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Kontinuität der Moderne
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Peter Kulka im DAM Frankfurt

Erst im Alter von 54 Jahren erzielte Peter Kulka mit dem Entwurf des Landtags in Dresden den Durchbruch. Heute gilt er als einer der wichtigsten Architekten Deutschlands. Eine grosse Retrospektive im Deutschen Architektur-Museum (DAM) gibt nun einen Überblick über sein Schaffen, das ausgeht von der Tradition der Moderne.

12. Dezember 2005 - Hubertus Adam
Zwischen 1991 und 1997 entstand am Elbufer in Dresden der Neubau des Sächsischen Landtags. Der Gebäudekomplex, der flussseitig an das moderat-moderne Landesfinanzamt aus dem Jahre 1931 anschliesst, ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zunächst einmal handelte es sich um den ersten Parlamentsneubau in den jungen deutschen Bundesländern, und ohne die Tradition der informellen «runden Tische» wäre die antihierarchisch-radikale Kreisform der Sitzordnung im Plenarsaal wohl kaum vorstellbar gewesen. Des Weiteren stellt der Bau ein dezidiertes Bekenntnis zur Tradition der architektonischen Moderne dar: Der stählerne Dachraster, der den gläsernen Zylinder des Parlamentssaals überfängt, ist unzweideutig von der Entwurfsauffassung Mies van der Rohes inspiriert. In Dresden, das mit der Schimäre eines revitalisierbaren barocken Elbflorenz gerne das Trauma der Zerstörung von 1945 kompensieren möchte, rahmen nun zwei hervorragende Bauten der jüngsten Zeit die Canaletto-Perspektive aus Frauenkirche, Schloss und Hofkirche - der Sächsische Landtag im Westen und die 2001 geweihte Synagoge von Wandel, Höfer, Lorch und Hirsch im Osten.

Bemerkenswert ist der Komplex des Landtags aber auch, weil er einem Architekten, der zuvor nur wenigen bekannt war, zum Durchbruch verhalf, und das in seiner Heimatstadt. Der in Dresden geborene, mittlerweile in Köln tätige Peter Kulka war 54 Jahre alt, als er 1991 den Landtags- Wettbewerb gewann. Seitdem reiht sich Auftrag an Auftrag, und Kulka zählt zu den Hauptexponenten der deutschen Gegenwartsarchitektur. Die Geschichte kennt einige Beispiele «spät berufener» Architekten, die erst jenseits der 50 zu ihrem eigenen Stil fanden. Das berühmteste Beispiel dafür ist Louis I. Kahn, doch auch Günter Behnisch erlangte erst mit dem Münchner Olympiastadion von 1972 Prominenz.

Eine deutsch-deutsche Biografie

Vielleicht ist es symptomatisch, dass in Dresden ein Architekt zum Zug kam, dessen Biografie mit der deutsch-deutschen (Bau-)Geschichte paradigmatisch verwoben ist. 1937 in Dresden geboren, studierte Peter Kulka nach einer Maurerlehre an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee bei Selman Selmaganic, der als Schüler von Mies van der Rohe die Bauhaus-Tradition in der DDR fortzusetzen suchte. Unter Hermann Henselmann arbeitete der junge Absolvent 1964 an der Deutschen Bauakademie; ein Jahr später trat er nach einer abenteuerlichen Flucht in das Westberliner Büro von Hans Scharoun ein. Im Atelier des Organikers, so sagte Kulka einmal, sei er dann zum Spezialisten für rechte Winkel geworden. Nach der Zeit bei Scharoun war er in den siebziger Jahren an der Planung der Universität Bielefeld beteiligt, einer kompakten Megastruktur im Geist der damaligen Zeit; in den achtziger Jahren tat er sich mit dem Kölner Architekten Hans Schilling zusammen. Mehrere religiöse Bauten entstanden, die auf die rheinische Kirchenbautradition des 20. Jahrhunderts zurückgreifen und mitunter Nähen zur Postmoderne aufweisen.

«Minimalismus und Sinnlichkeit» ist jetzt die grosse Retrospektive im Deutschen Architektur- Museum (DAM) betitelt. Kurator Yorck Förster, gemeinsam mit dem Architekten für das Konzept verantwortlich, hat um den Gartenhof des Erdgeschosses herum eine Box errichtet. Auf deren Aussenseite laufen die Besucher entlang eines Zeitstrahls, der Leben und Werk Kulkas in knapper Form präsentiert. Im Inneren der Box sowie in der Galerie des benachbarten Vortragssaals werden - beginnend mit dem Sächsischen Landtag - einundzwanzig Bauten und Projekte aus den letzten Jahren anhand von Modellen, Fotos, Plänen und kurzen Beschreibungen zu Gruppen vereint vorgestellt - «Freie Form», «Wege», «Der private Raum» und «Verloren und wiederentdeckt» lauten einige der Kategorien. Dabei zeigt die Sequenz der Objekte, dass Kulka keineswegs eine einheitliche stilistische Linie verfolgt. Das offenbart insbesondere die Konfrontation «Masse und Transparenz»: Auf der einen Seite der gläserne Landtag, auf der anderen Seite das «Haus der Stille» (2002) der Abtei Königsmünster in Meschede, ein kompaktes, fast hermetisches Sichtbetonvolumen, dessen Struktur sich erst im Inneren erschliesst.

Bezüge auf die Tradition

Wenn es einen gemeinsamen Nenner sämtlicher neuerer Projekte des Architekten gibt, so ist es der Bezug auf die Tradition moderner Architektur. Mal sind es miesianisch inspirierte Stahl- Glas-Gebäude, dann wolkenbügelähnliche Formationen wie bei dem eleganten, über dem Stuttgarter Talkessel gelegenen Schulungszentrum für Bosch oder der geplanten Feuerwache in Heidelberg. Im Werner-Otto-Saal des Konzerthauses Berlin (also des früheren Schauspielhauses von Schinkel) erwies Kulka unlängst einer architektonischen Inkunabel Dresdens seine Reverenz: Die höhenverstellbaren Podeste, welche den Raum konstituieren, fanden sich ähnlich einst im grossen Saal des Festspielhauses Hellerau (1910), bei dem Heinrich Tessenow mit dem Bühnenreformer Adolphe Appia und dem Lichtdesigner Alexander von Salzmann zusammengearbeitet hatte.

Auffallend oft hat sich Peter Kulka in den vergangenen Jahren mit historischer Bausubstanz auseinandergesetzt, vor allem in den neuen deutschen Bundesländern. Wenn er nicht, wie jetzt beim Wiederaufbau des Dresdner Stadtschlosses, mit dem Wunsch nach einer Rekonstruktion der historischen Gebäudehülle konfrontiert wird, setzt er auf eine Trennung der Zeitschichten. Das bewusste Bekenntnis zur Gegenwart schliesst Sensibilität und Behutsamkeit keinesfalls aus. Schon beim Umbau der Herfurtschen Villa in Leipzig zur Galerie für zeitgenössische Kunst (1994-98) ergab sich durch klare Eingriffe und Ergänzungen ein fruchtbarer Dialog über die Zeiten hinweg; erst in diesem Jahr wurde der Umbau des zum Teil kriegszerstörten Dresdner Hygiene- Museums von Wilhelm Kreis fertig gestellt. Kulkas vielleicht poetischstes Projekt blieb leider unausgeführt: Für eine durch das Hochwasser des Jahres 2002 in Mitleidenschaft gezogene Fussgängerbrücke in Grimma legte er einen aus sich überschneidenden Bögen bestehenden Entwurf vor - ein fast sakral anmutendes Netzwerk aus Brettschichtholz.

[ Bis 5. Februar 2006. Katalog: Peter Kulka. Minimalismus und Sinnlichkeit. Hrsg. Yorck Förster und Ingeborg Flagge. Edition Axel Menges, Stuttgart 2005. 272 S., Euro 28.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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