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Ein Blick in die Zukunft
Neue Zürcher Zeitung

Eröffnung der 8. Architekturbiennale von Venedig

Heute öffnet in Venedig die achte Architekturbiennale ihre Tore. Die weltgrösste Architekturausstellung zeigt unter dem Titel «Next» in den Corderie und im italienischen Pavillon wegweisende Bauten, die in nächster Zukunft vollendet werden sollen. Ausserdem warten in den Giardini die Länderpavillons mit weiteren Präsentationen auf.

7. September 2002 - Roman Hollenstein
Sie nennt sich klangvoll «Mostra Internazionale di Architettura», die Architekturbiennale von Venedig, die heute Nachmittag etwas im Schatten des Filmfestivals zur Vernissage lädt. Seit ihrem Start vor 22 Jahren ist diese in den Giardini und im Arsenal zum weltweit grössten Schaufenster für zeitgenössische Baukunst angewachsen. Doch während sie in ihrer ersten Ausgabe 1980 unter Paolo Portoghesi mit der aufsehenerregenden, als riesige Kulisse in den Corderie inszenierten und auf Genuas legendäre Palastmeile anspielenden Strada Novissima den Zeitgeist der architektonischen Postmoderne einfing und so der Architektur ein breites Publikum sichern konnte, ist ihr programmatischer und intellektueller Anspruch mit wachsender Grösse eher geschrumpft. Vor zwei Jahren klafften der hochgemute Titel und die inkohärente Präsentation besonders stark auseinander, forderte doch der damalige Direktor Massimiliano Fuksas «Less Aesthetics - More Ethics» und bot doch nicht mehr als ein mediales Spektakel. Als Antwort darauf versuchte nun der diesjährige Direktor, der fünfzigjährige Londoner Architekturvermittler Deyan Sudjic, das Steuer herumzureissen und statt flüchtiger Visionen künftige architektonische Realitäten zu zeigen, und zwar mit den herkömmlichen Darstellungsmitteln von Plan, Foto und stattlichen Modellen, die anders als die verwirrlichen Bilderorgien der Computersimulationen und Videoinstallationen auch einem Laienpublikum zugänglich sind.

Wenn nun Sudjic in den Corderie des Arsenals und im italienischen Pavillon mit der inszenatorischen Hilfe seines Landsmanns, des Architekten und Designers John Pawson, der jüngst in Valencia sein räumliches Können bewiesen hat (NZZ 16. 7. 02), in zehn prächtig eingerichteten Abteilungen eine nicht durchwegs überzeugende architektonische Bestandesaufnahme zeigt, so erweist er sich dennoch als geschickter Vereinfacher. Dadurch hilft er zwar dem globalen Architekturdiskurs nicht auf die Sprünge, macht aber sein Anliegen leicht verständlich. Denn der einst als avantgardistischer Mitbegründer der Zeitschrift «Blueprint» bekannt gewordene Sudjic setzt heute auf sichere Werte: Diese lassen sich mit der etwas abgedroschenen Formel «Stararchitekt» umschreiben. Auch wenn Sudjic behauptet, er habe die von ihm präsentierten Projekte nach ihrem Inhalt und nicht nach den Namen ihrer Schöpfer ausgesucht, so liest sich die Liste der im offiziellen Teil der Architekturbiennale vertretenen Baukünstler wie ein Who is who der zeitgenössischen Architektur von Ando bis Zumthor. Neuentdeckungen sind dabei kaum zu machen. Der Ausstellungsspaziergang durch die schier endlos langen Corderie führt vorbei an weit über hundert bedeutenden Entwürfen für Museen, Wohnhäuser und Freizeit- oder Bildungsbauten. Erwähnenswert ist aber vor allem die den Hochhäusern gewidmete Abteilung mit Pianos «New York Times»-Projekt und Fosters Londoner Swiss-Re-Entwurf. Ergänzt wird diese Sektion durch eine von Alessi finanzierte «City of Towers» mit acht stupenden Phantasien von Zaha Hadid über Toyo Ito bis Future Systems und mit den von der «New York Times» in Auftrag gegebenen World-Trade-Center-Studien von SOM.

Der Parcours wird im italienischen Pavillon weitergeführt, wo Sudjic zum Thema «Next Italy» Projekte von der Erweiterung der Galleria d'Arte Moderna durch Diener & Diener bis hin zu Fuksas' Umbau des EUR-Kongresspalastes vorstellt. Auch einige der rund dreissig Länderpavillons, die wie immer von eigenen Ausstellungsmachern eingerichtet wurden, stehen im Zeichen von «Next»: Kanada philosophiert über «Next Memory City», Finnland zeigt Architekten «Before Next», und Ägypten erzählt «The Next Story». Besinnt sich Deutschland mit der Präsentation von 12 Architekturschulen auf das «Next-liegende», so befragen die USA angesichts eines skulptural anmutenden Twin-Towers-Fragments die Zukunft des World Trade Center. Im Zeichen einer unsicher gewordenen Welt zieht sich Spanien auf «Paisajes internos» zurück, während Jugoslawien die Zeit von «Destruction & Construction» erforscht, Israel sein «Borderline Disorder» befragt, und Österreich überall «Madness with a method» sieht. Nur Venezuela glaubt: «Otro mundo es posible.» Und die Schweiz? Ihren Pavillon haben die Lausanner Jungarchitekten Décosterd & Rahm in ein «Hormonorium» verwandelt, einen überhellen Raum mit reduziertem Sauerstoffanteil, der eine Art Hochgebirgserlebnis vermitteln will. Damit schert die Schweiz auf sympathische Weise aus dem Mainstream der Länderpavillons aus und verzichtet einmal mehr auf die sonst so beliebten Leistungsschauen. Ob sie dafür den Goldenen Löwen für die beste Länderdarbietung erhält, ist gleichwohl fraglich. Denn den Engländern ist mit der virtuellen Vergegenwärtigung des bereits real existierenden Yokohama-Ferry-Port-Terminal von Foreign Office Architects eine ebenso irritierende wie überwältigende Schau gelungen. Als sicher gilt hingegen, dass der Leone d'oro für das Lebenswerk dem 61-jährigen Japaner Toyo Ito verliehen werden soll. Ein weiterer Goldlöwe ist für das beste Projekt der Ausstellung «Next» reserviert.


[ Die Architekturbiennale im Arsenal und in den Giardini dauert bis zum 3. November. Katalog Euro 60.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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