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Poetischer Pragmatismus
Neue Zürcher Zeitung

Die Architekten Adam Caruso und Peter St John in Luzern

25. Oktober 2002 - Roman Hollenstein
Die New Art Gallery im mittelenglischen Walsall gilt als Geniestreich, der Adam Caruso und Peter St John über Nacht zu Fixsternen am Himmel der Architektur machte. Gleichwohl fielen den beiden vierzigjährigen Londonern, die sich - unbeeindruckt von der Hochglanzarchitektur des britischen Hightech und dem Hyperästhetizismus von Chipperfield oder Pawson - einem poetischen Pragmatismus verschrieben haben, die Aufträge nicht einfach in den Schoss. Zu sperrig ist ihre Kunst, mit der sie dem «wahren Wesen» der Architektur nachzuspüren und zu artikulieren suchen, «was bereits am Ort vorhanden ist». Nach Abschluss ihrer Lehrtätigkeit an der Architekturakademie von Mendrisio sind sie nun in der kleinen, für ihre frühe Zusammenarbeit mit wichtigen Architekten über die Landesgrenzen hinaus bekannten Architekturgalerie Luzern zu Gast.

In der - wie in Luzern üblich - von den Architekten selbst inszenierten und von einem schönen Katalog begleiteten Ausstellung versuchen sich Caruso St John vom Schatten ihres Grosserfolgs in Walsall zu befreien und zeigen deshalb nur neueste Projekte. Im Zentrum der spröden, zur Wahrnehmungsübung verdichteten Schau steht der Galerieraum, der in seiner Leere an ihre mit fast archäologischer Akribie durchgeführten frühen Umbauten erinnert, bei denen sie die Schönheit des Unvollkommenen kultivierten. Friesartig befestigten sie grosse Fotos und Pläne von vier Arbeiten auf den nackten Wänden, verzichteten aber zugunsten der geistigen Konzentration auf Modelle - gleichsam als Absage an deren Kult auf der gegenwärtigen Architekturbiennale in Venedig. Am deutlichsten vernimmt man die für Caruso St John charakteristische Sprache im Entwurf für ein Einfamilienhaus auf einem unregelmässigen Restgrundstück im dicht bebauten Paddington. Mit seinen Rampen, Gewölben, Winkeln und Höfen erscheint es auf den Modellfotos eher wie ein Um- denn wie ein Neubau. Hier ist nicht die formale Perfektion wichtig, sondern das Raumerleben, zu dessen Gunsten auch die äussere Erscheinung vernachlässigt wird.

Die Fassade, mit leuchtenden Luftkissen verkleidet, bildet hingegen den Blickfang des unrealisiert gebliebenen «Sporttheaters» von Arosa. Nicht weniger auffällig sind die farbigen Akustikpaneele im betonbrutalistischen Konzertsaal des Barbican Centre in London. Und dennoch gingen Caruso St John hier ähnlich subtil vor wie bei der Neugestaltung des barocken Marktplatzes im südschwedischen Kalmar, in dessen Mitte sich die Kathedrale von Nicodemus Tessin d. Ä. erhebt. Wie schon in Walsall erlaubte auch in Kalmar die sorgsame Analyse des Kontextes eine Lösung, bei der das Bestehende durch eine zeitgemässe Architektursprache akzentuiert wird. Ausgerechnet aber bei dem in Luzern nicht ausgestellten Erweiterungsvorschlag für das Schweizerische Landesmuseum in Zürich führte diese Vorgehensweise nicht zum Erfolg. Umso mehr möchte man hoffen, dass die beiden Architekten mit ihrem Wettbewerbsprojekt für ein Zürcher Schulhaus, an dem sie zurzeit arbeiten, überzeugen werden. Denn ihre gegen das reine Fassadendenken und einen dem L'art pour l'art verpflichteten Perfektionismus gerichtete Architektur könnte hierzulande durchaus als Vorbild dienen.


[Die Ausstellung in der Architekturgalerie Luzern an der Denkmalstrasse 15 ist bis zum 17. November jeweils donnerstags und freitags 17-19 Uhr sowie samstags und sonntags 11-16 Uhr oder nach Vereinbarung (Tel. 041 240 66 44) geöffnet. Katalog: Caruso St John Architects. Hrsg. Architekturgalerie Luzern. Birkhäuser-Verlag, Basel 2002. 96 S., Fr. 58.-.]

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