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Ein frischer Wind aus Westen
Neue Zürcher Zeitung

Ansätze zu einer neuen Architektur in Warschau

Das seit einigen Jahren sich rasch wandelnde Stadtbild Warschaus wird geprägt von öden Brachflächen, Einkaufszentren und modischer Kommerzarchitektur. Erste Zeichen eines «Architekturfrühlings» gehen nun aber von den beiden massstabsetzenden Botschaftsgebäuden der Niederlande und Deutschlands aus.

8. August 2005 - Klaus Englert
Eine deutsche Architekturzeitschrift verhiess kürzlich den Warschauer Frühling. Das war eine gewagte Prophezeiung. Denn die massgeblichen Impulse zur Stadterneuerung fehlen auch sechzig Jahre nach der Totalzerstörung durch die deutschen Besatzungstruppen noch immer. Die wiedererrichtete Altstadt wird wie eine Schatztruhe gehütet, während das Zentrum im Spannungsfeld von stalinistischem Kulturpalast, grossstädtischen Brachflächen, modischer Kommerzarchitektur und dem neuen Shoppingcenter Zote Tarasy zerrieben wird.

Der Stadt die Seele wiedergeben

Warschaus Bauvorsteher Tomasz Zema befürchtet sogar, die Mall des Kaliforniers Jon Jerde, von dem die weltweit grössten Einkaufszentren stammen, werde nach ihrer Fertigstellung grosse Teile des städtischen Lebens in sich aufsaugen und die Verödung der Stadtteile jenseits der Weichsel forcieren. Zema ist auch eher pessimistisch gestimmt, wenn er auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Bauamtes angesprochen wird: «Bis heute ist es uns nicht gelungen, der Stadt ihre Seele wiederzugeben. Das neue Zentrum ist lediglich virtuell, es ist übersät mit leeren Flächen und temporären Gebäuden. Auch die infrastrukturelle Verbindung zwischen den einzelnen Stadtvierteln lässt zu wünschen übrig.»

Selbstverständlich weiss Zema, dass architektonische Projekte in Osteuropa nur dann eine Chance auf Verwirklichung haben, wenn das Geld von ausländischen Investoren kommt, die ihre eigenen Architekten mitbringen. So war es mit der niederländischen ING-Bank und dem Mall-Spezialisten Jerde, der das monströse Shoppingcenter frech zwischen Kulturpalast und Bahnhof setzte. Ähnlich verhält es sich mit dem gerade entstehenden Büroturm von Skidmore, Owings & Merrill, der von mehreren ausländischen Investoren finanziert wird. Oder mit Norman Fosters Bürogebäuden am nördlichen Rand des legendären Pisudski-Platzes. Zwar gehören sie zu jenen trendigen Stahl-Glas-Konstruktionen, die man mittlerweile als Dutzendware in fast allen westeuropäischen Städten findet. Aber die Warschauer Stadtplaner sehen in dem Bauwerk den Anfang einer umfangreichen Stadterneuerung und hoffen auf eine Renaissance des «Warschauer Dreiecks». Momentan ist von dem Aufbruchsgeist noch wenig zu spüren, aber bereits in Kürze beginnen die Bauarbeiten, die dem Geschäftszentrum rund um den Pisudski-Platz das grossstädtische Flair wiedergeben sollen.

Nach der Fertigstellung von Fosters Bürobauten verbleibt noch die Umsäumung des nordwestlichen Platzrandes, der in den Saski-Park übergeht. Dabei setzen die Warschauer Stadtplaner auf die originalgetreue Restaurierung dreier im Krieg zerstörter Paläste - des quer zu Platz und Park gelegenen Brühlschen Palastes sowie der beiden Saski-Paläste, die das Grab des Unbekannten Soldaten einrahmen werden. Für den Eckpunkt dieser Randbebauung ist hingegen ein Neubau vorgesehen, dessen Programm noch nicht vollends geklärt ist. Ausgleich zwischen Alt und Neu bei strikter Beibehaltung des traditionellen Stadtgrundrisses - dies ist das Leitbild des Bauamtes, mit dem es die Erinnerungen an das alte Warschau wieder lebendig werden lässt.

Mit Vorliebe erzählt Tomasz Zema von neuen Bauprojekten im reizvollen azienski-Schlosspark, dem Warschauer Diplomatenviertel. Dazu gehört die Kernsanierung der französischen Botschaft, eines 1970 von Bernard Louis Zehrfuss und Jean Prouvé errichteten dreistöckigen, weissen Riegels, der durch schwarze Stahlträger abgestützt wird. Derweil werden am westlichen Rand der Parklandschaft die britische und die deutsche Botschaft hochgezogen. Der Engländer Tony Fretton setzt auf den leicht hügeligen Parkausläufern eine dreigeschossige, minimalistisch anmutende Kanzlei, deren vertikal verlaufendes Stahlgerippe mit Glas und Stein ausgefüllt wird. Durch einen Hof getrennt, entsteht auf der gegenüberliegenden Seite die Botschaftsresidenz, ein mediterran wirkender Kubus mit grossen Fenstern und hellen Steinplatten.

Der junge Berliner Architekt Holger Kleine baut derweil unweit des Sejm die deutsche Botschaft, das erste deutsche Gebäude in Warschau seit dem Zweiten Weltkrieg. Kleine ist sich darüber im Klaren, dass dieses Projekt eine ausserordentliche Sensibilität erfordert. Denn die neue Botschaft bleibt mit der Geschichte Warschaus verbunden, einer Geschichte, die unauslöschlich mit der Barbarei des Nationalsozialismus verknüpft ist. Jede Monumentalität verbietet sich beim Gedanken an die Zerstörungswut der deutschen Besatzer.

Architekturfrühling

Kleine entschied sich daher für einen mehrgliedrigen Baukörper mit Flachdach. Prägnant sind die «vegetativen Wände», bewachsen mit Polsterpflanzen, Farnen und Efeu. Sie fügen sich harmonisch zu den Fassaden aus Schiefer und Glas. Mit dieser aussergewöhnlichen Materialkombination möchte Kleine ökologisches, traditionelles und technologisches Bauen miteinander versöhnen. Anders als die nahe gelegene französische Botschaft, die sich dem azienski-Park wie ein Monolith entgegenstemmt, gliedert sich die deutsche Kanzlei geradezu organisch in die umgebende Parklandschaft ein. So führt eine begrünte Rampe hinauf zu einem Dachgarten, zu Wänden mit wildem Wein. Kleine kommentiert sein Entwurfsprinzip: «Wir arbeiten mit einem Gleichgewicht aus offenen und geschlossenen, hellen und dunklen, harten und weichen, vertikalen und horizontalen Flächen. Dieser Dialog ist uns sehr wichtig, da er das eine durch das andere bereichert.»

Wenn man vom «Warschauer Architekturfrühling» spricht, dann trifft dieses Bild am ehesten auf Erick van Egeraats aufsehenerregende niederländische Botschaft zu. Sie liegt in beschaulicher Lage am östlichen Ende des Parks, der unmittelbar ans Weichselufer anschliesst. Die Ummauerung erinnert an eine Baustelle. Doch der erste Eindruck täuschte. Van Egeraat, der sich seit einigen Jahren auch mit Projekten in Budapest und Moskau profiliert, wollte nur einen sinnfälligen Kontrast zur gegenüberliegenden japanischen Botschaft herstellen, die wie ein Bollwerk hinter einer wuchtigen Mauer verschwindet. Vor Kanzlei und Residenz zog er einen sechs Meter hohen «Pflanzenzaun» hoch, eine vegetabile, durchlässige Wand aus dicken und dünnen Stahlrohren.

Leider beeinträchtigen die ornamentalen Elemente, das chaotische Geflecht des Zauns und das Gewirr der aufgedampften pflanzlichen Muster auf der Glasverblendung der Kanzlei den klaren Gesamteindruck der Anlage. Die Stärke liegt eher im wohlproportionierten Arrangement des Ensembles, in der einladenden und lichten Atmosphäre der Kanzlei und dem aufgeständerten, blockartigen Riegel der Residenz, vor dem sich eine grobe Steinmauer erhebt. Die beiden Gebäude sind durch einen öffentlichen Platz aufeinander bezogen, der den Blick auf eine sanft ansteigende Gartenlandschaft mit Wasserläufen lenkt. Bei der Kanzlei legte Erick van Egeraat zwar Wert auf grosszügige Glasfassaden, aber es gelang ihm gleichzeitig, die sinnliche Qualität des Gebäudes durch Kombination von Sichtbeton, Holz und Glas fühlbar zu machen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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