Artikel

Bauhaus ist nicht gleich Bauhaus
Neue Zürcher Zeitung

Eine Berliner Ausstellung beleuchtet eine Legende

22. November 2002 - Claudia Schwartz
Anne-Marie Wimmer, Studentin in der Ausbauwerkstatt am Bauhaus Dessau, kehrte nach einem mehrwöchigen Aufenthalt bei einem Lübecker Hersteller desillusioniert wieder an die Schule zurück. In ihrem Bericht gab sie zu Protokoll, dass es für das Bauhaus besser wäre, «Musterbeispiele in die Welt zu setzen», als sich «so krampfhaft» um die Erfindung von gangbaren Massenartikeln zu bemühen. Allzu entfernt erschien Wimmer der Entwurfsvorgang in der freien Wirtschaft vom schöpferischen Ideal. Nach 1930, als die Werkstätten schon geschlossen worden waren und der Unterricht vorwiegend auf Papier stattfand, war solch kritische Selbstreflexion am Bauhaus nicht selten. Wimmers Aussage belegt die Diskrepanz zwischen individuellem künstlerischem Anspruch und dem Programm am Bauhaus, das den auf die Industrie ausgerichteten Designer auszubilden gedachte.

Die Ausstellung «Bauhaus-Möbel: Eine Legende wird besichtigt» im Berliner Bauhaus-Archiv beleuchtet aufschlussreich dieses Spannungsfeld zwischen individueller Kunst und industrieller Vermarktung, zwischen ästhetischer Vorstellung und sozialem Anspruch. Es bot auch Bauhaus- intern immer wieder Raum für Auseinandersetzungen. Der Blick darauf wird heute von dem missverständlichen Stilbegriff des «Bauhauses» verstellt, der Einheitlichkeit suggeriert, wo eigentlich Vielfalt herrschte. Das Bauhaus war eine Ausbildungsstätte, die im Lehrbetrieb Produkte mit Experimentiercharakter hervorbrachte und nicht fertige Entwürfe. So gesehen erweist sich die längst allgemein gültige Bezeichnung der «Bauhaus-Möbel» zwar als gut zu vermarktendes Label, hat aber mit den tatsächlich am Bauhaus entstandenen Objekten oftmals nichts zu tun.
Stilbegriff

Gerade jene berühmten «Klassiker der Moderne», mit denen man heute das Bauhaus am prominentesten vertreten glaubt, sind ausserhalb des Schulbetriebs als persönliches Werk entstanden. Die sogenannte Breuer-Krise illustriert, wie diffus die Entwicklung am Bauhaus selbst zwischen künstlerischer Entfaltung, Vermarktung und populärer Aneignung verlief. Der Tischlereimeister Marcel Breuer verweigerte dem damaligen Bauhaus-Leiter Walter Gropius das Recht, seine Möbel am Bauhaus herzustellen und zu vertreiben. Trotzdem wurden die Stahlrohrmöbel von Breuer, dem die Berliner Ausstellung aus Anlass seines 100. Geburtstags gewidmet ist, zum Inbegriff dessen, was man gemeinhin unter «Bauhaus» versteht.

Die Entgrenzung des Begriffs begann, wie der Kurator Christian Wolsdorff im Katalog darlegt, um 1928: Mit dem aufkommenden Begriff eines «Bauhaus-Stils» begann die Abkoppelung der Bezeichnung von der Institution. Das zweite prominente Beispiel, wie privater Auftrag und Schule vermengt wurden, stellt neben Breuer der letzte Bauhaus-Direktor, Ludwig Mies van der Rohe, dar. Seine modernen Bauten und Projekte wurden als Bauhaus-Werke deklariert, obwohl sie davor und teilweise als Gegenbewegung zum Bauhaus entstanden. Den effektvollen Auftakt der Schau macht denn auch unter anderem seine Stahlbandsessel-Variante, die er 1929 schon vor seinem Direktorat in Dessau als Vorläufer des Barcelona- Chair entworfen hatte.

Die Ausstellungsmacher argumentieren klug, indem sie die ausgestellten Objekte - darunter einige komplette Wohnensembles - auf die Handschrift ihrer Entwerfer zurückzuführen versuchen. Skizzen, Photographien und Plakate dokumentieren zudem die heterogenen Positionen von damals. Deren einziger gemeinsamer Nenner wäre am ehesten in der asketischen Moderne, in der Abkehr vom Dekorativen zu finden. Die Schau erschliesst die Entwicklung und das weitere Umfeld des Bauhauses von den Standorten Weimar und Dessau und vom allgemeineren Blickwinkel «Bauhaus extern». Dabei trifft man vor allem in der Auftragsproduktion auf Erscheinungsbilder, die man kaum für Produkte des Bauhauses halten würde, weil sie in ihrer behäbigen und etwas provinziellen Art der mit dem «Bauhaus-Stil» verbundenen Klarheit, Funktionalität und Eleganz entgegenlaufen.
Wohngeschmack

Die Ausstellung zeichnet nach, wie der bürgerliche Wohngeschmack der Auftraggeber vor allem in den Anfängen der Schule nicht mit deren Willen zur Avantgarde Schritt hielt. Auf der einen Seite steht der künstlerische Anspruch, wie er sich beispielsweise in Gestalt von Breuers «Lattenstuhl» (1924) äussert. Auf der anderen Seite finden sich die bei der Tischlerei von privater Seite bestellten Einrichtungen, die auf praktischen Nutzen ausgerichtet sind und ein zurückhaltendes Erscheinungsbild «bis hin zur Hässlichkeit» aufweisen, wie in der Ausstellung ironisch bemerkt wird. So zeigt etwa Walter Determanns Wohnküchenentwurf (1919) eine rustikale, blumenverzierte Bauernstube. Die 200 Exponate vom Bett über den fast zeitgenössisch mobil wirkenden «Junggesellenschrank» von Josef Pohl (1929) bis hin zum Blumenständer stammen grösstenteils aus der Sammlung des Bauhaus-Archivs und illustrieren die Heterogenität, die sich abhängig von der Entwerferpersönlichkeit entwickelte und in der frühen Weimarer Phase Einflüsse von Expressionismus, De Stijl und Art déco zeigt. Vor allem unter dem Direktor Hannes Meyer bezog man am Bauhaus mit der «Analyse gesellschaftlicher Faktoren» zunehmend Aspekte der Technisierung und Politisierung mit ein.

Selten gestaltete sich die Liaison von Künstlerhandschrift und Auftraggeberpersönlichkeit so harmonisch wie bei Marcel Breuers Ess- und Schlafzimmer für Nina und Wassili Kandinsky, das mit seiner Form- und Farbgebung die Lehre des Malers umzusetzen suchte (1926). Oft merkt man den Objekten die Anstrengung an, dem (spiess)bürgerlichen Wohngeschmack Rechnung zu tragen, wie bei Lily Reichs auf Gemütlichkeit getrimmtem Stahlrohr-Polstersessel (1936). Jede Epoche generierte nicht nur einen architektonischen Stil, sondern richtete sich auf ihre Art wohnlich ein. Die vorbildliche Berliner Schau macht entlang der 14-jährigen Geschichte der Möbelwerkstatt auch die Veränderung des Publikumsgeschmacks deutlich, dem sich das Bauhaus nicht entziehen konnte. So konnte der Anspruch, im reinen Geiste der eigenen Lehre zu produzieren, nicht aufrechterhalten werden. Damit setzte der unaufhaltsame Niedergang der Schule ein. Diese musste unter dem politischen Druck des NS-Regimes 1933 endgültig geschlossen werden. Interessant erscheint, dass sich der einzelne Künstler, wie die Beispiele Mies van der Rohe und Breuer belegen, von der Schule lösen musste, um jene charakteristische Handschrift herauszubilden, welche die grossen Würfe hervorbrachte. Oder mit den Worten Christian Morgensterns: «Wenn ich sitze, will ich nicht sitzen, wie mein Sitz-Fleisch möchte, sondern wie mein Sitz-Geist sich, sässe er, den Stuhl sich flöchte.»

Claudia Schwartz

[ Ausstellung bis 10. März. Katalog: Bauhaus-Möbel. Eine Legende wird besichtigt. Hrsg. Bauhaus-Archiv Berlin, Berlin 2002. 440 Abb., 336 S., Euro 14.95 (Euro 9.50 in der Ausstellung ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: