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Unsicherheit macht sich breit
Neue Zürcher Zeitung

Europas Hochhausdiskussion am Beispiel Barcelonas

5. Oktober 2001 - Roman Hollenstein
Die Ölkrise und die vom Club of Rome prognostizierten «Grenzen des Wachstums» brachten das Hochhaus Mitte der siebziger Jahre in Verruf. Erst eine neue Generation von zeichenhaften Wolkenkratzern - darunter Norman Fosters technoider Bankenturm in Hongkong oder Philip Johnsons «Chippendale-Kommode» in New York - bereitete der jüngsten Hochhaus-Renaissance das Terrain. Kurz darauf wurde die Mär vom ökologischen Wolkenkratzer in die Welt gesetzt, und spätestens seit sich Fosters Commerzbank in Frankfurt mit Skygärten und energetischen Erneuerungen ein «grünes» Mäntelchen umlegte, sind himmelstürmende Bauten als Ausdruck städtischen Selbstbewusstseins wieder salonfähig. Dabei weiss man längst, dass Häuser mit mehr als 20 Geschossen nicht wirklich umweltfreundlich sind und zudem für viele Benutzer zur psychischen Belastung werden können. Doch wer daran erinnerte, galt als Spielverderber.

Nun sind die Zentren der globalisierten Welt durch die Terrorattacken auf die Twin Towers des WTC in Manhattan jäh aus ihrem Höhenrausch erwacht; und die einstigen Objekte des Stolzes haben sich in bedrohliche Symbole verwandelt. In London und Frankfurt, den beiden Städten, die sich leidenschaftlich um die höchsten und schönsten Wolkenkratzer Europas streiten, schweigt man gegenwärtig diskret zum Thema Hochhausbau, stellt aber die ehrgeizigen Projekte noch nicht in Frage. Hingegen wird in Barcelona, das erst vor einem Jahrzehnt mit den rund 150 Meter hohen Zwillingstürmen am Port Olímpic einen fernhin sichtbaren Akzent erhalten hat, nun heftig diskutiert. Denn in der katalanischen Metropole - die von der Umgestaltung des Port Vell bis hin zu dem von Herzog & de Meuron geplanten «Forum der Kulturen» am meerseitigen Ende der Avinguda Diagonal eher auf flache Bauten setzte - sind gegenwärtig knapp ein Dutzend Hochhausprojekte in Planung. Unter diesen Werken, die sich in den Augen von Jean Nouvel wie «Geysire aus dem Magma der gebauten Stadt» erheben, befindet sich an der Plaça de les Glòries Catalanes als architektonisch anspruchsvollster Entwurf dessen 142 Meter hoher phallischer Rundturm mit farblich changierender Membran und als narrativstes Projekt das an ein geblähtes Segel erinnernde, 170 Meter hohe «Edificio Vela» von Ricard Bofill, das nun auf 80 Meter zurückgestutzt werden soll. Diese Höhenmarke, die der Stadtarchitekt von Barcelona, Josep Acebillo, den Bauherren und Architekten als vernünftige Limite nahelegt, hielt schon von Anfang an der von Benedetta Tagliabue und dem verstorbenen Enric Miralles entworfene Turm in der Barceloneta ein. Damit entspricht dieser noch am ehesten der Stimmung im Volk, die in den Hochhäusern gegenwärtig in erster Linie potenzielle Zielscheiben für Terroristen sieht. Auch wenn die bauende Zunft noch immer von der Sicherheit der Wolkenkratzer überzeugt ist, dürften über deren Zukunft letztlich die Benutzer entscheiden - und die müssen zunächst ihr Vertrauen wiederfinden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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