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Von Amsterdam lernen
Neue Zürcher Zeitung

Innovative Wohnbauten von Frits van Dongen

Der 1946 geborene Amsterdamer Architekt Frits van Dongen wurde mit seinem spektakulären, «Wal» genannten Wohnblock am Ij international bekannt. Mehr als das Erscheinungsbild interessiert ihn aber die differenzierte Gestaltung seiner Bauten. Das beweisen der Batavia- und Botania-Komplex im ehemaligen Hafen von Amsterdam.

1. November 2002 - Klaus Englert
«Wal» nennen die Amsterdamer liebevoll das markante, silbrig schimmernde Wohngebäude am Ij, das den Architekten Frits van Dongen bis auf die Titelseiten der internationalen Lifestyle- Magazine gebracht hat. Natürlich kommt dieser plötzliche Ruhm nicht von ungefähr. Denn offenbar hat van Dongen zielsicher den Zeitgeist getroffen, der nach spektakulären Bauten giert. Er ist sich durchaus bewusst, warum sich die Medien so sehr interessieren: «Die Leute empfinden das Gebäude als sexy.» Er bedauert jedoch, dass sich dieses Interesse nicht um den Facettenreichtum seiner übrigen Architektur kümmert.


Rückkehr zur Grossform

Die strahlende Riesenskulptur aus 27 000 Zinkplatten wurde in Amsterdam schnell zum Wahrzeichen der erneuerten Hafenzone und zieht mittlerweile Scharen von Architekturinteressierten an. Nach den Vorstellungen von Adriaan Geuze, der hier den Masterplan für die Quartiere Borneo und Sporenburg erstellt hat, bleibt der gestrandete Moby Dick nicht das einzige Wahrzeichen im neuen Siedlungsgebiet. Gegen Ende der Bauarbeiten sollen insgesamt drei Superblöcke das ruhige Meer der Wohnhäuser überragen. Im Gespräch erzählt van Dongen, wie schwer es war, im traditionsbewussten Amsterdam mit den vielen Grachten, der kleinteiligen Struktur und der niedrigen Bauhöhe das neue urbanistische Denken durchzusetzen: «Erst in den letzten zehn Jahren begann in Amsterdam ein Umdenken. Man setzte nun mehr auf die Autonomie von Wohnblöcken im städtischen Umfeld. Es war Hans Kollhoff, der Anfang der neunziger Jahre mit dem phantastischen Piräus-Block auf dem KNSM-Pier die Kehrtwende einleitete. Seit den katastrophalen Erfahrungen mit dem Bijlmermeer-Ghetto in den sechziger Jahren war es der erste grosse Block, den man wieder in einer Neubausiedlung genehmigte. So ergab es sich, dass ich als einer der ersten holländischen Architekten Gelegenheit hatte, wieder grosse Wohnblocks zu bauen.»

Den Anfang machte «De Landtong» in Rotterdams Kop van Zuid, einem Siedlungsgebiet an der Nieuwe Maas, das im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstörte wurde und nun als Experimentierfeld für avantgardistische internationale Architektur gilt. 1998 errichtete van Dongen auf der von Wasser umspülten Landzunge 623 Wohnungen in drei Baublöcken, die von vier Geschossen im Süden bis auf zwölf Geschosse im Norden ansteigen. Van Dongen wollte mit «De Landtong» den geschlossenen Baublock weiterentwickeln - als heterogenes Ensemble, das allenfalls durch das matte Rot des Ziegels zusammengehalten wird. Im Gespräch macht er deutlich, dass für ihn diese Entwicklung keinesfalls zufällig ist: «Die Besonderheit der architektonischen Entwicklung geht auf das Wohnungsgesetz von 1901 zurück, das den Bürgern ein menschenwürdiges Wohnen mit ausreichend Licht und Luft garantierte. Seit dieser Zeit lenkte und finanzierte die Regierung den Wohnungsbau, sie trug viel dazu bei, stadtplanerische Initiativen zu wecken.»

Gerne erzählt van Dongen, wie ihn seine Lehrer Herman Hertzberger und Aldo van Eyck davon überzeugten, gegen die doktrinären CIAM- Typologien eine mehr an den menschlichen Bedürfnissen orientierte Architektur zu setzen. Diese «humanistische Ethik» überzeugte ihn so sehr, dass er seine Basketball-Karriere abbrach und Mitte der siebziger Jahre einen gänzlich neuen Weg einschlug: «Seit dieser Zeit bestand mein Leben nur noch aus Architektur.» Dass die Einflüsse van Dongens nicht nur bei den holländischen Strukturalisten, sondern auch bei Carel Weeber, mit dem er 1988 de Architekten Cie. gründete, und Rem Koolhaas zu suchen sind, gibt er offen zu. Wie diese gegensätzlichen Stile sich vertragen können, zeigen zwei öffentliche Bauwerke, die Mojo-Konzerthalle und das Pathé- Kino im Südosten Amsterdams, die sich allerdings etwas allzu sehr den heutigen Trends und den Klischees der Investoren anpassen.


Hoch verdichteter Wohnungsbau

Die Stärken van Dongens liegen in den differenziert gestalteten Wohnblöcken. Das beweisen der Batavia- und Botania-Komplex inmitten der Hafenerweiterung Amsterdams. Im Gegensatz zum «Wal» fehlt dem Batavia-Gebäude jenes «glittering image», das es auf die Titelseiten der Illustrierten bringen könnte. Die langgestreckten Ziegelfassaden des U-förmigen Blocks vermitteln zunächst einen abweisenden, ja sogar festungsartigen Eindruck. Erst auf den zweiten Blick enthüllt das Gebäude seine Reize. Dazu zählen die variationsreiche Fassadengestaltung mit teilweise geschosshoher Verglasung und Fensterbändern, ebenso der keilförmige Abschluss des massiven Blockrands, der den monumentalen Eindruck des Komplexes abmildert. Gleiches gilt für die «Botania», die wie ein markanter roter Kubus in die Nieuwe Herengracht hineinragt. Dieser moderne Block differenziert die traditionelle städtische Gebäudetypologie: Die weissen Holzrahmen werden als Strukturierungsprinzip übernommen, doch der Baukörper wirkt rationalistischer. Im Innern gestaltete van Dongen höchst abwechslungsreiche Wohnungsgrundrisse; und die Dachlandschaft bietet eine schöne Aussicht über die «Waterstad». - Der «Wal», «Batavia» und «Botania» stehen für einen hoch verdichteten Wohnungsbau, wie er auch die traditionellen Stadtviertel Amsterdams prägt. Van Dongen genügt ein Blick aus seinem Büro: «Betrachtet man das Jordaan-Viertel, so findet man den typischen Amsterdamer Städtebau - hohe Wohndichte, ökonomischen Landverbrauch und städtisches Lebensgefühl.»

Ihm geht es um vorbildliche Stadtplanung, um die kreative Weiterentwicklung der holländischen Stadt. Deswegen reizte es ihn, zusammen mit Adriaan Geuze und Ton Schaap, dem Verantwortlichen des Stadtplanungsamtes für die Umwandlung der östlichen Hafengebiete, die städtebaulichen Koordinaten des Joordan auf die neuen Viertel Borneo und Sporenburg zu übertragen: «Der Bebauungsplan für die Besiedlung der Halbinseln ist typisch holländisch. Wir haben wie gewohnt eine hohe Bebauungsdichte mit geringer Geschosshöhe kombiniert.» Man versuchte, das Amsterdamer Ideal der kompakten Stadt mit den Vorzügen intimer Wohnatmosphäre zu verbinden. - Wenn Frits van Dongen an das «neue Amsterdam» denkt, dann nicht nur an die Besiedlung des südlichen Ij-Ufers. Als Gegenpol zu den neuen Wohnvierteln am ehemaligen Hafen wird im Amsterdamer Süden in den nächsten 20 Jahren das Geschäftszentrum Zuidas entstehen. Van Dongen erwähnt noch ein weiteres Projekt, das in den nächsten Jahrzehnten das städtische Bild Amsterdams nachdrücklich verändern wird: Ijburg, ein Archipel aus sechs künstlich aufgeschütteten Inseln inmitten der Zuidersee. Dieses grosse Landgewinnungsprojekt soll für 60 000 Menschen Wohnraum bereitstellen. Van Dongen, der zusammen mit Felix Claus und Ton Schaap den Masterplan für die ersten Abschnitte - Haveneiland und Rieteilanden - erstellt hat, sieht zwar die Gefahr einer zunehmenden Verstädterung, aber er wäre kein Holländer, wenn ihn dies nicht auch zuversichtlich machen würde.

Da der letzte Raumplanungsbericht der niederländischen Regierung von einem zusätzlichen Bedarf von zwei Millionen Wohnungen auf einer Fläche von 39 000 Hektaren Land in den nächsten dreissig Jahren ausgeht, wurde das Ijburg- Projekt, angesichts der aus allen Nähten platzenden Randstad, zu einer zwangsläufigen Konsequenz. Für die Planer war es selbstverständlich, auch hier das Jordaan-Viertel zum Gradmesser der zukünftigen Bebauung zu machen. So erreichen allein Haveneiland und Rieteilanden eine Wohnungsdichte, die nahe an jene des Jordaan- Viertels herankommt. Van Dongen, Claus und Schaap verteidigen zwar die Idee der Blockstruktur, doch die vorgegebenen Gebäudetypologien sollen in späteren Planungsphasen noch genügend Spielraum für die individuelle Gestaltung von Grachten, Strassen, Höfen, Patios und Gärten lassen. - Begeistert fügt Frits van Dongen hinzu: «Amsterdam steht inmitten eines grossen architektonischen und urbanistischen Umbruchs. Die neuen Gebiete am Wasser bewahren unsere Lebens- und Wohnqualität, zugleich werden die architektonischen Highlights viele Architekturfans anziehen. Die Stadt wird jedem etwas zu bieten haben. Dieses Image sollte sie besser herausstellen. Das wäre grossartig.»

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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