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Architektonische Schichten
Neue Zürcher Zeitung

Die Anfänge der Moderne in Oldenburg und Delmenhorst

Die Oldenburger Landesausstellung von 1905 gilt als Aufbruch Nordwestdeutschlands in die Moderne. Ihr sind nun die Jubiläumsveranstaltungen in Oldenburg und Delmenhorst gewidmet. Wegweisend waren damals vor allem die ephemeren Bauten von Peter Behrens, die anschliessend durch Monumentalbauten von Paul Bonatz ersetzt wurden.

15. Oktober 2005 - Hubertus Adam
Auf kulturpolitischer Ebene werden hohe Besucherzahlen als Gradmesser für die Bedeutung von Veranstaltungen gewertet. In einer Zeit, die sich die «Eventkultur» auf die Fahnen geschrieben hat, verwundert das nicht. Mit exorbitantem Zuspruch konnten Grossereignisse indes schon im 19. Jahrhundert auftrumpfen. Hinsichtlich der Masse der Besucher stellten die frühen Weltausstellungen, deren Sequenz 1851 in London einsetzte, ihre Nachfolgeveranstaltungen in den Schatten. An den Erfolg dieser Universalausstellungen suchten bald auch Städte und Regionen mit Präsentationen kleineren Zuschnitts anzuknüpfen. Ein Beispiel dafür war die Landesausstellung von 1905 in Oldenburg, der damals gut 30 000 Einwohner zählenden Hauptstadt des gleichnamigen Grossherzogtums auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Niedersachsen.

Ausstellungsbauten von Peter Behrens

Nun erinnert Oldenburg mit dem ambitionierten Ausstellungszyklus «Jahrhundertschritt 05», an dem auch die im früheren Grossherzogtum gelegenen Städte Delmenhorst, Lohne und Wilhelmshaven beteiligt sind, an die Schau vor 100 Jahren. Damals wurde dem Publikum neben einer regionalen, unter dem Stichwort «Gewerbeförderung» rubrizierten Leistungsschau von Industrie und Gewerbe - «Standortmarketing» würde man das heute nennen - auch eine Bilanz des zeitgenössischen Kunstschaffens geboten. Dazu kam der obligatorische Vergnügungspark mit Zirkus und Rutschbahn, Panorama und «Illusions- Palast», Restaurants und einem «Somali-Dorf», dessen 65 Bewohner über eine Londoner Agentur gebucht worden waren.

Dass die Oldenburger Landesausstellung heute mehr denn ein signifikanter Gegenstand regionalhistorischer Forschung ist, verdankt sie der Beteiligung von Peter Behrens, dessen Tätigkeit als Ausstellungsarchitekt derzeit eine Schau im Museum der Stadt Delmenhorst würdigt. Behrens, 1869 in Hamburg geboren, war zunächst als Maler in München in Erscheinung getreten, bevor ihm die Berufung an die Künstlerkolonie in Darmstadt den Karrieresprung ermöglichte. Das eigene, als Gesamtkunstwerk konzipierte Wohnhaus galt als das überzeugendste Gebäude der Darmstädter Ausstellung von 1901, und Behrens erhielt eine Reihe von Folgeaufträgen. Auf Vermittlung von Hermann Muthesius avancierte er 1903 zum Direktor der Kunstgewerbeschule in Düsseldorf. Für den Bau der im Rahmen der Oldenburger Landesausstellung am Zentralplatz für die «Nordwestdeutsche Kunstausstellung» errichteten Kunsthalle konnte Behrens nachgerade als Idealbesetzung gelten: Er war als Maler, Kunstgewerbler und Architekt gleichermassen tätig.

Die durch die Wiener Stadtbahnstationen von Otto Wagner sowie die Architektur von Josef Hoffmann inspirierten Ausstellungsbauten von Behrens dokumentierten die Abkehr von einem eher organischen Verständnis des Jugendstils und die Wende hin zu einer rationalen, auf klaren geometrischen Formen basierenden Entwurfshaltung. Das quadratische Gebäude der Kunstschau mit seinem Zeltdach wurde an den Ecken durch vier würfelförmige Annexbauten ergänzt; dazu kamen zwei separate Pavillons (Teehaus und Verwaltung), der Musikpavillon auf dem Vorplatz sowie zwei Bauten für Firmen aus der Region: ein Pavillon für die Anker-Linoleumwerke Delmenhorst, für die Behrens auch als Gestalter tätig war, und einer für die Zigarrenfabrik Rogge aus Lohne. Die durch weiss gestrichene Pergolen vereinheitlichte Aussenraumgestaltung gilt als ein wichtiges Beispiel der auf geometrische Konzepte zurückgreifenden Gartenreform in Deutschland nach 1900.

Eine Ausstellung im Augusteum des Landesmuseums zeigt viele der seinerzeit auf der «Nordwestdeutschen Kunstausstellung» präsentierten Werke noch einmal im Zusammenhang. Eigentlich hätte es eine Leistungsschau des regionalen Kunstschaffens werden sollen, doch das Spektrum der Beteiligten wurde damals nicht so eingeengt, wie es sich manche Veranstalter wohl gewünscht hätten. Fragwürdig war das Postulat einer regionalen Kunst ohnehin, wollte man es nicht auf die Sujets beschränken: Die meisten der Ausgestellten hatten an einer der prominenten deutschen Akademien studiert und waren mit den zeitgenössischen Kunstströmungen vertraut. So oszillierten ihre Werke zwischen Impressionismus, Naturalismus und Spätjugendstil. Die umfangreichste Werkgruppe stammte von Malern aus Worpswede, der Künstlerkolonie im Teufelsmoor bei Bremen; 1895 hatte die Gruppe in München ihren Durchbruch erlebt. Nach einer Dekade hatten sich die Gründungsmitglieder auseinander gelebt. Heinrich Vogelers Monumentalgemälde «Sommerabend», dessen saalbeherrschender Rahmen jetzt für die Oldenburger Ausstellung rekonstruiert wurde, ist mit seinen gleichsam erstarrten Figuren der elegische Abgesang auf den märchenhaften Traum einer Einheit von Kunst und Leben.

Baumonumente von Paul Bonatz

Die ephemeren Ausstellungsbauten wurden nach dem Ende der Oldenburger Schau abgerissen. Auf einem Teil des Geländes erheben sich heute zwei zwischen 1908 und 1916 realisierte Bauten des Stuttgarter Architekten Paul Bonatz: der Landtag mit seinem ionischen Portikus und - im rechten Winkel dazu - das mit einem mächtigen Walmdach gedeckte Volumen des Staatsministeriums. Beide sind typische Vertreter des Reduktionsklassizismus der Jahre vor 1914, der sich auf eine «Architektur um 1800» zurückbezog. Es ist ein Verdienst der Veranstalter in Oldenburg, auch die Dokumentation von Bonatz' Arbeiten in den Ausstellungsreigen einbezogen zu haben. Die in der Mohrmann-Halle in Oldenburg nur kurz präsentierte, aber durch einen Katalog gut dokumentierte Ausstellung «Paul Bonatz - Bauten und Projekte im Norden» wird im kommenden Jahr in Hannover zu sehen sein, wo der Architekt 1914 mit seiner an das Pantheon gemahnenden Stadthalle eines seiner Hauptwerke vollendete.

[ Die Ausstellung «1905. Einhundert Jahre Nordwestdeutsche Kunstausstellung» im Augusteum in Oldenburg dauert bis zum 30. Oktober. - Die Ausstellung «Peter Behrens - Ausstellungsarchitekt zwischen Kunst und Industrie» wird bis zum 27. November im Museen der Stadt Delmenhorst gezeigt. ]

[ Kataloge: Paul Bonatz 1877-1956. Bauten und Projekte im Norden. Verlag Aschenbeck & Holstein, Delmenhorst 2005. 138 S., Euro 19.80. - Der Aufbruch Oldenburgs in die Moderne. Die Landesausstellung von 1905. Hrsg. Udo Elerd. Isensee-Verlag, Oldenburg 2005. 156 S., Euro 15.-. - Zur Behrens-Ausstellung erscheint eine Begleitpublikation (Verlag Aschenbeck & Holstein, Delmenhorst), Euro 19.80. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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