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Luxuriöse Einfachheit
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt und Designer John Pawson in Valencia

Bekannt geworden durch die Calvin Klein Stores in New York und Paris, gilt der 1949 geborene Londoner Architekt und Designer John Pawson heute als Hauptexponent des englischen Minimalismus. Ihm widmet nun das Institut Valencià d'Art Modern, das sich gerne als Pulsmesser zeitgenössischer Kultur sieht, eine grosse Retrospektive.

16. Juli 2002 - Roman Hollenstein
Valencia, die Metropole der spanischen Levante, sorgte als träge Schönheit bis vor wenigen Jahren kaum für Aufsehen. Doch dann entdeckten die damals regierenden Sozialisten die Architektur als Muntermacherin und betrauten Ricard Bofill mit der Gestaltung der Gärten im ehemaligen Flussbett des Turia und Santiago Calatrava mit dem Bau der monumentalen Ciutat de les Arts i les Ciències. Weitere Akzente setzten Norman Fosters Kongresspalast, das vor einem Jahr eröffnete Aufklärungs-Museum von Guillermo Vázquez Consuegra und Alvaro Gómez-Ferrer Bayos Erweiterung des Kunstmuseums.

Am Anfang dieser architektonischen und kulturellen Belebung aber stand der von Carles Salvadores und Emilio Giménez entworfene Kubus des 1989 eröffneten Institut Valencià d'Art Modern (IVAM), das nun einen Erweiterungsbau der Japanerin Kazuyo Sejima und damit endlich auch internationale baukünstlerische Weihen erhalten soll. Denn das IVAM zählt nicht zu jenen Häusern, die vor allem der Architektur wegen Besucher locken. Im Gegenteil: das Gebäude selbst ist guter Durchschnitt, doch was darin seit Jahren geboten wird, ist frisch und spannend aufbereitete moderne und zeitgenössische Kunst.


Englischer Minimalismus

Schon kurz nach seiner Gründung avancierte das IVAM zum spanischen Flaggschiff für Kunst des 20. Jahrhunderts. Zwar wurde es nach dem Regierungsantritt des konservativen Partido Popular etwas stiller um das Institut, dessen Heiligtum die weltweit grösste Julio-González-Sammlung ist, das aber auch mit einer moderat spanisch gefärbten Kollektion von Nachkriegskunst aufwarten kann. Unter dem neuen Direktor Kosme de Barañano soll nun das Haus mit gewichtigen Ausstellungen wieder seine einstige Bedeutung zurückerlangen. So war bis vor einer Woche eine Retrospektive des vor 20 Jahren verstorbenen Ben Nicholson zu sehen. Doch dauert der englische Sommer im IVAM weiter an mit dem Überblick über das Schaffen des Architekten und Designers John Pawson, den man durchaus als einen Geistesverwandten von Nicholson bezeichnen darf. Gleichwohl wird man diese Ausstellungen kaum als Konzession an den Geschmack jener Briten werten, welche die südlich von Valencia sich weitende Costa Blanca seit Jahren fest in ihrer Hand haben. Denn Pawson ist ein Anhänger einer minimalistischen Perfektion, die weniger den Nerv des Durchschnittsengländers treffen als vielmehr den Formensinn der traditionell eher barocken Valencianer fordern dürfte. Einheimische Besucher jedenfalls zeigen sich durchaus angetan von dieser ersten grossen, von einem aufschlussreichen spanischen Katalog begleiteten Werkschau Pawsons.

Der 1949 im englischen Halifax geborene Pawson arbeitete zunächst im familieneigenen Textilbetrieb und fand erst nach einem längeren Japanaufenthalt dank der Begegnung mit Shiro Kuramata zur Architektur. Einem grösseren Kreis bekannt geworden ist er durch jenen coolen Flagship Store, den er 1995 für Calvin Klein an der Madison Avenue in New York errichtete. Seither sind weitere Läden entstanden, die in den Pariser Calvin-Klein-Geschäften ihre bisher wohl gediegenste Ausformung fanden. Auch wenn sich Pawson nach der Eröffnung seines Londoner Büros im Jahre 1981 auf den Umbau von Wohnungen und Ladenlokalen spezialisierte, sieht er sich weniger als Innenarchitekt und Designer denn vielmehr als bauender Philosoph. Als solcher versucht er den Ursprüngen des Schöpferischen auf die Spur zu kommen, indem er sich durch die Lehre von Zen, aber auch durch die Erkenntnisse von Wittgenstein und Heidegger leiten lässt.


Philosophischer Überbau

Pawsons architekturphilosophischer Anspruch manifestiert sich nicht zuletzt im Aufbau der von ihm im IVAM eingerichteten Schau. Er inszenierte sie als einen japanisch angehauchten Lehrpfad, der die Besucher durch eine immateriell weisse Raumsequenz führt. Hier werden Themen wie Mass, Licht, Struktur, Ritual, Landschaft, Ordnung, Inhalt, Wiederholung, Volumen, Wesen, Ausdruck und Material anhand von Photographien seiner wichtigsten realisierten oder aber auch nur konzipierten Werke abgehandelt. Diesem Initiationsweg antworten - gleichsam auf einem didaktisch und architektonisch konventioneller gestalteten Nebenpfad - Bauten und Projekte, die mit Plänen, grossen Modellen, Computerbildern und Photographien veranschaulicht werden. Auftakt machen dabei die klösterlich kargen und doch raffinierten Räume seiner eigenen Wohnung in einem umgebauten Londoner Reihenhaus. Stärker dem Geist Mies van der Rohes verpflichtet ist eine Villa in Deutschland mit auskragendem, gläsernem Schlafgemach und seriell gereihten Gästezimmern. Etwa zur gleichen Zeit vertiefte Pawson seine Beschäftigung mit dem Wesen des Klosters im Projekt für den Umbau der Abtei von Novi Dvur in Tschechien, während er sich im Market Museum von Redcliffe und im Entwurf für einen Hallenbau der Firma Vacheron Constantin bei Genf wieder vermehrt auf seine innenarchitektonischen und gestalterischen Fähigkeiten konzentrierte. Diesen ist in der Schau ein eigener Bereich reserviert, in dem neben Geschäftsumbauten auch formal reduzierte, an Donald Judd erinnernde Möbelkuben sowie geometrische Vasen und Schalen zu sehen sind. Pawsons Luxus-Minimalismus überzeugt durch formale und materielle Perfektion, durch Sensibilität und Klarheit sowie durch die Harmonie von Proportion, Licht und Raum, er irritiert aber auch als Gratwanderung zwischen künstlerischer Strenge und geschmäcklerischer Leichtigkeit. Obwohl die neusten architektonischen Trends gerade auch in der Innenraumgestaltung eher wieder wegführen von überästhetisierten orthogonalen Raumgefügen, liegt diese Ausstellung durchaus im Trend. Das bestätigt letztlich auch die Tatsache, dass Pawson nach Abschluss seiner Retrospektive in Valencia auch in der offiziellen Hauptausstellung der Architekturbiennale von Venedig vertreten sein wird, die am 8. September ihre Tore öffnet.


[ Bis 1. September. Katalog: John Pawson. Temas y proyectos. Hrsg. IVAM. Phaidon Press, London 2002. 127 S., Euro 29.-. ]

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