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Szenarien für die dynamische Gesellschaft
Neue Zürcher Zeitung

Die Architektur von UN Studio in Rotterdam

Ben van Berkel zählt zu den weltweit meistbeachteten zeitgenössischen Architekten. Seit 1996 nennt sich das von ihm und Caroline Bos geleitete Büro «UN Studio». Eine konzentrierte Ausstellung - eher gegenwärtige Bilanz denn Retrospektive - gibt im Nederlands Architectuurinstituut Rotterdam einen Überblick über neue Bauten und Projekte.

15. August 2002 - Hubertus Adam
Ohne Zweifel, die Erasmus-Brücke zwischen dem Stadterweiterungsgebiet Kop van Zuid und der Innenstadt von Rotterdam katapultierte Ben van Berkel und seine Partnerin, die Kunsthistorikerin Caroline de Bos, in die erste Liga der niederländischen Architekten. Konstruktiv avanciert und formal elegant zugleich, wurde die 1996 eingeweihte Brücke unverzüglich zum neuen Wahrzeichen der Hafenstadt am Maasdelta. Gleichwohl hatten van Berkel & Bos in Fachkreisen schon zuvor Aufmerksamkeit gefunden, auch wenn sich die Bauten und Projekte in den Jahren nach der Bürogründung 1987 vornehmlich auf die Stadt Amersfoort konzentrierten. Seit 1998 - in diesem Jahr erschien die dreibändige Publikation «Move» - nennt sich das Büro «UN Studio». UN steht für «United Network», weil Architektur in heutiger Zeit nicht mehr allein von zwei Personen gesteuert werden kann, weil es der Unterstützung diverser anderer Disziplinen bedarf - und schliesslich auf Grund der Tatsache, dass die Arbeit der Amsterdamer auf dem computergenerierten Entwerfen beruht. Unter dem Titel «UN Studio - UN Fold» präsentieren van Berkel & Bos nun ihre fünfzehnjährige gemeinsame Tätigkeit im Nederlands Architectuurinstituut (NAI) in Rotterdam. Obwohl es sich um die erste Retrospektive handelt, setzt die Ausstellung doch ihren Schwerpunkt auf die in den vergangenen fünf Jahren entstandenen Arbeiten.


Topologie statt Geometrie

Mehr noch als die populäre Erasmus-Brücke zeugt das in einem Wald bei Naarden versteckte «Möbius-Haus» von dem Architekturverständnis des Amsterdamer Büros. Anhand von Bewegungsdiagrammen der das Haus bewohnenden Familie organisierte UN Studio ein Kontinuum von Räumen, das zu einer verdrehten Endlosschleife zusammengefügt ist. Der Name des aus Beton und Glas bestehenden Hauses weist auf die gedankliche Inspiration hin, die dem Konzept zugrunde liegt: das aus der Mathematik bekannte Möbius-Band. Damit bezeugt das Gebäude den Paradigmenwechsel von der euklidischen Geometrie, die noch Le Corbusiers Promenade architecturale und selbst Rem Koolhaas' Entwurf für die Bibliothek des Jussieu-Campus prägte, zu einem topologischen Verständnis: Nicht mehr fixierten Körpern und Koordinaten gilt die Aufmerksamkeit, sondern Relationen wie Nähe und Ähnlichkeit sowie Transformationen. Eine andere topologische Figur, die Klein'sche Flasche, bei welcher der Hals den Flaschenkörper durchdringt und in den Boden einmündet, diente als gedanklicher Ausgangspunkt für den neuen Bahnhof in Arnhem, der als intermodaler Verkehrsknoten im Rahmen des europäischen Hochgeschwindigkeitsnetzes entsteht. Sechs verschiedene Transportsysteme werden an diesem Punkt miteinander vernetzt, überdies sind Geschäfte und Büros in Planung. Die zukünftigen Bewegungsströme zwischen den einzelnen Systemen generieren die spindelartig verschraubte Struktur der zentralen Halle: Ebenen fliessen ondulierend ineinander, Decken, Wände und Böden bilden ein Kontinuum. Ein unlängst fertig gestelltes Laborgebäude der Universität Utrecht (NZZ 3. 5. 02) antizipiert einige dieser Ideen.

Arnhem Centraal ist eines der komplexesten Projekte, mit denen sich UN Studio derzeit befasst. Es illustriert die von van Berkel propagierte Theorie eines «Deep Planning», bei dem der Architekt anhand umfangreicher Analysen Szenarien und Strategien entwickelt, die dann in Zusammenarbeit mit einem interdisziplinären Team ausgearbeitet werden. UN Studio versucht folglich, der Beschränkung der Architektur auf formalästhetische Belange entgegenzuwirken und den Planungsprozess integral zu verstehen und zu beeinflussen. Skepsis indes ist angebracht, wenn eine «development policy» anstelle des «design proposal» zum Ziel erklärt wird, denn ohne Zweifel ist das Amsterdamer Büro auch auf Grund seiner bildkräftigen Formensprache erfolgreich. Und wenn Ben van Berkel und Caroline Bos ihre Rotterdamer Präsentation durch freie Zeichnungen sowie literarisch angehauchte Projektbeschreibungen anreichern, so glaubt man auch darin das Festhalten an einer künstlerischen Dimension der Architektur zu spüren.


Klare Präsentation

Für ein Architekturbüro, das vornehmlich den Computer als Entwurfswerkzeug verwendet, wirkt die Ausstellung ohnehin eher ungewöhnlich. Anstatt die Besucher mit einem Bombardement von Renderings und Videoanimationen zu konfrontieren, gibt sich UN Studio fast schon zurückhaltend. Neun weisse quadratische Kabinette gliedern die Halle des NAI, in denen - neben einem Büroporträt und einem Überblick über neuere Entwürfe - jeweils ein oder zwei der jüngeren Bauten und Projekte dokumentiert werden; gross aufgezogene Fotos fungieren als Blickfang. Von den realisierten Werken werden die Erasmus-Brücke und das Möbius-Haus, das Museum Valkhof in Nijmegen, das Labor in Utrecht und das gerade in Betrieb genommene, monolithisch wirkende Umspannwerk in Innsbruck vorgestellt. Vergleichsbeispiel für Letzteres ist die Transformatorstation in Amersfoort (1989-93), deren aus Basaltlava- und Aluminiumplatten bestehende, auf einem Gitter montierte Verkleidung das Bild zweier miteinander verzahnter Körper entstehen lässt. Bei den Projekten fiel die Auswahl auf Arnhem Centraal sowie auf zwei wichtige Wettbewerbserfolge: den an eine Faltwerkkonstruktion erinnernden Pier in Genua (2002) sowie das Mercedes-Museum in Stuttgart-Untertürkheim (2002), bei dem die Spiralidee des Guggenheim- Museums für die Feier der automobilen Gesellschaft adaptiert und weiterentwickelt wird.


[ Bis 29. September. Katalog: Ben van Berkel & Caroline Bos: UN Studio - UN Fold. NAI Publishers, Rotterdam 2002. 152 S., Euro 33.50. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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