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Tarzan im Mediendschungel
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellung Toyo Ito in Vicenza

9. Oktober 2001 - Hubertus Adam
Die Organisatoren von Architekturausstellungen - ob Kuratoren, ob Architekten selbst - sehen sich mit einem grundsätzlichen Problem konfrontiert: Keine Präsentation kann das körperliche Erleben eines realen Baus vermitteln, geschweige denn ersetzen. Zeichnungen und Pläne sind für ein nicht fachlich gebildetes Publikum oft hermetisch, Modelle erscheinen instruktiv, wo die Wirklichkeit den Überblick nicht erlaubt, und modische Computeranimationen setzen auf eine Suggestionskraft, gegenüber der sich der tatsächliche Bau vielfach blass ausnimmt. So entspricht der Besucher von Architekturausstellungen jenem platonischen Höhleninsassen, der die klare, von der Sonne beschienene Wirklichkeit nur in Form ihrer flackerhaft auf die begrenzenden Wände fallenden Schatten wahrnimmt.

Wenn dieser prinzipiellen Problematik schon nicht zu entkommen ist, so besteht die Möglichkeit, sie zum Thema zu machen - eine Überlegung, welche in den vergangenen Jahren zum Ausgangspunkt einer Reihe von bemerkenswerten Architekturausstellungen wurde; «The Art of Architecture Exhibition» heisst nicht ohne Grund ein unlängst erschienenes Buch, das nicht nur theoretische Essays enthält, sondern auch die Ausstellungsgestaltungen dokumentiert, welche unter dem fünfjährigen Direktorat (1996-2001) von Kristin Feireiss am Niederländischen Architekturinstitut Rotterdam entstanden sind. Marksteine setzte zuvor schon das Basler Büro Herzog & de Meuron: «Architektur Denkform» hiess 1988 die erste Retrospektive, bei der auf die Fenster des Basler Architekturmuseums aufgedruckte Grossfotos der eigenen Arbeiten sich visuell mit dem urbanen Ambiente des Museums überlagerten; sieben Jahre später spiegelte sich der Raster der von Rémy Zaugg installierten Neonröhren in den endlos zu Reihen angeordneten Tischvitrinen des Pariser Centre Pompidou. Elemente, die gemeinhin die Exponate unauffällig ins rechte Licht rücken, traten hier zu diesen in wohlkalkulierte Konkurrenz.

Fragen der Wahrnehmung beschäftigen den 1941 in Tokio geborenen Architekten Toyo Ito seit langem - sein berühmter, letztlich funktionsloser «Turm der Winde» in Yokohama (1986) lässt sich als architektonische Eloge für das Ephemere, Entmaterialisierte und Elektronische verstehen. Mit der Schau «Blurring Architecture», die 1999/2000 in Tokio, Aachen sowie im dänischen Humlebæk zu sehen war, führte der Pionier einer sich multimedial darstellenden Moderne den Besuchern lehrbuchhaft die ausstellungsspezifischen Mittel zur Präsentation von Architektur vor Augen: Zeichnungen, Modelle, Fotos, Texte, Simulationen und schliesslich die begehbare Rekonstruktion seines kurz zuvor abgerissenen Frühwerks, des «White U» genannten hufeisenförmigen Wohnhauses aus Stahlbeton in Tokio.

Nun wurde Toyo Ito in der Basilica Palladiana in Vicenza erneut die Gelegenheit gegeben, einen Rückblick auf sein bisheriges Werk zu inszenieren. Dafür hat der Japaner den gewaltigen, von Palladio mit Loggien umgebenen gotischen Innenraum in einen Dark Room verwandelt. Die einzigen Lichtquellen bilden neunzehn vom Gewölbe abgehängte Schläuche aus transluzenter Gaze, die von oben durch Scheinwerfer beleuchtet sind. In jedem dieser Schläuche, die wie Pfeiler den Raum gliedern, befindet sich ein gläserner Tisch, der als horizontale Projektionsfläche für Videoeinspielungen, Fotos oder Entwürfe jeweils eines Projektes dient; in drei Tischen befinden sich Plexiglasmodelle. Einblick in die Schläuche gewährt wird den Besuchern durch kleine, aus dem Gazematerial ausgeschnittene Gucklöcher, so dass sie die Hauptwerke Itos in chronologischer Reihenfolge abschreiten können - vom «White U» (1976) und von der «Silver Hut» (1984) bis zum jüngsten Bühnenbild, «Cholon», für das Tokioter Cocoon Theatre und zum Projekt eines aus Aluminiumwaben bestehenden Informationspavillons in Brügge. Gleich drei Schläuche sind für Itos jüngstes und vielleicht wichtigstes Projekt reserviert, die zu Beginn des Jahres eröffnete Bibliothek in Sendai, welche auch in einem ellipsenförmigen Kompartiment mit Hilfe von grossflächigen Projektionen der Konstruktionszeichnungen präsentiert wird. Mit ihren leuchtenden Rundpfeiler-Schläuchen verweist nicht zuletzt die gesamte Installation auf dieses Meisterwerk.

Zusätzliche Informationen erhält man durch ein Set von Plastic-Kärtchen. Am Köcher um den Hals getragen wie anderenorts der Audioguide, stellen sie eine ebenso archaische wie manierierte Form der Informationsübermittlung dar. Hat man die auf den Fussboden aufgedruckte Nummer entdeckt und das richtige transluzente Kärtchen gezogen, lassen sich vor dem Hintergrund des erleuchteten Schlauchs Minimalinformationen im Dunkel des Saales lesen. Mehr - natürlich konventionelle - Informationen hält der die Ausstellungs begleitende Band aus der Electa-Reihe, «Documenti di architettura», bereit, für den sich dann allerdings der Abschied von der flimmernden Höhle empfiehlt. «Tarzan nella giungla mediale» heisst ein abgedruckter Text Itos, der angesichts des nächtlich-virtuellen Pfeilerraums neue Bedeutung erhält. Der geordnete Dschungel, den der Architekt gepflanzt hat, ist ein seltsames Biotop: Für ein breites Publikum bleibt er letztlich uninformativ, den Fachleuten hingegen hält er eher karge Kost bereit.


[Bis zum 2. Dezember. Katalog: Toyo Ito. Le opere, i progetti, gli scritti. Hrsg. Andrea Maffei. Electa, Mailand 2001. 366 S., Lit. 120 000 (Lit. 93 000 in der Ausstellung).]

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