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Lust an Einfachheit
Neue Zürcher Zeitung

Die neuklassizistische Architektur von Hans Kollhoff

6. Februar 2003 - Roman Hollenstein
Während sich eine jüngere, technikbegeisterte Generation mehr und mehr der computergenerierten, neo-organischen «Blob»-Architektur zuwendet, treibt in Deutschland eine neuklassizistische Baukunst trockene Blüten. Ihren Ausgang nahm sie im vergangenen Jahrzehnt in der Debatte um ein steinernes Berlin. Seither hat sich ihr eine lose Gruppe unterschiedlich begabter Architekten verschrieben, denen die Metropole an der Spree unter anderem das Remake des Hotels «Adlon» am Pariser Platz verdankt. Als ihr Hauptvertreter gilt der heute 56-jährige ETH- Professor Hans Kollhoff, der in der deutschen Hauptstadt zusammen mit Helga Timmermann ein Büro führt. Hier wie dort hat Kollhoff seine Anhänger und Gegner. Ins Kreuzfeuer der Kritik gelangte er in unseren Breiten, als er seine Zürcher Studenten Villen entwerfen liess, deren Interieurs die schwüle Schwere der Gründerzeit atmen. Dabei liess sein Schaffen - dem Charlottenburg einen gelungenen Wohnblock in der Nachfolge Le Corbusiers verdankt - anfangs diese Entwicklung kaum erahnen. Doch dann vollzog Kollhoff eine Kehrtwende, aber nicht hin zum steinernen Minimalismus seiner ebenfalls in Berlin tätigen Kollegen Ungers, Kleihues oder Dudler, sondern über Mies van der Rohe zurück zu Karl Friedrich Schinkel. Dadurch sind seine Bauten immer klassizistischer geworden, genauer: Sie versuchen heutige Investorenarchitektur mit zeitloser Klassik zu adeln. Allein, das Streben nach einer sich in der «Logik von Tragen und Lasten» spiegelnden «universalen Harmonie» garantiert noch lange keine guten Bauten.

Kollhoffs manieriertem Neoklassizismus widmet sich nun eine schlanke Monographie mit einem kurzen, aber hochtrabenden Einführungstext von Fritz Neumeyer. Darin skizziert der Berliner Architekturtheoretiker die Prämissen einer «Architektur der Erkennenden», denen das kulturelle Bewusstsein von der Menschlichkeit in der Baukunst nicht fremd geworden sei. Sein verstecktes, sich auf Vitruvs Trias von Firmitas, Utilitas und Venustas, aber auch auf Alberti, Kant, Goethe und Nietzsche berufendes Plädoyer für eine Architektur der Gemütlichkeit, Schwere und Innerlichkeit gipfelt in einer überholt anmutenden antimodernen Polemik. Obwohl Kollhoff nicht explizit erwähnt wird, bezieht man die Streitschrift auf ihn, und das tut seinem Schaffen, das bei weitem keine absolute Gültigkeit beanspruchen kann, nicht gut. Die dreizehn von Kollhoff seit 1992 entworfenen und mehrheitlich in Berlin realisierten Gebäude, die in dem Band versammelt sind, versuchen zwar die Möglichkeiten des klassischen Repertoires in einer immer mehr von einer nivellierenden Bauindustrie bestimmten Welt auszuloten. Doch anders als etwa beim klassizistischen Rationalisten Livio Vacchini in Locarno reduziert sich Kollhoffs Kunst auf tektonisch gegliederte Fassadenelemente, auf ein mit der Tradition flirtendes Äusseres und eine möglichst gediegene Innenausstattung.

Wirkt das grossbürgerliche Interieur der Villa Gerl wie ein stark purifiziertes Werk von Schinkel, so fröstelt einen beim Betreten der Empfangshalle im Auswärtigen Amt. Hier vereint sich die Monumentalität der unter den Nazis errichteten und von Kollhoff mit Können, aber ohne Sinn für Brüche und Verfremdungseffekte umgebauten Reichsbank mit dem Mobiliar des Barcelona-Pavillons und Gerhard Merz' Licht- und Farbgestaltung zu einem ebenso faszinierenden wie bedrohlichen Gesamtkunstwerk. Dieser eisige Klassizismus erstarrt vollends in den Schinkels Entwurf für ein Kaufhaus Unter den Linden ins Monumentale steigernden Leibniz-Kolonnaden, die so gar nicht an den nach Walter Benjamin benannten Platz passen wollen. Dass Kollhoff dabei - wohl angeregt durch Neumeyer - an Nietzsches «weitgedehnte Orte zum Nachdenken, Orte mit hochräumigen langen Hallengängen für schlechtes oder allzu sonniges Wetter» und an dessen «Lust an Einfachheit, Übersichtlichkeit, Regelmässigkeit, Helligkeit» gedacht haben dürfte, macht diese spröde Architektur nicht sympathischer. Die Kolonnaden beweisen ebenso wie das Europäische Haus am Pariser Platz, dass die Subtilität von Kollhoffs Architektur eigentlich nur in den sorgsam komponierten Aufrissen zum Tragen kommt. Ihre bauliche Umsetzung führt immer zu einer Verhärtung und Erstarrung, denn die allzu perfekt geschnittenen Profile und Steinoberflächen verströmen kein Leben.

Allen Einwänden zum Trotz darf man Kollhoff zugute halten, dass sich seine Bauten in ihrer Strenge, Stille und in ihrem Stilwollen gut in den städtischen Kontext einpassen. Wo - wie in der von Adolf Loos angeregten Newton Bar an der Friedrichstrasse - die strenge Symmetrie durchbrochen wird, da werden seine Arbeiten sogar verführerisch. Eine gewisse Unbeschwertheit erreichen schliesslich die neugotischen Werke, in denen es Kollhoff ähnlich wie einst Schinkel gelingt, sich aus dem Korsett des allzu Rationalen zu befreien. Das Klinkerhochhaus am Potsdamer Platz, in dem Högers Kontorbauten mit amerikanischem Art déco zu verschmelzen scheinen, ist wohl seine bisher eleganteste Arbeit. Ihr antworten nun seit kurzem die Kathedralgotik des Frankfurter Mainplaza-Tower. All diese Werke präsentiert die Monographie anhand von Ivan Nemecs hervorragenden Schwarzweissfotos, die die Härte von Kollhoffs Baukunst ins Zentrum rücken, während die fachlich Interessierten mit kleinen Fassadenrissen getröstet werden. Die Tatsache, dass der Publikation weder technische Angaben noch Schnitte und Pläne beigegeben wurden, illustriert besser als viele Worte Kollhoffs zwischen klassisch-rationalistischen und romantisch-irrationalen Ansätzen oszillierendes Architekturverständnis, das ganz vom traditionellen, durch die Fassaden definierten Baukörper ausgeht und die Funktionen dem äusseren Erscheinungsbild unterordnet.


[Hans Kollhoff. Architektur. Mit einem Essay von Fritz Neumeyer und Photographien von Ivan Nemec. Prestel-Verlag, München 2002. 112 S., Fr. 101.-.]

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