Artikel

Formalistischer Rationalismus
Neue Zürcher Zeitung

Der südamerikanische Architekt Rafael Viñoly

13. März 2003 - Roman Hollenstein
Das gespenstische Skelett der Twin Towers machte Rafael Viñoly, den Vordenker der eigens für den Ground-Zero-Wettbewerb formierten Architektengruppe «Think», jüngst einem grösseren Publikum bekannt. Obwohl es eine Zeit lang so aussah, als würde sein Team die Palme davontragen, wurde Viñoly im Schlussspurt von der Vergangenheit eingeholt. Denn der 1944 als Sohn kanarischer Einwanderer in Uruguay geborene, aber in Buenos Aires aufgewachsene Architekt, der zuerst Musiker hatte werden wollen, führte als junger Mann zusammen mit dem Estudio de Arquitectura unter der argentinischen Militärdiktatur offizielle Aufträge aus: einen Pavillon für das Gesundheitsministerium, die Erweiterung des Aussenministeriums und - für die Fussball-WM von 1978 - ein Fernsehgebäude sowie das genial einfache Stadion in Mendoza.

Hätte Viñoly 1967 seinen futuristischen Entwurf des Amsterdamer Rathauses mit abenteuerlich aufgestelzten Glaskugeln verwirklichen können, wäre ihm vielleicht der Flirt mit den Generälen erspart geblieben. So aber sah er sich gezwungen, seine Karriere in Buenos Aires aufzubauen. Hier schuf er in den späten sechziger Jahren mehrere extravagante Bankgebäude, in denen sich Beton, Glasbausteine und Lichteffekte zu raumschiffartigen Interieurs vereinen. Dank diesen frühen Erfolgen konnte er schon mit 28 Jahren sein eigenes Haus realisieren: eine aus zwei Türmen und einem verbindenden Schwebebalken bestehende schwarze Villa am Río de la Plata. Diese Miniatur sowie ein 1974 vollendetes, räumlich sehr komplexes Geschäftshochhaus wiesen bereits voraus auf den Samsung Tower von 1999 in Seoul und auf das Ground-Zero-Projekt.

Im Jahr 1979 emigrierte Viñoly nach New York, wo er sich zunächst mit kleinen Aufträgen durchschlagen musste, bis er - gleichsam als Kampfansage an die Postmoderne - ein rationalistisches, von Richard Meier und seinem Freund Mario Campi beeinflusstes Hochhaus an der 52nd Street verwirklichen konnte. Den bisherigen Höhepunkt in seiner Karriere aber markiert das in einem linsenförmigen Glasschrein kulminierende Tokyo International Forum (1989-96). Dieser Erfolg öffnete ihm in den USA viele Türen, wie das gute Dutzend bedeutender Bauten veranschaulicht, die zurzeit entstehen. Nun wird das Schaffen Viñolys, der neuerdings auch wieder in Buenos Aires tätig ist, in einer üppig bebilderten Monographie mit einem 238 Nummern umfassenden Werkverzeichnis dokumentiert. Sie zeigt einen künstlerisch engagierten Architekten, der unter dem Einfluss der New Yorker Bauwirtschaft immer glatter und kommerzieller wurde. Zu hoffen bleibt daher, dass das Ground-Zero- Projekt eine Rückkehr zur architektonischen Recherche bewirken wird.


[Rafael Viñoly. Hrsg. Román Viñoly. Birkhäuser-Verlag, Basel 2002. 320 S., Fr. 128.-.]

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