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Gartenpavillon und Wohngebirge
Neue Zürcher Zeitung

Neue Architektur in Kopenhagen

Der Aufschwung Kopenhagens zur südskandinavischen Metropole findet auch architektonisch seinen Niederschlag: Hafengebiete werden transformiert, Stadtteile entwickelt. Neben jungen Architekten kommen auch etablierte Grössen zum Zuge - etwa Zaha Hadid, deren Erweiterung des Ordrupgaard-Museums gerade eingeweiht wurde.

7. Oktober 2005 - Hubertus Adam
Kopenhagen boomt. Die Erneuerung der dänischen Kapitale geht vornehmlich von den die Stadt durchziehenden Hafenarealen aus. Die als «schwarzer Diamant» bekannte neue Nationalbibliothek, Daniel Libeskinds Umbau des kleinen Jüdischen Museums, aber auch die gegenüber von Schloss Amalienborg gelegene Oper, ein berechtigterweise kritisiertes Werk des dänischen Altmeisters Henning Larsen, sind Zeichen dafür, dass die lange vernachlässigten Hafenareale zu neuen Brennpunkten metropolitaner Urbanität werden.

Der neue Stadtteil, der sich künftig südlich des Hauptbahnhofs entlang der Ufer erstrecken soll, heisst Havnestad. Eines der dort geplanten Projekte konnte kürzlich eingeweiht werden: «Gemini», zwei vom Rotterdamer Büro MVRDV umgebaute zylindrische Betonsilos. Wo einst Sojabohnen aus der Mandschurei eingelagert waren, wohnt man nun mit Blick auf den Hafen und den Park Amager Fælied. Während sich nach dem Umbau der Simmeringer Gasometer in Wien die neuen Nutzungen auf das Innere konzentrieren, wenden sich die Wohnungen hier nach aussen. Ein Kranz aus 86 Luxusapartments umgibt auf 8 Etagen die 42 Meter hohen und 25 Meter breiten Röhren; die imposanten Innenbereiche, mit Glasdächern überkuppelt, dienen mit umlaufenden Galerien, auskragenden Treppen und Liftschächten vor allem der Erschliessung. Ursprünglich hatte der Investor auch hier die Wohnungen im Inneren stapeln wollen, doch konnten MVRDV nachweisen, dass eine dann nötige Durchfensterung des Betonmantels die Tragstruktur der Silos zu sehr geschwächt hätte.

Transformationen im Hafenbereich

Hinter dem streifenartigen Park, der das östliche Ufer über mehrere Kilometer hinweg säumt, entsteht Kopenhagens neuster Stadtteil: Ørestad. Das Gebiet profitiert von der Lage zwischen der Altstadt und dem Flughafen Kastrup und ist durch die neue, 2002 eröffnete Metro gut erschlossen. Diese hat Kopenhagen zusammen mit der vor fünf Jahren eingeweihten Brücke über den Øresund nach Malmö neue urbanistische Impulse gegeben. Wie einzelne Kristalle lagern sich die ersten Bauten von Ørestad an die Stationen der als Hochbahn geführten Metrolinie M2 an: Universitätsinstitute, überdimensionierte Einkaufszentren oder das von Henning Larsen errichtete Hochhaus des Pharmakonzerns Ferring.

Das interessanteste Projekt steht kurz vor seiner Fertigstellung: die «VM Houses», ein Wohnbaukomplex des jungen ortsansässigen Architektenteams Plot. Julien de Smedt und Bjarke Ingels, beide gerade einmal 30 Jahre alt, gründeten nach gemeinsamer Tätigkeit in Rotterdam bei OMA 2001 ihr eigenes Büro. Seither entwarfen sie einen Strandklub in Kopenhagen, dann einen Superhafen auf einer künstlichen Insel in der Ostsee. Internationale Reputation wurde Plot spätestens mit dem auf der letztjährigen Architekturbiennale ausgezeichneten Entwurf für das Konzerthaus in Stavanger zuteil. Die nach ihren geknickten Grundrissen VM Houses genannten Wohnbauten sind das grösste bisher realisierte Projekt von Plot. Glas, Stahl und Beton sind die Baumaterialien für diese weitgehend mit flexiblen und offenen Maisonettewohnungen bestückten Gebäude, die sich bis zu einer Höhe von zwölf Stockwerken aufgipfeln und durch dreieckige Balkone zusätzlich akzentuiert werden.

Glashaus im Park

Kopenhagen setzt aber auch auf internationale Architektenprominenz: Jean Nouvels Konzertsaal für das von Vilhelm Lauritzen entworfene Gebäude des Dänischen Rundfunks befindet sich in der Ausführungsphase, und eben erst wurde Zaha Hadids Erweiterung für die Kunstsammlung Ordrupgaard ihrer Bestimmung übergeben. Aufgrund der hochkarätigen Kollektion von Gemälden der Impressionisten, Postimpressionisten und Fauves geniesst Ordrupgaard Weltruhm. Beraten von dem Kunstkritiker Théodore Duret, trug Wilhelm Hansen, Gründer der Dänischen Volksversicherungsanstalt, zwischen 1916 und 1918 eine erstaunliche Sammlung französischer Kunst zusammen, die durch dänische Kunst des 19. Jahrhunderts ergänzt wurde. Der Architekt Gotfred Tvede errichtete den Wohnsitz der Hansens in einem Villengebiet im Norden von Kopenhagen, nahe dem königlichen Tiergarten. Im klassizierenden Landhausstil der Zeit entstand ein symmetrischer Hauptbau mit zwei kurzen Seitenflügeln, an den sich östlich eine Galerie anschloss. 1953 gelangte die Sammlung in den Besitz des Staates, aber noch heute lebt Ordrupgaard von dem intimen Ambiente, in dem die Kunstwerke ausgestellt werden - ähnlich wie die Sammlung Reinhart am Römerholz in Winterthur.

Angemessen konnte die Sammlung schon lange nicht mehr präsentiert werden, und so entschied man sich für eine Erweiterung. Im zweistufigen eingeladenen Wettbewerb trug Zaha Hadid 2001 den Sieg davon. Ende August konnte die 500 Quadratmeter grosse Erweiterung, mit der sich die bestehende Ausstellungsfläche ungefähr verdoppelt, eingeweiht werden. Hadid dockte ihren Neubau im Osten an den Galerietrakt an. Der Annex fügt sich erstaunlich zurückhaltend in das Ensemble ein; die Verzahnung von Natur und Architektur ist hervorragend gelungen. Im Norden entsteht der schmale Baukörper aus einer hügelartigen anschwellenden Modellierung des Bodens, im Süden gabelt er sich in zwei wellenartige, über dem leicht abfallenden Terrain schwebende, unterschiedlich grosse Gebäudestirnen.

Für Irritation sorgt Hadid dadurch, dass der mit seinem schwarzen Beton eigentlich erdhaft anmutende Erweiterungsbau vor allem durch seine verglasten Teile ins Auge springt und - von wo auch immer man blickt - als Gartenpavillon erscheint. Im grösseren der Enden befindet sich ein multifunktionaler Vortragssaal, im kleineren das Café - entlang der Glasfront im Osten verbindet eine Rampe diese Zone mit dem in der Gebäudemitte gelegenen Eingang. Ein zweigeteilter, z-förmiger Ausstellungsbereich wird über einen schmalen Gang nördlich des Eingangs erschlossen; die südlichen Säle werden unmittelbar neben dem keilförmig in den Raum vorstossenden Empfangstresen betreten. Fünf dieser als Parallelogramme und Trapeze geformten Kabinette liegen ganz im Inneren des Gebäudes, umschlossen von Café, Verbindungsgang und Rezeption; das sechste dient als brückenartige Verbindung zum bestehenden Galerietrakt.

Dunkle Schatzkammern

Mit ihren dunklen Zellen entschied sich Hadid bewusst für einen Gegensatz zur lichten Stimmung der alten Räume. Ohne Zweifel lehnt sie sich an den Typus der Schatzkammer an, doch wirken ihre Räume keinesfalls preziös. Vielmehr verleihen ihnen - bei aller dunklen Materialität - die ungewöhnlichen Proportionen, die Niveausprünge und der leichte Schwung der Decke räumliche Eleganz. Dazu kommen die verglasten, als Zirkulationsfläche und Aufenthaltsbereiche dienenden Bauteile, die den Park ins Haus holen und damit für die Besucher das erlebbar werden lassen, was die Impressionisten bewegte: das Phänomen der Landschaft im Wechsel des Lichtes und der Jahreszeiten.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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