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Der Himmel über Wien
Neue Zürcher Zeitung

Sechs monumentale Flaktürme trotzen den Zeiten

21. Januar 2003 - Paul Jandl
Eine «monumentale Bindung» an das städtische Panorama hatte der Hitler-Architekt Albert Speer den Riesenbunkern zugedacht. Sechzig Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs stehen die Wiener Flaktürme unverändert da. Vom kaiserlichen Lustschloss Augarten und der darin befindlichen Porzellanmanufaktur führt eine nach barocker Gartengeometrie angelegte Allee auf einen Gefechtsturm zu. Im Wiener Arenbergpark teilen sich grossbürgerliche Häuser des Fin de Siècle das knappe Grünareal mit nationalsozialistischen Grosskubaturen.

Ab 1940 hat der Schweriner Architekt Friedrich Tamms in Hitlers Auftrag seine «in konstruktiver Hinsicht einwandfreien» Zweckbauten verwirklicht. Aus stereometrischen Grundformen entstanden die Flaktürme in den Grossstädten des Dritten Reichs. In Berlin und Hamburg wurden ebenfalls weit aufstrebende Plattformen für die Geschütze der Fliegerabwehr gebaut, doch nirgends ragen sie so unerbittlich aus historischem städtischem Boden wie in Wien. Bis zu 50 Meter erheben sich die sechs Flaktürme über das Strassenniveau. Das gedachte Dreieck, in dem die aus Leit- und Gefechtsturm bestehenden Paare in Beziehung zueinander stehen, prägt das Panorama der Stadt, das die Betonklötze in die denkmalhafte Stadtlandschaft längst integriert hat.

Ein gläserner Leseturm des Wiener Museumsquartiers durfte nicht gebaut werden, weil er die Barockfassade der ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen überragt hätte. Gleich hinter dem Museumsquartier, in schöner imperialer Linie mit der Hofburg, dem Burgtor und den Hofmuseen, trotzt in der Stiftskaserne ein gemauertes Monument von Verteidigung und Herrschaft jedem Einwand. Rund 45 000 Kubikmeter Beton hat man zu Kriegszeiten für jeden der über vierzig Meter breiten Gefechtstürme verbaut, bis zu sieben Meter dicke Wände haben die Bunker unverwundbar gemacht. Die Geschütze der Fliegerabwehr, die auf den Türmen postiert waren, haben ihren Zweck dennoch nicht lange erfüllt. Geänderte Strategien des Luftkriegs haben den Versuch, ganz Wien über den Radius der Flaktürme zu verteidigen, schnell obsolet gemacht. Die bis zu zwölf Geschosse hohen Bauten waren aber auch autarke Systeme, in denen bis zu 20 000 Menschen Schutz fanden.

Seit knapp sechzig Jahren müht sich Wien an einer betonierten Geschichte, die nur mit dem Aufwand von Hunderten Millionen Euro aus dem Stadtbild zu entfernen wäre. Das allerdings hat man auch längst nicht mehr vor. Die Wiener Flaktürme sind unter der Bevölkerung gelitten und stehen heute unter Denkmalschutz. Sofort nach Kriegsende hat man begonnen, sich über die Verwendung der historischen Relikte Gedanken zu machen. Ein Pantheon Österreichs sollte schon 1946 aus dem Gefechtsturm in der Stiftskaserne werden, ein Monument des gewendeten Patriotismus, das die Verherrlichungsästhetik der vorangegangenen Jahre noch nicht ganz überwunden hatte.

Seit Jahrzehnten müht sich die Wiener Phantasie an einer Form, die als Signal der Geschichte immer noch mitten in der Gegenwart steht. Die Ideen eines ethischen Kontrasts zum ursprünglich martialischen Zweck sind zahlreich. Ein Holocaust-Museum, ein «Haus der Geschichte» oder ein «Haus der Toleranz» standen schon auf der Wunschliste, grössere Chancen auf Verwirklichung hat indes ein Grossarchiv als «Daten-Bunker» im Wiener Augarten. Christo, der Folienkünstler historischer Grossbauten, wollte die Flaktürme schon verpacken, während Hoteliers aus der einst militärischen Aussicht ziviles Kapital zu schlagen gedachten. Gläserne, mehrere Stockwerke hohe Aufbauten waren für den Leitturm im Wiener Esterhazypark geplant. Ein «Foltermuseum» gibt es dort schon, und das «Haus des Meeres» ist mit seinen Grossaquarien ein beständiger Mieter. Im Sommer letzten Jahres hat die Wiener Stadtplanung eine Studie erstellen lassen, mit der man neue Möglichkeiten der Nutzung ausloten wollte. Jetzt sind die Ergebnisse der höchst detailreichen Untersuchung des Architektenbüros Bernstein und Pieler da, doch Wien wird der Unverwüstlichkeit der Zweckbauten weiterhin mit synchroner Haltung begegnen: Man wartet ab.

Zur geschichtlichen Bedeutung der Türme kommt das ästhetische Phänomen ihrer puristischen Architektur. Der Konzeptkünstler Lawrence Weiner hat den Flakturm im Esterhazypark in einer Festwochen-Aktion des Jahres 1991 mit dem Schriftzug versehen: «Zertrümmert in Stücke / In der Stille der Nacht.» Abseits ihrer militärischen Zwecke symbolisieren die Flaktürme eine der Kunst wohl verwandte rohe Kraft, die Peter Noever, den Direktor des Museums für angewandte Kunst, auf die Idee gebracht hat, den Gefechtsturm im Arenbergpark einschlägig zu nützen. Seit 1995 führt das MAK hier ein Depot, und irgendwann und unter dem Aufwand von rund 22 Millionen Euro könnte hier der Contemporary Art Tower entstehen, ein Projekt, das den Gefechtsturm zum Ausstellungsort von Kunst macht und ihn gleichzeitig selbst zu Kunst nobilitiert. Man hat sich Paul Virilio geholt, um den einstmals kriegerischen Aspekt des Ortes mit einer Ästhetik dessen zu beschwören, «was vom Himmel kommt». «Heaven's Gift» nannte das MAK die Ausstellung zu seinem Projekt des Flakturm-Umbaus, bei dem ebenfalls abgewartet wird. Unterdessen kommt noch anderes von oben: Vor einer Nutzung wären 22,5 Tonnen Taubenmist allein vom 8. Obergeschoss des Gefechtsturmes im Arenbergpark zu entfernen.

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