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Unter Wasser
Der Standard

Dieser Hochsommer eignet sich wie wenige zuvor zum ausgedehnten Architekturbuch- Schmökern vor dem Kamin. Hier ein paar Lektüre-Tipps von Ute Woltron

19. August 2005 - Ute Woltron
Kurz vor dem sich seit Frühling ohnehin beständig ankündigenden Herbst mit seiner traditionellen Architekturbuchschwemme erlauben wir uns, auf ein paar ausgewählte Zwischendurch-Publikationen hinzuweisen, die etwaige letzte Urlaubstage erwärmen könnten.

Sehr passend erscheint etwa das Buch Water House (Felix Flesche und Christian Burchard, Verlag Prestel, engl., € 41,10). Die Autoren zeichnen darin den Traum vom „Leben im symbiotischen Verhältnis mit der Natur“ - insbesondere dem Wasser versteht sich - anhand verschiedenster realisierter oder lediglich geträumter Wasserarchitekturen nach.

Water House ist denn auch eine jener seltenen gelungenen Mischungen aus architektonischen Visionen und handfesten Architekturen, die anderswo oft etwas bemüht und konstruiert daherkommen. Burchard und Flesche unternehmen mit ihren Lesern jedoch stringente Zeit- und Genrereisen, sie machen bei den traditionellen schwimmenden Häusern Kanadas genauso Halt wie bei Jules Verne, Richard Buckminster Fuller, auf 70er-Jahre James-Bond-Filmsets und Jean-Michel Ducancelles wahrhaftiger „Aquasphere“.

Floating Homes gibt es so gut wie überall, wo es Meere, Seen, Flüsse gibt. Die Nase vorn haben einmal mehr die wasserreichen Niederländer mit so eleganten Strukturen wie etwa Hermann Hertzbergers Watervilla Middelburg. Die Protzvariante aquatischer Architektur entsteht derzeit wenige Kilometer vor der Küste Dubais in Form mehrerer künstlicher Inseln in Palmen- und Kontinentenform. Die größte der Inseln wird immerhin 7000 Villen Platz bieten, über deren architektonische Gestaltung allerdings besser geschwiegen werden sollte.

Ebenfalls kreuz und quer gedacht und deshalb höchst empfehlenswert ist der Band Tropical Architecture (Wolfgang Lauber, Verlag Prestel, engl., € 71,-). Auch hier unternimmt der Autor mit seinen Lesern ausgedehnte Reisen - diesmal in die heißen und schönen Gefilde dieser Welt. Wolfgang Lauber vergleicht traditionelle Konstruktionen und Baustile mit jenen, die von Kolonisatoren in die Tropen gebracht wurden. Er stellt also vermeintlich simple Bambus- oder Lehmarchitekturen modernen Bautypen gegenüber und untersucht die Sinnhaftigkeit der jeweiligen Konstruktionen in Afrika, Südamerika und Asien.

Das Bauen in den Tropen, meint er, bedeute die Auseinandersetzung mit extremen klimatischen Bedingungen wie hoher Luftfeuchtigkeit, Hitze, starker Sonneneinstrahlung: „Die traditionelle vernakuläre Architektur der Tropen hat über einen langen Zeitraum hinweg intelligente Bauformen, Raumfolgen und Konstruktionsmethoden sowohl für Wohnen und Arbeiten als auch für kulturelle und religiöse Zeremonien entwickelt.“

Lauber beschreibt nun spannend, detail- und kenntnisreich, inwieweit die Ankunft der europäischen Zivilisation zu einem Kollaps der Architekturtraditionen der so genannten Dritten Welt geführt hat und wie sich andererseits die so genannte moderne Architektur die über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende erprobten Erkenntnisse der Einheimischen in der Folge zunutze machte.

Einen ähnlich subtilen Ansatz hat das Buch Himalayan Vernacular (Carl Pruscha, Schlebrügge. Editor, engl., € 32,-). Der Wiener Architekt Carl Pruscha hat, bevor er Professor und schließlich Rektor der Universität für bildende Künste in Wien wurde, zehn Jahre in Nepal verbracht und im Auftrag der Unesco die nepalesische Regierung in architektonischen und städtebaulichen Fragen beraten.

Hier präsentiert er nicht nur eindringlich das Anliegen, die gefährdeten traditionellen Wohn- und Lebensformen dieser Region zu schützen, er zeigt auch anhand mehrerer Case-Studies in Nepal, Bhutan und Tibet auf, wie das funktionieren könnte. Irgendwie scheint Pruscha dieses Talent zum Einfachen und dennoch wunderbar Funktionierenden zurückimportiert zu haben, was man vor allem seinen restauratorischen Arbeiten (siehe etwa Semper Depot) anmerkt.

In seinem Vorwort zu „Himalayan Vernacular“ argwöhnt der renommierte indische Architekt Charles Correa Ähnliches: „Ich weiß nicht, wie viel von all dem Carl mitzunehmen vermochte, als er bedauerlicherweise vom Himalaya zu den Alpen zurückging. Aber ich weiß, dass sich die Architekten Nepals alle an ihn und seine Arbeit erinnern.“

In einer völlig anderen Weltgegend hat sich zu einer völlig anderen Zeit die Autorin Dine Petrik herumgetrieben. Sie war in der Gegend der Bibliotheca Alexandrina - unterwegs auf Weltwunderboden (Verlag Sonderzahl, € 14,-) und hat anhand dieses, man könnte sagen, Remake eines Weltwunders, die verwirrende und bewegte Geschichte der Region zu einem essayistischen, persönlich gefärbten Reise-Architektur-Geschichtsband gemacht.

Petrik beschreibt die historische und architektonische Dichte auch anhand diverser Begebenheiten. So schildert sie etwa, wie „im Sommer 1997 beim Bau einer neuen Straße ein Pferd samt Wagen plötzlich vom Erdboden verschluckt“ wurde: Es hatte bei diesem Sturz gewissermaßen die Katakomben von Kom el-Schukafa wiederentdeckt, die heute von Archäologenteams erforscht werden. Die moderne Gegenwelt zeigt sich beispielsweise anhand der 2002 eröffneten alexandrinischen Bibliothek von Snohetta. Für Petrik ist sie „eine Riesenscheibe, die aus dem Wasser zu steigen scheint.“

Mit einer Vergangenheit anderer Art befasste sich der Grazer Architekt Günther Domenig, als er dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg vor drei Jahren ein Dokumentationszentrum verschaffte, für das er 2004 u.a. den Goldenen Löwen der Architekturbiennale Venedig bekam. In Günther Domenig - Recent Work (Matthias Boeckl, Verlag Springer Wien New York, € 59,80) ist dieses nur eines von erstaunlich vielen jüngeren Projekten des charismatischen und äußerst produktiven Bau-Mannes.

Der kalifornische Architekt Thom Mayne stellt sein Vorwort unter den Titel „Aufbruch aus dem Zusammenbruch“ und meint darin über den Kollegen: „In seinem Werk geht es letztlich um eine Beziehung zum Ende, zum Endgültigen, zu einem Ort, wo der Verfall eine Quelle der Erneuerung ist. (...) Ich habe ihn persönlich tiefer verstanden, nachdem ich ihn in seinem Steinhaus besucht habe. Energie, eine üblicherweise nicht sichtbare Eigenschaft, wird in diesem Werk greifbar, wie der Konflikt als dessen Ausgangsmaterial greifbar wird.“

Apropos Günther Domenig: Druckfrisch liegt auch ein Buch über das T-Center St. Marx vor (Domenig, Eisenköck, Peyker; Liesbeth Waechter-Böhm, Verlag Birkhäuser, € 30,40), das Waechter-Böhm unter dem Titel „Ein Saurier hebt ab“ als „das ungewöhnlichste“ und „spektakulärste“ Bürohaus landauf, landab bezeichnet. Wir widersprechen keinesfalls.

Zu guter Letzt noch eine warme Empfehlung für ein Buch, das irgendwie ein bisschen zwischen den Zeiten hängt. Zum einen, weil sich der Architekt, um den es geht, vor mittlerweile auch schon wieder 30 Jahren aus bis heute unerfindlichen Gründen das Leben nahm. Zum anderen, weil die hier superb von Fotografin Sigrid Neubert in Szene gesetzten Architekturen großteils nicht nur modern, sondern sogar zukunftsweisend wirken.

Unter dem fast brutal knappen Titel Schwanzer (Herausgegeben von Leonie Manhardt, Verlag Springer Wien New York, € 45,-) werden drei Bauten des heute zwar keineswegs vergessenen, aber irgendwie dennoch nicht laut genug gewürdigten Wiener Architekten und Architekturlehrers Karl Schwanzer vorgestellt: ein Wohnhaus in Wien (1962), die BMW-Bauten in München (1973) - natürlich inklusive des berühmten „Vierzylinders“- sowie die österreichische Botschaft in Brasilia (1975).

Im Anhang kommen auch Karl Schwanzers Schüler zu Wort. Rüdiger Lainer meint etwa: „Karl Schwanzer war der einzige österreichische Stararchitekt der Nachkriegszeit, eine Persönlichkeit, die sowohl national als auch international neue Territorien der Architektur zu entdecken imstande war.“ Und Heinz Neumann, der bei Schwanzer nicht nur studiert, sondern auch gearbeitet hat, erinnert sich an die Nachtschichten, mit denen der Architekt seine jungen Kollegen nicht selten verblüffte: „Meist fand man am Morgen auf dem Zeichentisch neue Ansatzpunkte der Arbeit, unzählige Handskizzen und Bemerkungen, die jeden Fehler durchschaut hatten. Er war für jede Frage offen, die oft weit über architektonische Themen hinausging. Noch heute bedaure ich, dass ich ihm aufgrund seines kurzen Lebens nicht mehr Fragen stellen kann.“

Solchermaßen mit Lektüre ausgestattet, sollten die letzten Regentage vor den ersten Nebelwochen tadellos zu überstehen sein.

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