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Architektur aus dem Moor
Neue Zürcher Zeitung

Heinrich Vogeler als Architekt in Worpswede

30. August 2002 - Hubertus Adam
Von den Gründungsmitgliedern der Künstlerkolonie Worpswede vertrat Heinrich Vogeler (1872-1942) den reformerischen Ansatz am umfassendsten: Als Maler und Kunstgewerbler, Illustrator und Architekt zielte er auf eine Ästhetisierung des Lebens, die sich modellhaft in seiner Künstlerexistenz realisieren sollte. Kulisse für diese Inszenierung bildete der «Barkenhoff», ein altes Bauernhaus, das Vogeler seit 1896 sukzessive in einen repräsentativen, von einem üppigen Garten umgebenen Wohnsitz verwandelte. Schon früh bemerkte Rainer Maria Rilke, dass die Suche nach der Schönheit Züge der Obsession trug; die Märchen- und Traumwelt verblasste angesichts der zunehmenden Entfremdung zwischen Heinrich Vogeler und seiner Frau Martha. Der Künstler suchte ein neues Betätigungsfeld - und fand es in der Baukunst. In welchem Umfang Vogeler nach dem Umbau des Barkenhoffs architektonisch tätig war, ist seit der 1980 vorgelegten Dissertation von Karl-Robert Schütze bekannt; die Vogeler-Ausstellungen der vergangenen Jahre marginalisierten indes diese Facette seines Schaffens.

Mit der Schau «In erster Linie Hausbau - Heinrich Vogeler und die Bremer Reformarchitekten» wird das architektonische Œuvre im Barkenhoff erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Nicht mehr die Lineatur des Jugendstils prägt die Bauten, sondern eine bewusst einfache Haltung, die zwischen einem Neo-Biedermeier und der Adaption lokaler Bautraditionen oszilliert. Die meisten der realisierten Bauten entstanden in Worpswede selbst: Wohn- und Atelierhäuser, eine Gastwirtschaft, zwei Arbeiterhäuser. Bedeutendstes Projekt vor Ort ist der Bahnhof, eines der unterschiedlich ausgebildeten Stationsgebäude, die Vogeler um 1911 für die das Teufelsmoor querende Kleinbahnlinie errichtete.

Von grosser Bedeutung wurde 1909 eine Reise mit der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft nach England: Die Besuche in den Slums von Liverpool oder in der Mustersiedlung Port Sunlight sensibilisierten den Künstler für soziale Belange (was sich zunächst in der Planung einer Arbeitersiedlung für Worpswede niederschlug), und überdies brachte die Fahrt eine Reihe wichtiger persönlicher Kontakte ein. Für den aus Hamm stammenden Arzt Emil Löhnberg baute Vogeler ein Ferienhaus im sauerländischen Willingen, für die mit Löhnberg verwandte Familie Bachrach (die Eltern der später in Ascona ansässigen Tänzerin Charlotte Bara) ein Wohnhaus in Brüssel. Viele Projekte blieben allerdings unrealisiert, darunter auch das schlossartige Anwesen eines rheinischen Industriellen (1911), das im Rosenlauital hätte entstehen sollen. - Vogelers architektonische Entwürfe, die in der Ausstellung mit Arbeiten der in Bremen tätigen Reformarchitekten Hugo Wagner, Heinz Stoffregen und Carl Eeg konfrontiert werden, konzentrieren sich auf die Jahre 1908 bis 1912. Nur ein einziges Projekt entstand nach dem Ersten Weltkrieg: ein seltsam archaisch, fast urhüttenartig anmutendes Gebäude in der Oberpfalz für die Witwe des Hagener Mäzens Karl Ernst Osthaus.


[Bis 30. September. Katalog: In erster Linie Hausbau - Heinrich Vogeler und die Bremer Reformarchitekten. Hrsg. Barkenhoff-Stiftung Worpswede. Isensee-Verlag, Oldenburg 2002. 192 S., Euro 19.80.]

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