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Mediterrane Moderne
Neue Zürcher Zeitung

Zum 100. Geburtstag des Architekten Josep Lluís Sert

1. Juli 2002 - Roman Hollenstein
Ins Rampenlicht der Architektur trat Josep Lluís Sert (1902-83) erstmals mit dem legendären Pavillon, den er zusammen mit Luis Lacasa mitten im Bürgerkrieg für die spanische Republik auf der Weltausstellung von 1937 in Paris schuf. Dieser transparente Bau verkörperte in seiner auf raffinierte Weise den Aussen- mit dem Innenraum verschmelzenden architektonischen Erscheinung, aber auch mit den darin ausgestellten Kunstwerken - darunter Ikonen wie Picassos «Guernica» und González' «Montserrat» - den Moderneanspruch des neuen Spaniens.

Obwohl der jung verstorbene José María Aizpurúa 1929 mit dem Segelklub in San Sebastián das erste iberische Meisterwerk des neuen Bauens verwirklichte, war es Sert vergönnt, zum bedeutendsten internationalen Repräsentanten der modernen Architektur seines Landes aufzusteigen. Als Sohn eines geadelten Textilindustriellen am 1. Juli 1902 in Barcelona geboren (so will es die Inschrift auf seinem Grab in Ibiza, auch wenn ihn einige Forscher gerne ein Jahr älter sehen möchten), arbeitete Sert nach dem Architekturstudium 1929 bei Le Corbusier in Paris, um sich nach seiner Rückkehr in die Heimat für ein architektonisch fortschrittliches Katalonien stark zu machen. Der weltgewandte Kommunistenfreund engagierte sich für die urbanistischen Projekte der Republik und beteiligte sich zusammen mit Architekten der von ihm mitbegründeten Gatcpac- Gruppe am streng funktionalistischen Plan Macià für Barcelona und am Bau eines grossen, mäanderförmigen Arbeiterwohnblocks, der Casa Bloc. Sein barcelonesisches Meisterwerk aber wurde die 1931 errichtete Casa Muntaner, in der sich die Erkenntnisse Le Corbusiers mit den Ideen der italienischen Rationalisten verbanden.

Nach dem Sieg Francos emigrierte Sert in die USA, wo er als CIAM-Mitglied schnell zu einem wichtigen Vordenker auf dem Gebiet des Städtebaus wurde. Unter dem Titel «Can our Cities Survive?» publizierte er 1943 seine urbanistischen Analysen und entwickelte gleichzeitig die theoretischen Grundlagen einer neuen Architektur für die lateinische Welt. Zusammen mit seinem aus Deutschland emigrierten Partner Paul Lester Wiener entwarf er Neustädte wie die Cidade dos Motores in Brasilien und Chimbote in Peru sowie Quartierpläne für Bogotá und Havanna, in denen er unter Einbezug der lokalen Baukultur die funktionalistischen Aspekte stark modifizierte. 1953 wurde er als Nachfolger von Walter Gropius Dekan der Graduate School of Design der Harvard University in Cambridge (Massachusetts), die er bis 1969 leitete. Hier entstanden auch seine wichtigsten amerikanischen Bauten, darunter das eigene Patiohaus, das Peabody-Studentenhochhaus, das Holyoke und das Science Center.

Der an grosse Planungen gewöhnte Urbanist hatte aber auch eine poetische Seite, die er in dem 1957 vollendeten Atelierhaus seines Freundes Joan Miró in Cala Major bei Palma de Mallorca, einer der heitersten Miniaturen der Nachkriegsmoderne, ausleben konnte. In diesem Manifest einer humanen Baukunst vermählte sich der Geist der Moderne mit dem mediterranen Erbe. Diese Rückbesinnung auf die Wurzeln der Mittelmeerkultur, mit der er und Josep Torres Clavé sich bereits 1935 in den weissen, auf Bruchsteinsockeln ruhenden Ferienhäuschen in Garraf beschäftigt hatten, führte ihn städtebaulich zur malerisch inszenierten Touristensiedlung Punta Martinet auf Ibiza und architektonisch zum Museum der Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence (1959-64), das zusammen mit dem Miró-Atelier zum Vorbild vieler privater Musentempel vom Kimbell Art Museum in Fort Worth bis hin zur Fondation Beyeler in Riehen wurde. Einen krönenden Abschluss fand sein Anliegen, Kunst und Architektur wieder zu vereinen, im Gebäudekomplex der Fundació Miró in Barcelona, auch wenn hier, dem grossstädtischen Kontext entsprechend, die Poesie einer gewissen Härte des Ausdrucks weichen musste. Bis heute vermögen Serts Bauten für die Kunst ebenso zu faszinieren wie seine späten, stark von Ibizas Architektur beeinflussten urbanistischen Lösungen.

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