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Überreste der Diktatur
Neue Zürcher Zeitung

Denkmalschutz auf Österreichisch

14. November 2005 - Paul Jandl
Der Skandal war kurz, aber heftig. Die Debatten dauern an. Seit Michael Schottenberg, Intendant des Wiener Volkstheaters, angekündigt hat, das aus der NS-Zeit stammende «Hitler-Zimmer» seines Hauses demontieren lassen zu wollen (NZZ 17. 10. 05), diskutiert Österreich über die baulichen Reste der Diktatur. Zehn Jahre nach den einschlägigen Diskussionen in Deutschland beschäftigt sich die Republik mit einem unangenehmen Erbe. Das österreichische Bundesdenkmalamt kämpft mittlerweile für einen reflektierten Umgang mit architektonischen Zeitzeugen. Man arbeite daran, einen peniblen Katalog der NS- Bauten zu erstellen, und werde im kommenden Frühjahr Bericht geben. Auch ein Symposium zum Thema sei geplant, heisst es aus der Behörde, die entschlossen ist, den Umgang mit der NS-Architektur schärfer zu überwachen. Österreich folgt damit dem Beispiel Deutschlands.

«Das Wort aus Stein», wie Hitler den ideologischen Bedeutungsträger Architektur nannte, hat sich vielerorts gehalten. In deutschen Städten mehr als in Wien, doch auch hier gibt es genug Relikte. Rund 200 Seiten widmet der Architekturhistoriker Helmut Weihsmann in seinem Standardwerk «Bauen unterm Hakenkreuz» der ehemaligen «Ostmark». Der Aberwitz hatte Programm. Schon kurz nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich im März 1938 wurden Pläne zur Umgestaltung der Städte erstellt. Linz wurde zu einer von fünf «Führerstädten» bestimmt, doch das zweifelhafte Versprechen des Mannes aus Oberösterreich, die Stadt zur Gänze zu monumentalisieren, blieb bis auf einzelne Verwirklichungen uneingelöst. Zeit- und Geldmangel waren auch der Grund, warum die «Perle Wien» nicht nach den Wünschen Hitlers gefasst wurde. Ebenso fleissig wie vergeblich füllten Österreichs Architekten in den vierziger Jahren ihre Schubladen mit städtebaulichen Aufmarschplänen. Auch wenn über den Heurigenort Grinzing heute keine «via triumphalis» verläuft, ist die Liste der realisierten Bauten dennoch lang. Denn neben Symbolträchtigem wie den «Hermann-Göring-Werken» in Linz oder der ebenfalls ab 1938 gebauten «Reichsautobahn München-Wien» gibt es Tausende von ästhetisch höchst uneinheitlichen Relikten. Und so hat Österreich über einen verschärften Denkmalschutz für Wohnbauten des «Heimatschutzstils» oder der moderaten Moderne zu diskutieren, über noch im Dienst stehende ehemalige NS-Kasernen oder über die Betonmonumente der Wiener Flaktürme.

Das österreichische Bundesdenkmalamt wehrt sich gegen Vorwürfe, der NS-Architektur über Gebühr beizustehen. Wenn es in Deutschland in den letzten beiden Jahrzehnten einen Paradigmenwechsel in der Denkmalpflege gegeben hat, unter dem nicht allein ästhetische, sondern auch sozialhistorische Begründungen zum verstärkten Schutz herangezogen werden, dann argumentiert man in Wien heute ähnlich. Zur Sozialgeschichte der Städte gehört auch die NS-Zeit, und die Sozialgeschichte allein des jetzt in die Schlagzeilen geratenen Wiener Volkstheaters ist spannend genug. Die Wiener Bühne wurde von den NS-Behörden in den vierziger Jahren zum «Kraft durch Freude»-Theater erklärt. Das eigens zu seinem Empfang eingerichtete «Hitler-Zimmer» hat der Führer nie betreten. Der opportunistische Architekt Josef Hoffmann dagegen schon - wenn es nicht gar nach seinen Entwürfen eingerichtet wurde.

Auf den Geist kommt es an, auch beim Kern der Debatten um einen verstärkten Denkmalschutz für NS-Bauten. Bedenklich ist nicht die Architektur, bedenklich wäre, wie der Architekturtheoretiker Friedrich Achleitner einmal bemerkt hat, wenn in den Nazi-Bauten noch heute lauter Nazis wohnten.

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