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Im Schaufenster
Der Standard

Vorarlberg ist und bleibt ein anderer Kontinent in der Architekturlandschaft, vor allem auch weil die meisten Bürgermeister im Ländle zu Architekturspezialisten herangereift sind

25. März 2006 - Ute Woltron
Eigentlich wollten wir an dieser Stelle eine österreichweite Rundschau zu den besten, schönsten, maßvollsten Kommunalbauten antreten, um einmal jene Bürgermeister in den Vordergrund zu rücken, die dafür Verantwortung tragen.

Immerhin bilden Rathäuser, Kindergärten, Feuerwehrstationen, Kulturzentren und andere Gemeindebauten eine Art kulturellen Infrastrukturgerüsts, das wie ein Maßstab wirken kann - um das Wort Vorbildwirkung nicht übermäßig zu strapazieren.

Eine umfassende Recherche ergab eine große Anzahl erfreulich hochwertiger Objekte, sie enthüllte allerdings auch die Tatsache, dass schätzungsweise nur jedes zehnte davon eben nicht in Vorarlberg steht.

Vorarlberg also. Schon wieder. Das gelobte Land der Architektur. Warum aber? Wer, wenn nicht die Stadtväter und -mütter, kann darüber als höchste Bauinstanz Auskunft erteilen. Die Frage lautete also: Wie, Herr Bürgermeister, gehen Sie an die Sache in Ihrer Gemeinde heran? Oder: Warum zum Teufel haben die meisten Gemeindechefs in Vorarlberg offensichtlich gründlich verinnerlicht, dass Architektur nicht nur aus Wänden, sondern aus Inhalten besteht? Und wie schaffen sie es, diese Erkenntnis auch umzusetzen?

Die Angesprochenen zeigten allesamt freundliche Nachsicht, obwohl sie die Frage offensichtlich etwas primitiv deuchte.

Bürgermeister Josef Mathis beispielsweise erklärt in wenigen schnörkelfreien Sätzen, dass Vorarlberg eben über mehrere wichtige Grundparameter für das Entstehen guter Architektur verfüge: Es herrschten äußerst liberale Baugesetze, es lebten hier viele gute, frische Architekten und Handwerker, das Land befinde sich zudem in einer engen nachbarschaftlichen Situation zur Schweiz und zu Deutschland und stehe dadurch ständig im Schaufenster - und in Erkenntnis all dieser positiven Elemente sei es nur logisch, dass man sie als dafür Verantwortlicher baukastenartig optimal zusammensetze.

Mathis steht der Gemeinde Zwischenwasser vor. Bei einer Einwohnerzahl von immerhin 3200 Bürgerinnen und Bürgern leistet man sich dort seit 1992 einen Fachbeirat für Architektur. Ehrenamtlich? „Natürlich nicht“, sagt der Gemeindechef, „ich würde ja auch nicht umsonst arbeiten.“ Zwei Architekten begutachten gemeinsam mit dem Bauausschuss etwa alle sechs Wochen neue Bauvorhaben. Mathis: „Das System hat sich absolut bewährt, man kann das mittlerweile an der Gemeinde ablesen. Es passiert häufig, dass Projekte, die nicht entsprechen, die etwa mit dem Gelände falsch umgehen, zur Überarbeitung zurückgeschickt werden.“

„Architektur ist das Spiegelbild der Gemeinde“, steht im Leitbild. Raumplanung und Ökologie gehören dazu. Zwischenwasser hat Bau-und Bauhoffnungsland rückgewidmet, was natürlich nicht friktionsfrei, aber, wie Mathis erläutert, für die optimale Entwicklung der Gemeinde unerlässlich war. Die Bürger von Zwischenwasser haben gemeinsam eine Fünf-kW-Fotovoltaikanlage errichtet, Schwimmbad und Volksschule werden solar beheizt, neue Kommunalprojekte werden ausschließlich über Wettbewerbe vergeben.

Ortswechsel. Wie es um die Ordnung im neuen Zeughaus der Freiwilligen Feuerwehr von Mellau steht, dokumentiert die Live-Webcam, die von den Florianijüngern vor Ort installiert wurde. Die Architektur des Hauses stammt von Helmut Dietrich und Much Untertrifaller. Das Projekt ist das Resultat eines Wettbewerbs.

Ob sich dieses Prinzip bewährt habe, so die Frage an Bürgermeisterin Elisabeth Winke. „Ich kenne gar nichts anderes, wenn es um öffentliche Gebäude geht“, meint sie, nicht ohne Erstaunen. Man müsse sich eben eine kompetente Person für die Ausschreibung suchen und loslegen. Das Feuerwehrhaus sei allerdings noch von ihrem Vorgänger initiiert worden, ihm gebühre die Ehre.

Much Untertrifaller weist auf einen weiteren wichtigen Baustein des Vorarlberger Architekturkonstruktes hin: „Die Architektur selbst wird nicht infrage gestellt, die Bürgermeister gehen kein Risiko ein, wenn sie zeitgenössisch bauen, denn hier schimpft niemand über moderne Architektur.“

Die Architektin Marta Schreieck sieht das so: „Die Vorarlberger Bürgermeister haben sich ein beeindruckendes Fachwissen über Architektur angeeignet. Da kann man nur sagen: Hut ab! Außerdem geht es ihnen nicht nur um einzelne Projekte, sondern um städtebauliche Überlegungen und damit die ganzheitliche Sicht.“

Schreieck war selbst beispielsweise Mitglied des Gestaltungsbeirates der Gemeinde Feldkirch, als dort ein bestehendes, gemeindeeigenes Wasserkraftwerk neu errichtet werden sollte. Der Gestaltungsbeirat erinnerte die Stadtväter daran, dass auch einer solch hoch technoiden Angelegenheit dringlich architektonische Gestaltung zu verleihen sei. Das Resultat war ein Wettbewerb, die Architekten Bettina Götz und Richard Manahl (Artec) gewannen ihn, das Kraftwerk Hochwuhr ist samt „Kunst am Bau“ von Peter Sandbichler und der Landschaftsplanung von Auböck und Karasz ein kapitales Prachtstück seiner Gattung geworden.

Diese Sorgfalt in der Gestaltung von Objekten unterschiedlicher Funktion ist, wie man sieht, raum- und lebensqualitätsprägend. Natürlich entsteht auch in Vorarlberg durchaus Schlechtes, wiewohl in den anderen Bundesländern manch Gutes aus Fundamenten wächst.

Doch kristallisiert sich ein ganz wichtiger Faktor für gute Architektur klar heraus: Wenn Bürgermeister über die Weltoffenheit verfügen, einem Gremium von Fachleuten Glauben schenken zu können, wenn ein höchst ausgebildetes Team von Architekten, Raumplanern und anderen Spezialisten als Berater ernst genommen wird, steigt der Qualitätspegel augenblicklich.

Gestaltungsbeiräte haben in Vorarlberg lange Tradition, und erfreulicherweise beginnen viele - auch kleinere - Gemeinden außerhalb des Ländles sich dieses sinnigen Instruments zu bedienen. Auch hier gelten wichtige Grundregeln: Ehrenamtlich funktioniert gar nichts. Die Arbeit der Berater und Beraterinnen ist wichtig, sie hat bezahlt zu werden. Die Bestellung erfolgt nach einem Rotationsprinzip, die jeweils Aktiven sind vom lokalen Baugeschehen für die Phase ihrer Beiratstätigkeit natürlich ausgeschlossen. Was passieren kann, wenn sie es nicht sind, dürfte andernorts bewiesen worden sein.

Marc Anders ist gemeinsam mit Erwin Rinder für die Abteilung Infrastruktur der Gemeinde Lauterach zuständig. Auch hier wirkt ein Gestaltungsbeirat. „Alle Projekte, ob kommunal oder privat, werden begutachtet“, so Anders. Das passiert am Vormittag, Architekten und Bauherren sind dabei. Und damit etwas weitergeht, tagt im Anschluss zackig der Bauausschuss. Im Leitbild der Gemeinde steht niedergeschrieben: „Die hohe Lebensqualität der Wohngemeinde Lauterach soll durch bewusste und maßvolle Bauvorhaben auf lange Sicht erhalten bleiben.“ So einfach ist das, nur - tun muss man etwas dafür.

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