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Neue Zürcher Zeitung

Schauplatz Bukarest

Das teuflische Vermächtnis von Ceausescus Grössenwahn

10. September 2002 - Reinhold Vetter
Keine Hauptstadt des östlichen Teils Europas ist in sozialistischen Zeiten städtebaulich und architektonisch derart brutal vergewaltigt worden wie das rumänische Bukarest. Symbol für dieses Verbrechen ist die Casa Poporului, das Haus des Volkes, im Zentrum der Stadt, das der 1989 erschossene Despot Nicolae Ceausescu errichten liess.

Die renommierte Innenarchitektin und Dozentin am Bukarester New Europe College Marina Hasvas spricht von einem pharaonischen Bauwerk, das den Zusammenhang zwischen Diktatur und Architektur exemplarisch verdeutliche. Die Casa Poporului repräsentiere das Drama der Stadt ebenso wie das Drama einer Epoche Rumäniens. Begeistert von einem Besuch im nordkoreanischen Pjongjang, hatte Ceausescu bereits 1971 beschlossen, dem neuen sozialistischen Menschen Rumäniens, wie er ihn sah, eine adäquate sozialistische Stadt zu schaffen. Ein gutes Jahrzehnt später setzte er diesen Plan um, indem er mit dem Centru Civic eine barbarische Schneise durch Bukarest schlagen liess. Der Bulevardul Unirii, der an die Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei im Jahre 1859 erinnern soll, samt den anliegenden Ministerien und eben die Casa Poporului als Sitz der Parteiführung sollten die wesentlichen Elemente dieses neuen Zentrums staatlicher Macht sein.


Barbarische Stadtvernichtung

Ausländische Besucher reagieren irritiert, wenn sie erfahren, dass Ceausescus Palast bis heute sehr populär ist. Die Leute seien stolz auf die Casa Poporului, sagt der Architekt und Publizist Stefan Ghenciulescu, auch wenn sie politisch die Zeiten des Diktators nicht zurückhaben wollten. Sie sähen den Palast als ihr Werk, das unter grossen Opfern des ganzen Volkes geschaffen worden sei. Mit Schaudern erinnert sich Marina Hasvas an Bahnfahrten durch die Provinz, bei denen ihre Mitreisenden voller Bewunderung über das Bauwerk sprachen. In den jetzigen sozial schwierigen Zeiten betrachten viele Menschen, die vom neuen Kapitalismus noch nicht profitieren, die Casa Poporului auch als Symbol dafür, dass unter Ceausescu jährlich 100 000 Wohnungen gebaut wurden, während es heute gerade mal 10 000 sind.

Das weithin sichtbare stalinistisch-kitschige Monstrum am Ende des Bulevardul Unirii zählt neben dem Pentagon in Washington, dem Potala- Palast im tibetischen Lhasa sowie einigen Wolkenkratzern etwa in Kuala Lumpur zu den grössten Profanbauten der Welt. Ausgestattet mit einem Grundriss von 270 mal 240 Metern und einer Höhe von 86 Metern, soll es 3,3 Milliarden Dollar gekostet haben. Seine über 1000 Räume werden bis heute nur unvollständig genutzt. Gewaltige Säulen und Treppenaufgänge aus Siebenbürger Marmor, Mahagoniverkleidungen, bronzene Türbeschläge, vergoldete Stuckaturen, schwere Teppiche und Gobelins sowie mindestens 3000 Kronleuchter bestimmen das Innere. Die riesigen Repräsentationssäle lassen den einzelnen Menschen nur noch als winzige Grösse erscheinen. Mit grossem Weitblick hatte der «Conducator» Ceausescu gerade diesen Standort ausgesucht, weil hier auf dem einstigen Spirei-Hügel die stabilsten tektonischen Bedingungen in ganz Bukarest herrschen.

Dem Bau der Casa Poporului und des Bulevardul Unirii, Ceausescus vermeintliche Champs- Elysées, war ein Akt barbarischer Stadtvernichtung vorausgegangen. Um Platz zu schaffen, wurden etwa 1000 spätklassizistische und Art-déco- Häuser in Schutt und Asche gelegt und ihre insgesamt 70 000 Bewohner in Plattenbauten am Stadtrand umgesiedelt. Auch historisch wertvolle Kirchen wie die Basiliken Enei, Spiridon Vechi, Spirea Veche, Alba Postavari sowie Klöster, Krankenhäuser, Museen, das gerichtsmedizinische Institut Mina Minovici und staatliche Archive fielen der Zerstörungswut zum Opfer. Als Arbeiter sich weigerten, Kirchen niederzureissen, wurden Armee-Einheiten eingesetzt. Insgesamt verlor Bukarest etwa 20 Prozent seiner Bausubstanz. Zu den Leidtragenden gehörte die Familie des rumäniendeutschen Journalisten Malte Kessler, die immerhin einige Monate Zeit hatte, Möbel und Hausrat in eine andere Wohnung zu schaffen, bevor ihr Mietshaus 1984 abgerissen wurde. Anderen, berichtet er, habe man am Nachmittag mitgeteilt, dass am anderen Morgen die Abrisskolonnen anrücken würden.

Wie beim Bau der Pyramiden im alten Ägypten organisierte Ceausescus Entourage die Errichtung der Casa Poporului als nationale Angelegenheit. Arbeiter, Handwerker, Künstler und Rekruten aus allen Landesteilen wurden dienstverpflichtet. Diverse Unternehmen mussten unentgeltlich Materialien, Bauelemente und Einrichtungsgegenstände zur Verfügung stellen. Unter der Leitung der Architektin Anca Pedrescu und ihres Teams von 400 Bauingenieuren arbeiteten Belegschaften von je 17 000 Mann täglich in drei Schichten. Niemand weiss, wie viele tödliche Unfälle es gab, weil beinahe jeden Tag Arbeiter wegen totaler Erschöpfung von den Gerüsten fielen. Die schamlos Ausgebeuteten mussten zudem in erbärmlichen Baracken hausen. Ohnehin fielen die ersten Jahre der Bauarbeiten in das düstere Jahrzehnt der achtziger Jahre, als eine tiefe Versorgungskrise und die polizeiliche Willkür der Diktatur Ceausescus den Alltag Rumäniens bestimmten. Durch Grossprojekte versuchte das marode Regime, die Bevölkerung in Bewegung zu halten und mit dem Blick auf nationale Aufgaben von der wirtschaftlichen Misere abzulenken.


Zweifelhaftes Vergnügen

Fast so alt wie das Projekt ist die öffentliche Diskussion über eine sinnvolle Auslastung des riesigen Gebäudes, das jährlich Unsummen an Erhaltungskosten verschlingt. Da immer noch gebaut wird, meinen Skeptiker, das teuflische Vermächtnis Ceausescus bestehe gerade darin, dass die Casa Poporului nie vollendet werde. Im Mai 1991, knapp eineinhalb Jahre nach dem Sturz des Diktators, hatte sich die Mehrheit der Bukarester in einer Umfrage für die Vollendung des Palastes ausgesprochen. Zurzeit beherbergt er das Abgeordnetenhaus als eine der beiden Kammern des rumänischen Parlaments, die Staatssicherheit, das Verfassungsgericht und ein Kongresszentrum. Der Senat als zweite Kammer sowie ein Museum für zeitgenössische Kunst sollen bald folgen. Mihai Oroverno, der für das Museum verantwortlich zeichnet, ist gegenwärtig damit beschäftigt, im Palast für die entsprechenden räumlichen, klimatischen und organisatorischen Voraussetzungen zu sorgen.

Eifersüchtig beobachtet die heute 54-jährige Anca Pedrescu alles, was mit der Casa Poporului geschieht. Einschlägige Pläne, Diskussionen und Massnahmen empfindet sie als Einmischung in «ihr Projekt». Dabei weiss die ganze Stadt, dass sie den damaligen Wettbewerb nur gewonnen hat, weil sie mit Ceausescus Sohn Nicu eng liiert war, was sie natürlich bis heute leugnet. Zeitgenossen von damals erinnern sich daran, dass sie bis zu ihrem Hochschulexamen 1973 kaum Kreativität an den Tag gelegt hatte. Die Pläne für Ceausescus Palast waren überhaupt der erste grössere Entwurf, den sie präsentierte. Als sie dann die Leitung der Bauarbeiten ausübte, immer argwöhnisch von Ceausescu selbst beobachtet, wollte kein renommierter Architekt mit ihr zusammenarbeiten. Zumindest hat Frau Pedrescu das zweifelhafte Vergnügen, dass die meisten Abgeordneten aller Fraktionen von rechts bis links noch heute stolz darauf sind, in Ceausescus Palast tagen zu können. Schon 1991/92 plädierte die Mehrheit der politischen Klasse, ob im alten System verwurzelt oder nicht, für eine fortgesetzte staatliche Nutzung der Casa Poporului.

Bukarester Architekten wie Stefan Ghenciulescu plädieren dafür, die Stadt nicht allein durch die Optik dessen zu betrachten, was unter Ceausescu zerstört worden sei. Tatsächlich sind selbst in unmittelbarer Nähe der Casa Poporului und des Bulevardul Unirii wertvolle Kulturdenkmäler erhalten geblieben, wie das berühmte Kloster Antim beweist. Fast in allen zentral gelegenen Stadtteilen, betont er, hätten sich die verschiedenen Kulturepochen und Baustile wie Schichten übereinander abgelagert, die es zu erkunden und zu bewahren gelte. Marina Hasvas plädiert dafür, das Athenäum an der traditionsreichen Calea Victoriei zum Ausgangspunkt für eine neue, selbstbewusste Aneignung der Stadtgeschichte zu machen. Dieses neobarocke und neoklassizistische Bauwerk von 1888, betont sie, sei das wichtigste Symbol rumänischen Nationalgefühls und Kulturschaffens.

Möglicherweise läuft die orthodoxe Kirche Rumäniens Gefahr, die Gigantomanie Ceausescus zu perpetuieren. Denn ihr Patriarch und die Bischöfe planen die Errichtung einer Kathedrale am Bulevardul Unirii, die zum optischen Gegenpol zu Casa Poporului werden könnte. Aus einem Architekturwettbewerb sind drei Entwürfe hervorgegangen, die der Kirchenführung nun zur Entscheidung vorliegen. In der Bukarester Architektenkammer wird befürchtet, die kirchlichen Hierarchen könnten sich gerade für jenes Projekt entscheiden, das in Stil und Dimensionen dem Palast Ceausescus am nächsten komme. Dabei täten sie besser daran, die vielen Kirchen im gesamten Stadtgebiet zu sanieren, die vom Verfall bedroht sind. Sind es doch die kleinen Gotteshäuser, die dem religiösen Alltag der orthodoxen Gläubigen am ehesten entsprechen. Hier schaut man vorbei, um eine Kerze anzuzünden und Freud und Leid mit Gott zu teilen. - Aber vielleicht werden eines Tages auch viele Menschen gleichermassen stolz sein auf die neue Kathedrale und den Palast Ceausescus.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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