Artikel

Tiefschläge und Höhenflüge
Neue Zürcher Zeitung

Das Architektur-Symposium Pontresina

16. September 2002 - Hubertus Adam
Von insgesamt 760 Übernachtungen war die Rede, und so scheint sich das dreitägige Architektur-Symposium in Pontresina inzwischen hinsichtlich der Teilnehmerzahl, die sich auf die Sponsoren und ihren Tross, auf Medienvertreter und Einzelteilnehmer verteilt, stabilisiert zu haben. Zumindest für das Gastgewerbe war die nunmehr zum fünften Mal stattfindende Veranstaltung ein Erfolg. Die Hoffnung, ausserhalb der Saison neben Bergwanderern der älteren Generation ein vom Lebensstil her urban orientiertes Publikum ins Engadin zu locken, hat sich erfüllt. - In den vergangenen Jahren haben Initiatoren und Organisatoren mit der Programmkonzeption und dem Tagungsablauf immer wieder experimentiert. Anfangs übernahm Frank Joss, der «Erfinder» des Symposiums, selbst die Moderation, dann übertrug man sie wie auch die Auswahl der Referenten mit Rem Koolhaas oder Norman Foster jeweils einem prominenten Architekten; mal zeigte sich der Versuch, das Thema eng zu fassen, mal blieb nichts als thematische Beliebigkeit.


Bombay und Johannesburg

Die ersten zwei Tage der diesjährigen Veranstaltung waren enttäuschend. Das lag weniger an der Tatsache, dass die als Kulturkorrespondentin des Südwestrundfunks tätige Moderatorin Maria Ossowski sich den Themenstellungen inhaltlich nicht gewachsen zeigte, als vielmehr an der Entscheidung der Organisatoren, anspruchsvolle Themen nur anreissen zu lassen und damit gleichsam zu verschleudern, zumal die Veranstaltung jeweils am frühen Nachmittag endete. «Neue Konzepte der Architektur für eine soziale Integration von Minoritätsgruppen armer Städte» lautete die Vorgabe für den ersten Tag. Ein zeitgemässes Thema, das - wie wieder einmal die diesjährige Architekturbiennale in Venedig beweist - in der an Architektur interessierten Öffentlichkeit nicht die gebührende Aufmerksamkeit findet. Neben Slums in Bombay galt mit den Referaten des Architekten und Städteplaners Erky Wood und der Universitätslehrerin Lindsay Bremner die Aufmerksamkeit der Situation in Johannesburg nach dem Ende der Apartheid. Gerade Wood machte überzeugend deutlich, dass es nicht um objekthafte Architektur, sondern um Infrastruktur und urbane Systeme geht, wenn es gilt, die zunächst durch den Kolonialismus separierte und dann durch die Rassentrennung segregierte Metropole neu zu vernetzen. Über Details hätte man gerne mehr erfahren - doch dann betrat schon Shigeru Ban das Podium, der einen der üblichen Werkvorträge hielt. Wieder einmal zeigte sich die mangelnde Bereitschaft prominenter Architekten, sich auf ein vorgegebenes Thema einzulassen. Über Bans «Voluntary Architects Network» und seine ephemeren, in Katastrophengebieten eingesetzten Pappröhrenarchitekturen erfuhr man nicht mehr, als aus zahlreichen Publikationen bekannt ist.

Auch das Thema des zweiten Tages, «Kunst und Architektur», hätte Stoff genug für ein ganzes Symposium gegeben. Zwei Vorträge waren als Fallstudien interessant: Jener der niederländischen Künstlerin Jeanne van Heeswijk, der es durch unermüdliches Engagement in der Rotterdamer Vorortgemeinde Westwijk gelungen ist, ein marodes Shopping-Center durch Kunstaktivitäten zu einem identitätsstiftenden Ort zu entwickeln. Und jener des Architekten Sean Griffith (FAT Architects), der mit zwischen Affirmation und Subversion oszillierenden Interventionen im Stadtbild Londons die Strategien der Konsumgesellschaft unterminiert. Zu einem Tiefschlag indes geriet der Auftritt des international gehypten Ausstellungsmachers Hans Ulrich Obrist. Selbst wer die von dem gebürtigen Schweizer in den vergangenen Jahren (mit)kuratierten Ausstellungen zu goutieren bereit war, dürfte angesichts der egomanischen, sich auf das Name-Dropping beschränkenden Präsentation gezwungen sein, die Ernsthaftigkeit und Relevanz von Obrists Arbeit in Frage zu stellen; und nur als grotesk kann man den Versuch des von Paris aus tätigen Kurators einstufen, seine Zusammenarbeit mit dem Architekten Stefano Boeri in Venedig als Neuerfindung der universitären Praxis zu verkaufen.
Ideen für Ground Zero

Versöhnlich stimmte der letzte Tag unter dem Titel «New York ein Jahr nach dem 11. September: Sicherheit versus Freiheit». Im Zentrum stand dabei der fulminante Vortrag des Architekturkritikers und Architekten Michael Sorkin, welcher anhand des Vorgehens der für den Wiederaufbau von Ground Zero zuständigen «Lower Manhattan Development Corporation» den «giant conflict between business and citizenship» zum Thema machte. Mit der für die Bürgerinitiative «Rebuild Downtown our Town» («r.dot») tätigen Architektin Beverly Willis sowie Ross Wimer, der als Mitinhaber der Architekturfirma SOM gerade einen Wiederaufbauvorschlag für das WTC-Areal vorgelegt hat, standen Sorkin adäquate Partner zur Verfügung. Engagiert und doch ohne die Sentimentalität der Betroffenheit leitete Kristin Feireiss, die frühere Leiterin des NAI Rotterdam, die Diskussion. Für das allgemeine Thema «Sicherheit und Freiheit» blieben nur wenige Minuten. Vielleicht wäre das eine Chance für das Architektur-Symposium Pontresina, im nächsten Jahr neu anzusetzen. Vorausgesetzt, man möchte nicht nur die Interessen der Hotellerie befriedigen, sondern eine Stimme werden, die sich im internationalen Architekturdiskurs Gehör zu schaffen vermag.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: