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Biennale Venedig: Grüner Rasen, schöne Häuser
Neue Zürcher Zeitung
15. September 2002 - Gerhard Mack
In Caracas wachsen die Favelas die Berghänge hinauf. Amerikanische Vorstädte fressen sich in die Landschaft. Mega-Citys wie Schanghai, Tokio und Hongkong überwuchern ganze Landstriche. Städte wie Lagos wirken wie ein riesiger Slum, der sich nach unformulierbaren Regeln entwickelt. Die Zukunft der Lebensform Stadt, die Aufgaben von Raumplanung und Architektur sind dort zu finden, sagt man. Dennoch sind diese Entwicklungen bei der 8. Internationalen Architekturbiennale in Venedig, der wichtigsten Grossausstellung der Disziplin, kaum zu finden. Der in England wirkende Architekturkritiker Deyan Sudjic versteht «next», das Motto der Ausstellung, als nächstes Entwurfsprojekt, und präsentiert damit einen sehr klassisch mit Modell, Plan und Photographie bestückten Überblick über das, was die grossen und kleineren Meister der Szene derzeit beschäftigt.

Das ist als Infothek immer nützlich, aber auch von einer aparten Langeweile, die der deutsche Beitrag, von Hilde Léon kuratiert, brav und selbstreferenziell auf den Punkt bringt: Neunzig Architekturstudenten zeigen ihre Modelle von Raumphantasien, die sie an den Abmessungen des Pavillon-Hauptraums orientiert haben. Ähnlich verspielt ist nur noch der Schweizer Pavillon, den die Lausanner Jean-Gilles Décosterd und Philippe Rahm in einen gleissend weissen Höhenluftraum mit unmerklichen Vibrationen umgebaut haben, der als «Hormonorium» die unmittelbare physische Wirkung erfahrbar machen soll, die Architektur auf den Körper hat.

Gewiss mag bei der diesjährigen Selbstbeschränkung auf «next», auf das nächste Projekt, die Erfahrung der letzten Architekturbiennale eine Rolle gespielt haben, die unter dem Motto «Città, less Aesthetics, more Ethics» die gesellschaftliche Dimension der Architektur ins Zentrum rückte und mit Endlosflächen aus Videoprojektionen und Simulationsfotos bebilderte. War das des gut Gemeinten zu viel, so hat Sudjic nun das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Der Endloskette aus kommerziellen Bauten und Verwaltungsprojekten hätte es gut getan, einzelne Impulse aus den Länderpavillons aufzugreifen.

So schneidet der finnische Beitrag mit einem Frauenzentrum in Senegal, einem Gesundheitszentrum und verschiedenen Schulen in Guinea die Frage nach einer zeitgemässen Architektur im Afrika abseits der Zentren an, die sich lokaler Ressourcen bedient. Bei den Griechen werden mit dem banalen Mittel der Videoshow die extremen Zeitsprünge, Verwerfungen und Brüche in Athen sichtbar gemacht, von denen in Bernard Tschumis Entwurf für ein neues Akropolis-Museum (in der Hauptausstellung) nichts zu spüren ist. Und die Venezolaner stellen eine variable Leichtbau-Architektur für Gemeindezentren in mittellosen Gemeinden im Landesinneren vor.

Wie weit die Hauptausstellung von solchen Fragen entfernt ist, zeigt ein Projekt aus China: Architekten aus Asien, unter ihnen Shigeru Ban, bauen eine Reihe von modernen Musterhäusern in der «Great Wall Community», die der architektonischen Entwicklung im Land auf die Sprünge helfen soll und, trotz vorwiegend lokalen Materialien, vor allem die westliche Moderne importiert.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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