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Wiener Villenkolonie
Neue Zürcher Zeitung

Ein Wohnbauprojekt am Stadtrand

13. November 2002 - Paul Jandl
Die Peripherie ist der Ort eines Übergangs. Wer hier baut, kann die architektonischen Gesten der Stadt noch einmal verdichten oder die Distanzierung vom Urbanen in den Sehnsüchten der Individuation verwirklichen. Neun Architekten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben jetzt angewandte Architekturforschung betrieben, in der das Bauen am Stadtrand ebenso theoretisch erörtert wie auch praktisch umgesetzt wird. Zwölf Mehrfamilienhäuser werden auf einem Hang am Rande Wiens bei Mauerbach gebaut. Die Architekten Adolf Krischanitz, Roger Diener, Max Dudler, Peter Märkli, Hans Kollhoff, Marcel Meili und Markus Peter, Hermann Czech und Heinz Tesar unternehmen dabei den Versuch, das standesgemässe Selbstbewusstsein des Einzelhauses mit einem streng homogenen Gesamtkonzept zu vereinen. Der Baubeginn der «Villenkolonie» steht kurz bevor, eine Ausstellung im Wiener Architekturzentrum präsentiert jetzt mit Modellen und Entwurfszeichnungen das Projekt.

Der komplexe Versuch, Einzelhäuser in verdichteter Form zu kombinieren, gehört zu den Ideen der Moderne - von Adolf Loos' Entwurf einer «Gruppe von 20 Villen» (1923) bis zu den Werkbundsiedlungen. Die architektonische Herausforderung hat ihren Reiz so wenig verloren, dass jetzt neun Architekten in einem Wettstreit nach Lösungen suchen, die ein anderes mustergültiges Wiener Projekt schon gefunden hat. Herzog & de Meuron, Otto Steidle und Adolf Krischanitz haben 1989 die minimalistische Reihenhaussiedlung der Pilotengasse gebaut. Krischanitz war schon damals der Mentor des Projekts, und er ist es auch heute. Ein «playing captain», der selbst zwei Entwürfe beisteuert: ein Haus von turmartigem Charakter mit abgeschrägter Front und drei kleinere Häuser, die gegeneinander versetzt sind und an der Aussenwand ein «dreisortiges Pflanzenkleid» erhalten sollen. «Unmissverständlich städtisch» will das Architekturbüro Kollhoff und Timmermann bauen. So entsteht ein dreigeschossiges Haus, das Zitate der klassizistischen Wiener Fassaden aufnimmt, während sich bei anderen die Aspekte der Stadt in strengerem Formalismus üben.

Bei Otto Steidle etwa wird die Vertikale, die die städtische Architektur in schmale Sektoren teilt, zum leitenden Element. Die Idee der flächigen Fassade teilt sein Entwurf mit jenem Dieners, der einen strengen Kubus präsentiert, dessen Fassade durch versetzte Fenster aufgelockert ist, und mit jenem von Meili Peter. Die Fensterbänder sind hier über Eck angeordnet und strukturieren so das Erscheinungsbild des Hauses der Schweizer Sichtbetonspezialisten. Überhaupt Beton: Weil die Betonindustrie das Projekt kräftig unterstützt, wird den Ausdrucksmöglichkeiten des Materials kräftig nachgegangen. Meili Peter färben es ein, bei Tesars elegantem Haus wird die betonierte Aussenhaut mit mathematischer Genauigkeit eingedellt, und Dudler setzt seinen Entwurf aus anthrazitfarbenen Betonblöcken zusammen, die diesem Bau gemeinsam mit hohen Glasscheiben strengen Ernst verleihen. Für Auflockerung des Projekts sorgt dann die Gartenarchitektin Anna Detzelhofer. Die «Villenkolonie» am Westrand Wiens gönnt sich neben dem urban-strengen Bebauungskonzept auch den Luxus der Peripherie: einen parkähnlichen Garten.


[Bis 27. Januar. Zur Ausstellung erscheint eine Sondernummer der Zeitschrift «hintergrund» zum Preis von Euro 4.40.]

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