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Linz liegt am Schwarzen Meer
Der Standard

Linzer Kunststudenten machten einen alten Lastenkahn flott und reisten mit dem „Flagship Europe“ auf der Donau dem neuen alten Europa des Ostens entgegen.

15. Oktober 2005 - Ute Woltron
Die Wiener Architektin Elsa Prochazka hatte mit ihren Studenten der Kunstuniversität Linz ein schnelles Jahr durchmessen. Ein zu schnelles, zu hektisches. Es war an der Zeit, fand sie, das Tempo zu drosseln. Eine Reisegeschwindigkeit von rund acht Stundenkilometern schien angemessen - ein Schiff musste her.

Prochazka unterrichtet an der Linzer Uni Raum & Designstrategien, und da Linz an der Donau liegt, gab es schiffmäßig zwei Möglichkeiten der Fortbewegung: flussaufwärts in den erforschten Westen. Oder flussabwärts, dem neuen, bis dato lediglich von expansionsfreudigen Unternehmen genauer analysierten Osten entgegen. Die Wahl fiel nicht schwer. Die Expedition setzte sich das Schwarze Meer zum Ziel, weil auf dem Weg dorthin weniger erforschte Perlen wie Bratislava, Budapest, Osijek und Belgrad am Donaustrand liegen. Expeditionsdauer: zwei Monate.

Prochazka versammelte ihre Studentinnen und Studenten um sich und erklärte ihnen die wichtigste Strategie, die jedem großen und gewagten Projekt zugrunde liegt, und die einen wesentlichen Teil der Lehre darstellt: Nur gemeinschaftlich würde man dieses Unterfangen realisieren können.

Rund 50 Studenten und ein Dutzend Lehrender organisierten sich: Die einen trieben Geld auf (rund 200.000 Euro), die anderen begaben sich auf die Suche nach einem Schiff (gechartert). Genehmigungen mussten eingeholt, der genaue Anlegeplan abgesteckt, die noch unbekannten Kollegen längs der Donau, die ebenfalls Ziel der Reise waren, aufgetrieben und kontaktiert werden.

Das anfangs so absurd anmutende Abenteuer, von dem zu Beginn keiner gewusst hatte, ob es überhaupt möglich gemacht werden könne, ging tatsächlich los, als mit dem Schiff „Negrelli“ ein geeignetes Transportmittel gefunden war. Baujahr 1966. Rund 66 Meter lang. Zehn Meter breit. Ein träger, alter Lastenkahn mittlerweile undefinierbaren Anstrichs, der für Schottertransporte und acht Passagiere zugelassen war.

Da das Thema Raum & Designstrategien lautete, schritten die Studenten erst eigenhändig an den Umbau und die behördliche Umwidmung des Schiffes zu einer temporären Außenstelle der Universität: Der Kahn musste zudem für 60 Personen adaptiert werden, und das bedeutete harte Arbeit, denn für Professionisten aller Art fehlte selbstverständlich das Kapital.

Es wurde also heftig geschweißt, gestrichen und gebaut. Dort, wo sich normalerweise Schotterhaufen türmen, entstanden einfache Kajüten aus Containern. Auch die Schiffstechnologie wurde perfektioniert, schließlich benötigte man unterwegs Frischwasser, Brauchwasser, eine Schiffsküche samt Proviant, ein Medien- und Fotolabor, eine Werkstatt. Parallel dazu entwickelten die Studenten individuelle Entwurfsprogramme, die sie während der Reise umsetzen sollten, packten schließlich Kameras, Zeichenmaterial, Computer und andere Expeditionsutensilien ein und verabschiedeten sich von den Angehörigen.

Am 1. Mai dieses Jahres legte die „Negrelli“ in Linz ab, und ab diesem Moment reduzierte sich die Reisegeschwindigkeit auf das Wellengeplätscher am Donauufer, auf die langsam vorbeiziehende Landschaft und auf die Einblicke in Länder, die geografisch zwar so nah, dem Rest Europas aber noch fern sind.

Dem Schiff begann sein Ruf bald vorauszureisen: Die Linzer Professoren und Studenten wurden an den diversen Anlegestellen in Tschechien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien von den lokalen Künstlern, Architekten, Designern freudig begrüßt. Sie wurden in Universitäten, Architektur- und Designerateliers und Galerien geführt, sie knüpften zahllose Kontakte und tauschten Informationen aus, die im Sog der normalen Geschwindigkeit westlicher Lebensart gern über Bord gehen.

Anfang Juni erreichte die Expedition Flag- ship Europe das Schwarze Meer. Das Web-Logbuch berichtet: „6. 6.: es ist vollbracht. die donau verschwindet im meer. sprachlos im endorphinrausch am ziel - endstation einer reise.“

Diese Eintragung war natürlich voreilig, denn die Endstation der Reise ist keineswegs in Sicht: Zwar tuckerte das Schiff genau zwei Monate nach seiner Abfahrt wieder in Linz ein, doch die Aufarbeitung der Expedition ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Studentenprojekte werden finalisiert, die multimedialen Dokumentationen der Reise aufgearbeitet, vor allem aber werden die zahlreichen Kontakte in die künftigen neuen EU-Mitgliedsstaaten intensiviert und ausgebaut. Prochazkas Studenten haben tatsächlich eine rege Reisetätigkeit zu den Kollegen im Osten aufgenommen.

Sie selbst meint, sie hätte die Länder am Ende der Donau zuvor durch den Filter farbloser und schlechter Ost-Fotografien verinnerlicht gehabt, das Bild der Wirklichkeit sei jedoch bunt, intensiv und großteils wunderschön.

Am 2. November wird das Projekt Flagship Europe im Technischen Museum Wien ab 19.30 Uhr erstmals groß präsentiert, auch die künstlerischen Projekte der Studenten werden dort zu sehen sein. Und da das Leben, wie manche sagen, ein langer Fluss ist, könnte die Reise auch mit dem Schiff weitergehen, denn mittlerweile hat die EU an dem Projekt offiziell Interesse bekundet.

Die Grenzen bleiben indes nur halb durchlässig: Rumänische Studenten etwa, die nun gerne nach Linz kommen würden, müssen eine Kaution von 100 Euro pro Tag hinterlegen. Unleistbare Summen also. Jetzt sind die Länder donauaufwärts zu entsprechenden Expeditionen durch den Dschungel der Bürokratien aufgerufen.

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