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Aufbruch in der Zukunftsstadt
Neue Zürcher Zeitung

Junge Architekten bauen an einem neuen Biel

Seit der stürmischen Industrialisierung im 19. Jahrhundert erlebte Biel immer wieder architektonische Expansionsphasen, als deren Leitbauten das Volkshaus und das Kongresshaus gelten. Heute bemüht sich die vor einem Jahr mit dem Wakker-Preis geehrte Stadt um eine Verdichtung nach innen, bei der vor allem die junge Szene Zeichen setzt.

5. August 2005 - Roman Hollenstein
Vom urbanistischen Standpunkt aus gesehen zählt Biel zu den interessantesten Städten der Schweiz. Geprägt von einer wechselhaften wirtschaftlichen Entwicklung, dehnte sich die «Zukunftsstadt» in den letzten 150 Jahren schubweise aus, ohne dabei die bereits bestehenden Teile gross zu tangieren. So besitzt Biel eine in ihrer Substanz weitgehend intakte Altstadt. An diese schmiegt sich die gut erhaltene, beidseits der Quai-Promenaden am Schüss-Kanal in Richtung See ausgreifende Stadt des 19. Jahrhunderts an mit dem grossstädtischen Zentralplatz, mit Wohnquartieren und dem spätklassizistischen Museum Schwab als architektonischem Leitbau. Die 1912 beschlossene Verlegung der Gleisanlagen nach Südwesten schuf dann Freiraum für eine nächste Stadterweiterung, deren Wahrzeichen 1932 das Volkshaus von Eduard Lanz am Guisanplatz werden sollte. Zwischen diesem Kristallisationskern und dem neuklassizistischen Bahnhof entstand ein einheitlich modernes Viertel - geprägt von lateinisch anmutenden, grossstädtischen Hofrandbebauungen mit doppelt abgetreppten Attiken.

Urbanistische Utopien

Diese geschlossene Stadtanlage wurde in den Wirtschaftswunderjahren verunklärt durch die Solitäre des Hotels Palace und des Kongresshauses, welches 1966 von Max Schlup als flacher Hallenbau mit Turmhaus vollendet wurde. Dieses skulpturale Meisterwerk sollte als Blickfang eines auf dem anschliessenden Gaswerkareal zu realisierenden Stadtzentrums einen neuen Aufbruch signalisieren. Doch diese Vision scheiterte ebenso wie die von Fritz Haller vorgeschlagene Neubebauung der Quais entlang des Schüss-Kanals mit Hochhäusern, die Biel in einer grossen Geste bis an das Seeufer hätten führen sollen.

Längst ist man von solch hochgemuten städtebaulichen Utopien abgekommen. Stattdessen setzt die als Swatch-Metropole zu neuem Selbstbewusstsein gelangte Stadt seit Mitte der neunziger Jahre auf gezielte Interventionen, die meist von jungen, mit dem internationalen Architekturdiskurs bestens vertrauten Architekten konzipiert werden. Am Anfang stand der Wunsch nach einer Aufwertung der Innenstadt, der wegen der zu erwartenden Konkurrenz des 2001 eröffneten Shoppingcenters Carrefour im Bözingenfeld, aber auch wegen der Expo 02 zu einer städtebaulichen Hauptaufgabe wurde. Diese umfasst die Neugestaltung wichtiger Platz- und Strassenräume sowie Neubauten, aber auch Renovationen in der Art des bereits Ende der achtziger Jahre von einer Arbeitsgemeinschaft um den Bieler Architekten Henri Mollet vorbildlich revitalisierten Volkshauses. Viel beachtet wurden die einfühlsam moderne Neugestaltung der «Hasard Bar» (1994) an der Bahnhofstrasse sowie der mit einer neuen Platzgestaltung verbundene Kasino-Umbau (1998) beim «Palace»-Hochhaus. Sie stammen von Bauzeit, dem heute wohl bekanntesten Bieler Büro. Vor drei Jahren konnte dann die Sanierung des Kongresshauses durch Rolf Mühlethaler aus Bern abgeschlossen werden; und 2004 wurde der vom Wiener Karl-Marx-Hof inspirierte Brühlhof an der Mattenstrasse einem sorgfältigen Facelifting durch Spaceshop unterzogen.

Einen ersten phantasievollen Eingriff in den Strassenraum nahm 1996 das inzwischen aufgelöste Büro Gebert Liechti Schmid mit dem Boulevardcafé «Chez Rüfi» an einer Querstrasse zur Nidaugasse vor. Diese von der Altstadt zum Zentralplatz führende Einkaufsmeile wurde zwischen 1997 und 2002 nach einem von Bauzeit und Simon Binggeli erarbeiteten Konzept mittels Lichtmasten und einheitlicher Bodenbeläge in einen zusammenhängend erfahrbaren Raum verwandelt. Im Rahmen dieser Transformation, die bis zum Bahnhof weitergezogen werden sollte, bildet der Zentralplatz ein Scharnier. Er wurde 2002 von einer Arbeitsgemeinschaft unter Gebert Liechti Schmid durch eine farblich hervorgehobene Bodengestaltung, eine zurückhaltende Bepflanzung, eine beruhigte Verkehrsführung sowie durch die Verlegung des Brunnens und des denkmalgeschützten Art-déco-Tramhäuschens aufgewertet. Gleichzeitig errichtete Henri Mollet im Südosten des Platzes das Geschäftshaus «Central», das mit seinem runden Eckturm die Bieler Moderne neu zu interpretieren sucht. Der formal leider nicht ganz geglückte Bau erweist sich als ein Vertreter jener dekorativ historisierenden Architektur, wie sie in den letzten Jahren vor allem im Bahnhofquartier - etwa mit dem 1996 vollendeten Swisscom-Gebäude von Andry & Habermann - aufgekommen ist.

Baukünstlerisch weit subtiler ist die von Kistler & Vogt im Hinblick auf die Expo 02 ebenfalls beim Bahnhof realisierte Parkgarage. Sie wird durch ein Oberlicht, das an eine kistenförmige minimalistische Skulptur erinnert, erhellt und leuchtet nachts wie eine Laterne. Von diesen Architekten stammt auch die unter der Gleisanlage hindurchführende, sich Richtung See perspektivisch weitende Passage. Sie verbindet den Bahnhofplatz - der nach einem 2004 gekürten Wettbewerbsprojekt von Bauzeit und Binggeli durch einen neuen Belag und Kleinarchitekturen aufgewertet werden soll - mit dem vor drei Jahren eingeweihten Robert-Walser-Platz. Das aus drei hintereinander gestaffelten, spitz in Richtung See weisenden Raumsequenzen bestehende Platzgefüge wurde von Bart & Buchhofer als ein die industrielle Vergangenheit des Ortes beschwörender, aber exakt strukturierter Eschenhain inszeniert mit zentraler Kiesfläche, zwei langen Sitzbänken, Trinkbrunnen und an «Bahn-Oberleitungen» aufgehängten Leuchtkörpern. Für eine räumliche Definierung des Platzes mittels Bäumen entschieden sich die Architekten nicht zuletzt deswegen, weil dessen architektonisches Erscheinungsbild, abgesehen vom Haifischschlund der Bahnunterführung, dem Medienhaus von Gebert Liechti Schmid und Mäder sowie der einstigen, aus dem Jahr 1948 datierenden General- Motors-Wagenhalle, noch nicht feststand.

Architektonischer Aufbruch

Nun soll bis 2007 ein Aushängeschild der jungen Bieler Szene neben dem Medienhaus errichtet werden. Es handelt sich dabei um den von vertikalen Blenden rhythmisierten Glasbau der Kaufmännischen Berufsschule Biel, mit dem das junge, durch das Erweiterungsprojekt des Historischen Museums Bern bekannt gewordene Architektenteam :mlzd sein erstes bedeutendes Werk in Biel realisieren kann. Damit dürfte der Robert- Walser-Platz bald schon zu einem Symbol für Biels architektonischen Aufbruch werden. Dieser wurde durch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren möglich. Entscheidend war die durch Studienaufträge und Wettbewerbe betriebene Architekturförderung unter Baudirektor Ulrich Haag. Man kann daher dem neuen Baudirektor, Hubert Klopfenstein, nur empfehlen, das Engagement seines Vorgängers weiterzuführen. Zum guten architektonischen Klima trägt aber auch die Tatsache bei, dass keine übermächtigen Büros den kreativen Jungarchitekten, die oft auch ausserhalb der Stadt erfolgreich tätig sind, vor dem Licht stehen. Dank der Kleinräumigkeit, aber auch der Tätigkeit des Architekturforums kennen sich hier die Architekten, tauschen sich ohne Angst vor Ideendiebstahl aus und bilden für gewisse Projekte immer wieder büroübergreifende Teams. Bedauerlich ist nur, dass die Architekturschule der HTL Biel jüngst nach Burgdorf verlegt wurde. Massstäbe setzen aber weiterhin zwei 1999 eröffnete Hauptwerke der neuen Deutschschweizer Architektur: die Holzfachschule von Meili & Peter sowie die Erweiterung des Centre Pasquart von Diener & Diener. Diesem vielbeachteten Kulturbau antwortete 2003 Bauzeit mit der Renovation und Erweiterung des spätklassizistischen Museums Schwab.

Hier wird am Einzelobjekt jener Hang zur Verdichtung nach innen deutlich, der auch in den städtebaulichen Entwicklungsschwerpunkten auszumachen ist. Erwähnt sei das nordöstlich an das Kongresshaus anschliessende und bis auf den als Jugendzentrum genutzten Gaskessel geräumte Gas- und Drahtwerk-Areal. Nachdem hier die optimistischen Planungen der sechziger Jahre gescheitert sind, soll das Gelände nun in einem neuen Anlauf mit kammartigen und L-förmigen Wohn- und Bürobauten so bebaut werden, dass eine 300 Meter lange, geschlossen auf das Kongresshaus ausgerichtete Esplanade entsteht, in deren Mitte sich weiterhin die Halbkugel des Jugendzentrums erheben soll. Von hier schweift jetzt der Blick noch ungehindert in Richtung Industriequartier, wo sich im Vorjahr auf einem Bürobau an der Mattenstrasse ein zwischen technoider Zeltarchitektur und silberglänzendem Raumschiff oszillierendes Objekt niedergelassen hat. Dieser attraktive Dachaufsatz von Sollberger & Bögli ist nur einer der Auf- und Anbauten, die jüngst in Biel entstanden sind. So schnitten etwa Bart & Buchhofer einem kleinen Einfamilienhaus an der Neuenburgstrasse das Giebeldach ab und stockten es um ein möbelartiges, der Ästhetik der siebziger Jahre verpflichtetes Volumen auf. Henri Mollet hingegen setzte mit einem roten Kubus einen frischen Akzent zwischen altehrwürdige Chalets im Rebbergquartier am Jurahang. In einen Dialog mit diesem Würfel treten weiter südlich ein im Holzelementbau errichtetes Wohnhaus von Markus Bolliger und bald wohl auch eine von SPAX geplante, holländisch-exzentrisch anmutende Stadtvilla. Auf Wohnhäuser anderer Bieler Architekten trifft man zudem in benachbarten Seegemeinden wie Ipsach, Sutz oder Twann.

Tradition des Wohnungsbaus

Einen ähnlichen Blickfang wie die Villen am Jurahang bilden die hoch am Berg die Dorfkante von Magglingen markierenden Gebäude des Bundesamtes für Sport: die alte Schulanlage, die von Spaceshop in einem zeitgemässen Idiom aufgefrischt und erweitert werden soll, die Spielsporthalle von Bauzeit und der Bellavista-Neubau von Leimer & Tschanz. - Schaut man von Magglingen aus hinunter auf die Stadt, so kann man sich schon jetzt die künftige Kongresshaus-Esplanade als neues Herz von Biel vorstellen. Bereits steht an deren nordöstlichem Ende ein sich winkelförmig zur renaturierten Schüss hin öffnender Wohnblock von Kistler & Vogt, auf den südwärts ein Neubau derselben Architekten mit Alters- und Mietwohnungen folgen soll. Schon vor diesen Projekten konnte dieses Büro mit einem aus Duplex- und Geschosswohnungen bestehenden Riegel samt Attika und weit vorspringenden Balkonen die Initialzündung zur Wohnsiedlung Löhre geben, während Bauzeit zusammen mit anderen Architekten gerade eben die Wohnanlage Madretschried fertigstellte. Diese Bauten lassen Erinnerungen an die goldenen Zeiten der Bieler Wohnbauförderung aufkommen, von der noch heute Arbeiten von Eduard Lanz zeugen.

Weit fortgeschritten ist inzwischen die Bebauung des Renfer-Areals, wo auf einer ehemaligen Lagerfläche südöstlich der 1998 von Simon Binggeli umgebauten Renfer-Villa neben durchschnittlichen Renditebauten auch drei bemerkenswerte, kubisch-einfache Reihenhauszeilen der Architektengemeinschaft Bauzeit, Joliat & Suter sowie Molari & Wick entstanden. Ihnen antworten jenseits der Schüss zwei Wohnblöcke mit Eigentumswohnungen des Berner Büros Matti Ragaz Hitz, die mit ihren grosszügigen Aussenräumen etwas Mondänes in diese ehemalige Industriezone bringen. An die ehemals gewerbliche Nutzung des Areals erinnert 200 Meter flussaufwärts noch immer eine rittlings über der Schüss am Eingang zur Taubenloch-Schlucht errichtete Fabrikanlage, die möglicherweise umgebaut und saniert wird. Auf dem Bieler Bauamt überlegt man sich zudem, ob man im Zuge der städtischen Verdichtung von Bözingen und der Erneuerung der Bieler Sportanlagen das Fussball- und das Eisstadion in die Nähe des Renfer-Areals verlegen soll.

Fehlender Mut am See

Mehr städtebaulichen Zündstoff als die Projekte im Bözingen-Quartier dürften die Planungen am See bieten. Soll doch nach der Eröffnung der Umfahrungsautobahn der Bereich von der Aarbergstrasse bis zum Hafen restrukturiert werden - allerdings nur moderat. Dabei böte sich hier die Möglichkeit, zwischen dem prachtvollen, 1932 vom damaligen Bieler Stadtbaumeister Otto Schaub vollendeten und jüngst von Joliat & Suter mustergültig renovierten Strandbad und dem Jurahang eine architektonische Fassade zum See hin zu realisieren, wie sie auch andere Schweizer Städte aufweisen. Dabei könnte im mittleren Teil des Europaquais durch eine als Platz am Ufer inszenierte Baulücke der Blick von der Grünanlage des Strandbodens auf den Bielersee weiterhin gewährt werden. Wichtige Denkanstösse für eine derartige Stadterweiterung gaben die tanzenden Expo-Türme von Coop Himmelb(l)au sowie der im Expo-Jahr veranstaltete Wettbewerb für einen Hotelturm an der Neuenburgstrasse. Die Verwirklichung der vor 100 Jahren schon einmal erträumten Seestadt könnte Biel und seinen Architekten ganz neue Horizonte öffnen. Gleichsam eine Art Auftakt dazu macht das trendige, entfernt an Arbeiten des Rotterdamer Büros MVRDV erinnernde Zweifamilienhaus von Leimer & Tschanz an der seenahen Gwerdtstrasse.

[ Eine Übersicht über die Bieler Architektenszene gibt vom 14. August bis 18. September eine Ausstellung des Architekturforums im Centre PasquArt in Biel. Dazu erscheinen ein Katalog und der Architekturführer «Biel» zum Preis von je Fr. 20.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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