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„Eine Stadt aus Brüsten“
Spectrum

Anfangs ein Symbolprojekt der Revolution, dann jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben: Kubas Nationale Kunstschulen werden restauriert. Die Freude darüber ist nicht ungetrübt.

11. Februar 2006 - Franziska Leeb
„Sie sind mein innig geliebtes Baby und das wahrscheinlich gelungenste Werk meiner Karriere“, so Ricardo Porro. Die Rede ist von den „Escuelas Nacionales de Arte“, Kubas nationalen Kunstschulen. Fidel Castro beauftrage den jungen Architekten im Jänner 1961 mit der Planung der „schönsten Kunstakademie der Welt“ (Castro). Im Dezember darauf, so sein Wunsch, sollte der Komplex auf dem Gelände des einstigen Nobelgolfvereins „Havana Country Club“ fertig sein. Porro lud seine italienischen Kollegen Roberto Gottardi und Vittorio Garatti ein, am Projekt mitzuwirken. Eröffnet wurden die Schulen im Juli 1965, fertig gestellt waren allerdings bloß die beiden Schulen von Porro. Heute noch markiert ein halbes Dutzend in der Gegend stehender Pylonen aus Stahlbeton den Ort, an dem Gottardi das Theater der Schauspielschule vorgesehen hatte.

Die fünf Gebäudegruppen der Schulen für Skulptur, Modern Dance, Drama, Ballett und Musik im grünen Stadtteil Cubancán am Rand von Havanna bezeichnet der kubanische Architekturhistoriker Eduardo Luis Rodríguez als den Höhepunkt einer Architekturrichtung, die auf der Suche nach einer Moderne regionaler Ausprägung war. Sie sind Architektur gewordene Beispiele für „Cubanidad“, aber auch für die romantisch geprägte Aufbruchstimmung der ersten Jahre der Revolution, in denen die Kunstschulen als Schlüsselprojekt auf dem Weg zu einer neuen, egalitären Gesellschaft galten.

Die Schule für Plastische Künste mit ihren in katalanischer Wölbtechnik erzeugten Kuppeln bezeichnet Porro selbst als „eine Stadt aus Brüsten“, quasi ein Abbild der afrokubanischen Fruchtbarkeitsgöttin Oshún. „Ich wollte eine Schule bauen, die so weiblich ist wie das kubanische Eiland.“ Die Schule für Modernen Tanz hingegen sollte Dynamik und Emotion des Sieges der Revolution in Architektur übersetzten.

Gottardi und Garatti kamen mit weniger Symbolik aus, integrierten ihre Bauten aber ebenfalls harmonisch in die Landschaft. Gottardi schuf mit der Schauspielschule ein entlang schmaler Wegachsen angeordnetes kompaktes Gefüge, das an italienische Städte erinnert. Der Mangel an Stahl zwang die Architekten dazu, den fünfteiligen Komplex im Wesentlichen aus Ziegeln zu errichten. Stahlbeton wurde nur dort eingesetzt, wo er konstruktiv unvermeidlich war.

Vittorio Garattis Ballettschule ist eine Komposition extrem dünn wirkender Kuppeln und Schalen mit raffiniert gesetzten Lichtschlitzen, die der karibischen Sonne wohldosiert und effektvoll Einlass gewähren. Ballett wurde hier nie getanzt. Eine Zeitlang lang nutzte die nationale Zirkusschule den Bau. Ebenfalls nur teilweise ausgeführt wurde die Schule für Musik, die sich als 330 Meter langes Band ausgeklügelter Raumfolgen parallel zum Quibù-Fluss schlängelt.

Im Jahr 2000, als die Schulen in die Liste der 100 meistgefährdeten Bauten des World Monuments Watch aufgenommen wurden, bot sich den Besuchern ein Bild von schauriger Schönheit. Während in den Schulen für bildende Kunst und Modern Dance noch gelegentlich Studenten anzutreffen waren und die von den Planern beabsichtigte Integration von Natur, Menschen, Architektur und Kunst eindrucksvoll erlebbar war, drohte der Rest des Areals von der Vegetation überwuchert zu werden. Das tristeste Bild boten die Schulen für Musik und Ballett: Ruinen, einsturzgefährdet und hoffnungslos verloren, Architektur als ein Haufen Elend, zugleich immer noch voll poetischer Ausstrahlung.

Nach 1965 kam den Schulen, die kurz zuvor noch eines der gefeiertsten Projekte der Revolution waren, die Wertschätzung durch die politischen Eliten abhanden. Preiswerte Wohnungen brauchte man damals wie heute dringender als luxuriöse Kunstakademien. Wenn etwas gebaut wurde, dann Plattenbauten im Stil des sowjetischen Bruderstaats. Die Architektur der Kunstschulen erschien den politischen Hardlinern bald zu bourgeois. Ricardo Porro, der nach den Kunstschulen in Kuba keine Aufträge mehr bekam, verließ 1966 die Insel in Richtung Paris. Garatti wurde 1974 wegen des Verdachts der Spionage drei Wochen inhaftiert und, obwohl freigesprochen, des Landes verwiesen. Nur Gottardi lebt noch in Kuba.

Mit der bemerkenswerten Publikation „Revolution of Forms - Cuba's Forgotten Art Schools“ (Princeton Architectural Press, New York) des amerikanischen Architekturhistorikers John A. Loomis gelangten das Architekturjuwel und sein beklagenswerter Zustand in den Fokus der internationalen Fachöffentlichkeit. Bald darauf kontaktierte die kubanische Regierung die drei Architekten mit der Bitte, bei der Restaurierung der Kunstschulen mitzuwirken. Ricardo Porro zeigt sich zufrieden, dass die politische Führung dem weggelegten Kind wieder Anerkennung zuteil werden lässt. Ungetrübten Grund zur Freude hat er nicht.

Die Restaurierung leitet der Architekt Universo García. „Es ist unser Ziel, Fidel Castros Traum einer Verwandlung des exklusiven Country Clubs in eine Stadt der Künste zu komplettieren.“ Von einem italienischen Konzern kommt die Bauchemie zur Verfestigung des stark angegriffenen Ziegelmauerwerks. Vor Ort werden die Arbeiter im Umgang mit den Sanierungsprodukten geschult. Die für die Bauten bedrohliche Vegetation wurde auf dem gesamten Areal gerodet. Nutzungskonzepte sind in Arbeit, um die Ruinen der Schulen für Musik und Ballett wieder einer Verwendung zuzuführen. Roberto Gottardi plant bereits an der Fertigstellung und neuen Zubauten.

Neue Wege und Infrastruktur werden errichtet, was dem Original ästhetisch nicht unbedingt gut bekommt. Porro hat zwar Verständnis für notwendige Adaptierungen, eines regt ihn aber auf: „Stellen Sie sich vor, die installieren einen Polizeiposten am Eingang! Mein Konzept einer offenen Schule ist damit zerstört!“ Über Details informiert man ihn nicht. Er erfuhr zwar, dass die desolaten hölzernen Fensterrahmen „originalgetreu“ durch robustere Aluminiumprofile ersetzt werden. Wie plump sie tatsächlich wirken, hat er noch nicht gesehen. Vergangenen November feierte er seinen 80. Geburtstag. Der Einladung, auf der Architekturfakultät in Havanna zu unterrichten, wird er wahrscheinlich diesen Herbst Folge leisten: „Solange ich kann, helfe ich.“

Eduardo Luis Rodriguez, einer der vehementesten Kämpfer für den Schutz der Bauten der Moderne, wünscht sich, dass Porros Schulen so originalgetreu und sensibel wie möglich restauriert werden. Unter den Eingriffen, die der ursprünglichen Aura abträglich sind, leidet auch Maria Elena Martin, Professorin für Architekturgeschichte: „Was soll man tun, wenn man die Originalpläne respektieren will, aber die Mittel für eine adäquate Lösung nicht vorhanden sind?“

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