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Eine Stadtkrone am Lago Maggiore
Neue Zürcher Zeitung

Projekt für ein Kultur- und Kongresszentrum in Ascona

Seit einigen Tagen sind in Ascona die Entwürfe für ein Kultur- und Kongresszentrum ausgestellt. Das hat zu einer Kontroverse um das monumentale Siegerprojekt von Caruso St John geführt.

13. Februar 2006 - Roman Hollenstein
Neben dem Wettbewerb für ein neues Basler Stadtkasino darf jener für ein Kultur- und Kongresszentrum in Ascona als eines der prestigeträchtigsten Schweizer Architekturereignisse der letzten Jahre gelten. Doch wer in Ascona einen innovativen, den Architekturdiskurs beflügelnden Entscheid erhofft hatte, wird nun enttäuscht. Die hochkarätige Jury, der Stars wie Peter Zumthor, John Pawson und Roger Diener angehörten, kürte jüngst im zweiten Durchgang das Projekt der Londoner Architekten Adam Caruso und Peter St John, denen vor einigen Jahren mit der turmartigen New Art Gallery in Walsall ein vielbeachtetes Meisterwerk gelungen war (NZZ 6. 11. 00). Für Ascona variierten die Engländer die in Walsall erfolgreiche Idee einer Stadtkrone - allerdings mit wenig Überzeugungskraft. Denn anders als die etwas abgetakelte mittelenglische Industriestadt, die durch den weithin sichtbaren Neubau nur gewinnen konnte, ist im Zentrum von Ascona ein solcher Akzent fehl am Platz. Hier würde der massige «Leuchtturm» mit seiner Hülle aus weissem, marmorglänzendem Zement und den acht Meter hohen, teilweise verspiegelten Fenstern nicht nur den städtebaulichen Massstab verfremden, sondern auch die von zwei Kirchtürmen beherrschte Silhouette zerstören. Denkbar wäre ein solches Zeichen höchstens zwischen Hotelviertel und Lido direkt am See.

Schwerfälliger Leuchtturm

Das Siegerprojekt kann zwar mit einem räumlich interessanten Foyer und - über den Büros der Polizei - im ersten Stock des Sockelgeschosses mit einem intelligent konzipierten Museum aufwarten. Dessen Erschliessung erweist sich jedoch als ebenso unbefriedigend wie die Gestaltung des nochmals eine Etage höher gelegenen, an eine provinzielle Mehrzweckhalle erinnernden Auditoriums, das für Kongresse, Konzerte, Theater- und Filmvorführungen zur Verfügung stehen soll. Hier wird ein Bau mit Funktionen überfrachtet, nur um ihm eine aufsehenerregende Höhe zu verleihen. Seine 31,5 Meter hoch aufragende Fassade wird zum Viale Papio hin durch riesige seitliche Kehlen (die als Reverenz an den Tessiner Barock angepriesen werden) optisch schlanker gestaltet, damit sie neben dem nur wenig höheren Turm der benachbarten Kollegiatskirche nicht zu plump wirkt. Dafür wollen Caruso St John das ebenfalls zur Bebauung freigegebene Grundstück westlich des Viale nur mit einem pavillonartigen Tourismushaus und einem an dieser Stelle urbanistisch fehlplacierten Garten nützen.

Wogende Dynamik

Die Jury wollte all diese Mängel ganz offensichtlich nicht sehen. Neben einem weiteren himmelstrebenden, durch schmale, vertikale Fenster gegliederten Monolithen von Peter Märkli (der immerhin ein annehmbares Auditorium verspricht) lag ihr noch ein Vorschlag von Zaha Hadid vor. Nun werden viele sagen: Bitte, nicht schon wieder Hadid. Doch während beim Basler Stadtkasino der siegreiche Hadid-Entwurf dem Projekt von Herzog & de Meuron in mancher Hinsicht unterlegen war, ist ihre Asconeser Arbeit massgeschneidert für diesen ebenso beengten wie delikaten Ort am Rand des Borgo. Hadid erkannte nämlich als Einzige, dass architektonisches Spektakel hier weniger durch eine zeichenhafte Stadtkrone oder einen Leuchtturm angestrebt werden darf als vielmehr durch formale Überwältigung. Dies gelingt ihr, indem sie mit opulenten Volumen den Strassenraum zum Brodeln bringt.

Zaha Hadids baukünstlerische Argumentation lag nicht auf der Linie der minimalistisch- geometrisch ausgerichteten Jury. Dennoch hätte diese die städtebaulichen, räumlichen und funktionalen Qualitäten des Entwurfs erkennen müssen. Integriert sich doch - trotz wogender Dynamik (um nicht zu sagen Hysterie) - kein anderes Projekt so perfekt in den fragmentarischen Kontext des Viale Papio, auch wenn der geschickt auf beide Parzellen verteilte, durch einen geschwungenen Skywalk verbundene Baukörper mitunter an eine Raumstation erinnert. Attraktive Foyers saugen die Besucher hinauf in die westlich des Viale untergebrachten Museumsräume und in das gegenüberliegende Auditorium, das mit Eleganz und Grosszügigkeit zu überzeugen weiss. Bei aller Rhetorik fügt sich der in seiner stärksten Aufwölbung nur 22 Meter hohe Doppelbau diskret in Asconas Weichbild ein.

Wie schwer sich all die andern Architekten mit dem schwierigen Standort und dem überfrachteten Raumprogramm taten, zeigen in der derzeitigen Asconeser Ausstellung fünf zusätzliche in der ersten Runde ausgezeichnete Projekte: zwei Betonskulpturen von Luigi Snozzi, ein falsch placierter gläserner Novecentobau des Tokioter Kultbüros Sanaa, die gekurvten Volumen von Mansilla & Tuñón aus Madrid, die fabrikartigen Baukörper von Rafael Moneo sowie Mario Bottas diskretes, aber städtebaulich präzises Spiel mit Rechteck und Oval.

Da ein Scheitern des für Ascona wichtigen Kultur- und Kongresszentrums bedauerlich wäre, stellt sich die Frage, ob die Gemeinde - entgegen dem Juryentscheid - nicht Zaha Hadids Projekt weiterverfolgen sollte. Mag sein, dass dessen Realisierung den Finanzrahmen von knapp 55 Millionen Franken sprengen würde. Aber es hätte wie kein anderes das Potenzial, Sponsoren zu motivieren - und dereinst auch Besucher anzulocken. Wenn dann noch das zur permanenten Baugrube verkommene Ex-Taverna-Areal am Eingang zum Viale Papio mit einer anspruchsvollen Architektur bebaut und das historische Postgebäude renoviert würde, könnte Asconas derzeit hässlicher «Empfangssalon» zum stolzen Gegenstück der Piazza am See aufsteigen.

[ Die drei Projekte aus der Finalrunde sowie die fünf weiteren prämierten Arbeiten aus der ersten Runde sind noch bis zum 18. Februar täglich zwischen 15 und 19 Uhr in Ascona (Viale Papio 5) zu sehen. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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