Artikel

Architektonische Verwerfungen
Neue Zürcher Zeitung

Eine Monographie zu Günther Domenigs neuen Arbeiten

27. September 2005 - Paul Jandl
Wenn die dekonstruktivistische Architektur vom Lärm lebt, den sie selbst erzeugt, dann ist hier der Österreicher Günther Domenig eine Ausnahme. Als stiller Repräsentant seiner architektonischen Idee hat der 1934 in Klagenfurt geborene Baukünstler eine Karriere gemacht, die schon deshalb nicht spektakulär war, weil sie auf das Spektakel verzichtet. Günther Domenig, Kopf der legendären «Grazer Schule» hat seit den sechziger Jahren ein Werk geschaffen, das prägend war für die österreichische Avantgarde. Jetzt wird der Avantgardist allmählich klassisch, und die besten Beispiele dafür sind in einer opulenten Monographie gesammelt. «Recent Work» heisst der zweisprachig - deutsch und englisch - herausgebrachte Band, der nicht vergisst, Domenigs architektonische Vorgeschichte mitzuliefern. Und die ist lang.

Als andere, die später internationale Karrieren gemacht haben, noch Geschäftsfassaden gestalten, baut Günther Domenig schon gross. 1963 entsteht seine Pädagogische Akademie in Graz. Domenig plant, immer wieder mit Eilfried Huth, Schulen und soziale Einrichtungen. Seine moderne, kraftvoll den österreichischen Rahmen des Gewohnten sprengende Architektur ist postfunktionalistisch und expressiv. Domenigs wichtigster Bau dieser Zeit ist die Filiale der Zentralsparkasse in Wien Favoriten. Ihre gewölbte Metallfassade verbindet die technischen Phantasmagorien der sechziger Jahre mit einer organischen Formensprache, die im darauf folgenden Jahrzehnt bestimmend wird. Wie haltbar Domenigs Architektur über Jahrzehnte geblieben ist, veranschaulicht der kluge Essay des Herausgebers Matthias Boeckl. Sie ist unverwechselbar, ohne sich zu wiederholen. Ihr Selbstbewusstsein triumphiert nicht über den Ort, an dem sie entsteht, sondern nimmt ihn auf. Den massiven Block der Kongresshalle am Nürnberger Reichsparteitagsgelände, zu dem Albert Speer den Masterplan geliefert hatte, sprengt Günther Domenig mit seinem Dokumentationszentrum. Wie ein Pfahl durchsticht es den Ziegelbau der Naziarchitektur, ohne deshalb billige Metapher zu sein.

In Wien hat Günther Domenig vor kurzem ein Bürohaus fertiggestellt, das sich das Terrain auf markante Art erobert. Neben alten Schlachthallen und einer auf Brücken geführten Stadtautobahn nimmt das langgestreckte Gebäude in St. Marx die Dynamik seiner Umgebung auf. Trotz seiner Grösse beinahe schwebend, transzendiert das «T-Center» seinen Ort und seinen Zweck. Zweifellos ist Domenig damit einer der wichtigsten Wiener Bauten der letzten Jahrzehnte gelungen. Wie sehr Domenig allen postmodernen Tändeleien und allem Schwindel mit dem Symbolischen abhold ist, zeigt sein wohl privatestes Projekt: Im «Steinhaus» am Ossiacher See verwirklicht sich seit Jahren eine Utopie des Bauens, die die Dekonstruktion als Mass der Natur begreift. Schroff gefaltet ist Domenigs aus Beton und Glas entstandene Hausskulptur, hart sind ihre Kanten. Diesmal ist es die leichte Kunst der Steine.

[ Günther Domenig: Recent Work. Deutsch und engl. Hrsg. Matthias Boeckl. Springer-Verlag, Wien 2005. 296 S., Fr. 99.-. ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: