt, der von Herzog & de Meuron mit etwa 100 Millionen.

Auch wenn die Architekten zu einem Miteinander finden sollten, bleibt die Donaucity-Bebauung doch dispers, zerrissen und als Stadtraum reichlich unattraktiv. Jakoubek verweist auf die Bemühungen der WED, Plätze, Wege, Straßen zu optimieren, man möge das Endresultat abwarten, sobald die letzten Lücken geschlossen seien. Perraults Entwurf könnte Ende 2006 in Bau gehen, der Nachbarturm je nach Marktsituation rund zwei Jahre später.

Wie man mit dem Projekt eines Kollegen allerdings bestens Umgang pflegen kann, bewies Kollege Jean Nouvel unlängst mit seinem Wettbewerbssieg für das Hotel-Büro-Projekt der Uniqa am Donaukanal. Der Franzose, der den Bauplatz und seine Umgebung bereits im Rahmen des von Hans Hollein gewonnenen und realisierten Wettbewerbs für den Generali-Tower genauestens studiert hat, lieferte eine Fingerübung erster Güte ab. Sein Entwurf bildet - und zwar in äußerst kommunikativer Manier mit dem Nachbarturm - ein attraktives, sehr fein konzipiertes Portal zum zweiten Wiener Gemeindebezirk. Oder auch zur Innenstadt, wie man will.

Nouvel nahm Holleins Fassadenschräge geschickt in seine Planungen auf, ordnete den Mikro-Stadtraum elegant nach funktionellen Kriterien und hielt sich dabei strikt an die vorgegebene Ausschreibung. Die Uniqa verfügt als Bauherrin über vorzügliche Architekturexperten, denen man den Spaß an der Sache anmerkt. Sie pflegt eine rege Kommunikation mit den Wiener Planungschefs - und obwohl stets gemeckert wird, in Wien ginge architektonisch überhaupt nichts weiter, zeigt sich diese Kooperation deutlich fruchtbar. Jean Nouvel ist ein eigensinniger Architekt, der bereits ein paar Meisterwerke abgeliefert hat - das Institut du Monde Arabe in Paris beispielsweise - und es wird spannend sein, die weitere Genese dieses 4-Stern-Plus-Hotelgebäudes an der Kante zur sorgfältig behüteten Wiener Innenstadt zu verfolgen.

Wie die Landmarkbildung in der Donaucity voranschreiten wird, lässt sich dagegen noch nicht genau vorhersagen, weshalb wir uns an dieser Stelle präzisere Interpretationen der vorliegenden Entwürfe versagen. Nur so viel: Perraults grob in Triangeln facettierter Turm ist derweilen noch auf der Suche nach der Eleganz des Bank of China-Hochhauses eines I.M.Pei. Und Herzog & de Meurons Nachbar braucht dringend eine sinnvolle Fassadengestaltung, will man ihn nicht der totalen Uninspiriertheit zeihen. Doch Jakoubek meint, alles sei derzeit im Flusse und die Kommunikation mit den Planern äußerst intensiv. Was bleibt, sind die Vorgaben: „Die Häuser müssen funktionieren, sie müssen gut ausschauen und sie müssen zur Landmarkbildung in der Donaucity maßgeblich beitragen. Diese Anforderungen werden von Architekten im Allgemeinen selten bis nie verstanden, aber wir geben die Hoffnung nicht ganz auf.“ Selbstdarstellungstendenzen mancher Architekten seien „nicht zu übersehen“, doch schließlich würden die Investoren das „Letztrisiko der ganzen Geschichte“ tragen.

Ob die Universität für angewandte Kunst ebenfalls in ein neues Haus von Coop Himmelb(l)au in der Donaucity übersiedeln wird, soll ein derzeit laufendes Standortbegutachtungsverfahren klären. Eine Kooperation mit der Kunsthalle Wien und einem neuen „Haus der Kulturen“ wird gemeinsam angedacht.

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