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Der Standard

Georg Franck über das harte Ringen um Beachtung, über mediale Aufmerksamkeit als architektonisches Startkapital und über die Unsäglichkeit von Architektenrankings

11. März 2006 - Ute Woltron
Es sei wichtiger geworden, in welchem Medium ein Projekt erscheine, als wo das Haus stehe, meint Georg Franck. In seinem jüngsten Buch Mentaler Kapitalismus analysiert der Professor für digitale Methoden in Architektur und Raumplanung an der TU-Wien unter anderem die Mechanismen eines hochkompetitiven, immer aggressiver werdenden Architekturmarktes, der nicht zuletzt von Bauherren und Medien angeheizt wird.

Das „Bauen fürs Feuilleton“ (© Karin Tschavgova) hat Methode, die offensive PR-Politik gehört mittlerweile zum Geschäft, Erfolg hat oft, wer zusätzlich am schönsten laut schreit - und ob das den Architektinnen und Architekten passt oder nicht, steht bedauerlicherweise längst nicht mehr zur Debatte.

DER STANDARD: Ist die aktive Selbstvermarktung unerlässlicher Teil der architektonischen Produktion geworden?

Georg Franck: Seit Giorgio Vasari müssen Künstler nebenbei auch für Anerkennung sorgen, also dafür, dass sie rezipiert werden. Wenn dieser Teil des Jobs aber in den Vordergrund tritt und zu einem richtig harten, professionellen Geschäft wird, dann wird's sehr unangenehm, und zwar für alle Beteiligten.

Befördert die steigende Architektur-PR die Architektur-Produktion?

Franck: Ich habe eher den Eindruck, dass dieser kollektive Drang irgendwie aufzufallen, irgendwie in die Medien zu kommen, der Qualität der eigentlichen Produktion abträglich ist. Man kann das fast schon als Konkurrenz um den Quadratmillimeter Publikationsfläche bezeichnen. In jeder Bewerbung, in jedem Lebenslauf von Architekten sieht man immer vor allem die Publikationen. Da kann man unten fast schon einen Strich ziehen und die Summe zusammenrechnen.

Das tut man ja auch: Es gibt internationale Architektenrankings, in denen die „Besten“ jene sind, die die meisten medialen Erwähnungen verbuchen konnten.
Franck: Das ist absolut verheerend. Es gibt Ähnliches auch bei Literaten und Künstlern. Dabei handelt es sich um reines Quotendenken.

Man kann es in Ihrer Diktion auch als Teil der Profitrate sehen. Die mediale Aufmerksamkeit ist Teil des Gewinns und zugleich neues Startkapital.
Franck: Absolut - und die Publikationslisten sind die äußere Form der Kapitalisierung.

Oder der Aktienindex, wie man will.
Franck: Tatsächlich, man tut so, als würden hier die Kurswerte von Assets notiert, denn die werden genau so gehandelt.

Mittlerweile gibt es kaum noch Architekturbüros, die sich keine eigene PR-Abteilung oder zumindest PR-Beauftragte leisten. Können Architekten, die sich dem Medienspiel entziehen wollen, überhaupt noch ihr Auslangen finden?
Franck: Das ist das Problem! Die Verweigerung ist riskant. Man kann zwar Glück haben und eben doch Wettbewerbe gewinnen, Bauherren finden. Auch wenn es stimmen sollte, dass sich - sehr - langfristig die Qualität durchsetzt und die kurzfristige Wichtigtuerei wieder verschwindet, so muss doch auch festgehalten werden: Langfristig Karriere innerhalb der Architekturgeschichte machen nur Werke oder Architekten, die irgendwann Mode waren. Wenn also Architekten meinen, sie bräuchten die Medien nicht, dann sind wahrscheinlich saure Trauben mit im Spiel.

Was hat diesen medialen Architektur-Hype der vergangenen zehn Jahre verursacht?
Franck: Es hat damit zu tun, dass die Architektur sich selbst geöffnet hat. Noch in den 70er-Jahren kämpften die Architekten auf einsamen, avantgardistischen Posten für etwas, das die große Masse sowieso nicht verstand.

Das riecht nach elitärem Denken.
Franck: Nur in dem Sinn, als es auf Originalität, Authentizität und Innovation ankam - das waren die wichtigen Kriterien. Es war eine Architektur für Architekten: Andere Architekten sollten Augen machen, Kritiker, die selbst zum inneren Cercle gehörten, sollten die Projekte beachten und darüber berichten.

Das erinnert an die Defilees der Haute Couture: Die gezeigten Kleider werden vom Fachpublikum für gut oder schlecht befunden, aber anziehen kann sie niemand.
Franck: Genau. Und aus eben diesem Grund ging das den Bach runter. Diese Art des Umgangs mit Architektur war nicht dazu geeignet, die enorme Masse von Gebäuden, die produziert werden musste, in Form zu bringen. Irgendwann haben selbst die Anhänger dieser Auffassung ihre Ziele in dieser Produktion nicht mehr erkannt und das Ruder herumgeworfen. Eine der neuen Richtungen war es, die Architektur populär zu machen.

Das war jene Zeit, in der etwa Aldo Rossi damit begann, für Alessi neckische Espressokocher zu designen.
Franck: War das nicht Michael Graves?

Der auch. Alessi hat damals so gut wie alle großen Namen eingekauft.
Franck: Graves ist dann jedenfalls bald bei Disney als Auftraggeber gelandet. Insgesamt war das Resultat eine Architektur, die nicht nur populär wurde, sondern gleitend in einen richtiggehenden Populismus überging.

Das heißt, die architektonische Haute Couture ließ sich in die Niederungen der Markenartikler herab?
Franck: So ist es, und interessanterweise kommt die Idee der Marke ja aus der Kunst. Alle Künstler müssen darauf achten, eine Marke zu werden. Der Übergang von der elitären Marke zur populären war der wesentliche Schachzug: Die Architektur hatte sich geöffnet, sie wurde ein populäres Medium, und dieses Angebot vonseiten der Architektur wurde vom Markt nur allzu begierig aufgesogen.

Nunmehr sind wir bei Rem Koolhaas und seinen Prada-Shops gelandet.
Franck: Oder in Bilbao bei Frank Gehrys Guggenheim. Bilbao wurde ein paradigmatisches Beispiel für eine ganze Architekturepoche. Dabei hatte es zuvor bereits Jorn Utzons Opernhaus in Sydney gegeben, das ebenfalls zu ei- ner Ikone wurde, aber noch eine Ausnahme- erscheinung und seiner Zeit voraus war.

Dennoch ist es nach wie vor das meistfotografierte und meistpublizierte Gebäude der Welt und hat seinen Architekten in den Olymp der Unsterblichen katapultiert.
Franck: Das ist überhaupt eines der interessantesten Themen: Wenn ein Gebäude einmal in den Parnass aufgestiegen ist und zum Kanon der Klassiker gezählt wird, dann wird es dort auch bleiben. Dieser Katalog der klassischen Werke ist etwas vom Stabilsten in unserer Kultur überhaupt.

Zeichnet sich im Phänomen der zeitgenössischen Architekturstars ebenfalls Stabilität ab? Wird es in zwei Jahrzehnten wieder ArchitekturSuperstars geben, oder werden sie, wie die Supermodels der 80er- und 90er-Jahre, Ausdruck einer bestimmten Epoche bleiben und sich in der Inflation von Sternchen verlieren?
Franck: Wer hätte Alvar Aalto oder Jorn Utzon je als Stararchitekten bezeichnet, obwohl sie Stars waren? Ich würde meinen, der Begriff des Stararchitekten und der Dekonstruktivismus sind ein Begriffspaar. Die Dekonstruktivisten sind die gehypten Supermodels der Architektur. Man berichtet über sie nicht nur, weil sie Architektur machen, sondern auch, weil sie so berühmt sind.

Was allerdings jetzt nicht als Qualitätsdebatte missverstanden werden darf.
Franck: Überhaupt nicht. Unter ihnen gibt es große Könner. Doch die Masse der Architekten, die durch Publikationen in den vergangenen zehn Jahren bekannt wurden, ist inzwischen enorm gewachsen. Einerseits gibt es Nachfrage unter den Investoren nach dieser auffälligen Publikationsarchitektur, andererseits befinden wir uns möglicherweise bereits in einer Inflationsphase. Vielleicht wird man schon bald keine Hochglanzarchitektur mehr sehen können.

Was auffällt, ist die grundsätzlich affirmative Haltung dem Gezeigten gegenüber. Es wird kaum je Kritik geübt. Sind die Hochglanzfotos der Architekturmagazine zu den Manifesten der zeitgenössischen Architektur geworden?
Franck: Ich befürchte, dass Sie damit den Nagel auf den Kopf treffen.

Das bedeutet aber, dass der Mehrwert, den gute Architektur bei genauer Analyse aufweist, von allen Beteiligten, von Investoren und Architekten, zugunsten medialen Schicks und damit der Verwertbarkeit auf dem Markt der Anerkennung und Popularität in den Hintergrund gedrängt wird - und zwar zulasten der Nutzer?
Franck: Ja. Das ist verhängnisvoll und hat die Tendenz, sich auszuweiten, etwa wenn es um den Umgang mit historischen Gebäuden geht, wo nur noch der touristische Blick und damit wieder eine andere Art der Verwertung zählt.

Die Extrovertiertheit, das Erfolgsheischen und die Eitelkeit, die der Markt mittlerweile von der Architektur verlangt, münden irgendwann in eine narzisstische Grundhaltung, die sich dann unweigerlich in der Architektur widerspiegeln muss.
Franck: Das ist das Bedrückende daran. Dieses harte Geschäft um Beachtung und Auffallen, das allerorten, und nicht nur in der Architektur zu beobachten ist, rührt unser wirklich Innerstes: das, was wir von uns selbst halten dürfen. Die Abhängigkeit unserer Selbstwertschätzung von der äußeren Wertschätzung ist etwas, was früher kaum thematisiert wurde. Das wurde nicht an die große Glocke gehängt. Doch in dem Moment, in dem klar wird, dass man seinen Selbstwert optimieren, die Ich-AG mit Ellenbogen vorwärts boxen muss, weil man sonst auf der Strecke bleibt, entsteht eine allgemein ganz unangenehme Atmosphäre. Das zeigt sich etwa darin, dass wir mit Werbung zugemüllt werden - und das setzt sich bis in unsere gebaute Umwelt fort.

[ Georg Franck: „Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes“. € 224,20/288 Seiten, Edition Akzente, Hanser, 2005 ]

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