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Architektur im Schatten der Wolkenkratzer
Neue Zürcher Zeitung

Oscar Niemeyer und Richard Meier in Frankfurt

21. März 2003 - Roman Hollenstein
Die Skyline ist das Wahrzeichen von Frankfurt. Ihr verdankt «Mainhattan» den Ruf, die vom Erscheinungsbild her amerikanischste Stadt des alten Kontinents zu sein. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Voraussetzungen für diesen spektakulären Höhenrausch gelegt, auch wenn Bruno Taut hier bereits 1931 das erste Scheibenhochhaus realisiert hatte. Wie die stark zerstörte Alt- und Innenstadt zwischen Dom und Hauptbahnhof mit niedrigen Zeilenbauten wiederhergestellt wurde, aus denen sich bald schon zwölfgeschossige Geschäftsbauten wie der «Bienenkorb» erhoben, zeigt nun die kleine Ausstellung «Frankfurt am Main - die fünfziger Jahre» im Institut für Stadtgeschichte anhand von historischen Fotos und Dokumenten. Ungeachtet der Kriegsverluste hatten beim Planen und Bauen die Bewahrer gegenüber den unsentimentalen Erneuerern meist das Nachsehen. So wurde dem 70 Meter hohen Fernmeldehochhaus der Bundespost das Rokoko-Palais der Thurn und Taxis geopfert, das man leicht hätte wiederherstellen können. Die Niederlagen der Denkmalpflege führten bald zur Forderung, der «Amerikanisierung» sei Einhalt zu bieten. Mit wenig Erfolg allerdings, denn am Ende des Jahrzehnts wuchs mit dem zwanzigstöckigen Zürich-Haus von Werner Stücheli gleich neben der Alten Oper der erste amerikanische «Wolkenkratzer» der Stadt in den Himmel.

Mittlerweile ist diese blau schimmernde Nachkriegsikone allen Protesten zum Trotz abgebrochen worden. Ob an ihrer Stelle Christoph Mäcklers Neubauprojekt je verwirklicht wird, steht in den Sternen, denn offensichtlich ist der Versicherungsgesellschaft die Lust am Bauen vergangen. Während in der Nachbarschaft der Zürich-Brache die Spitzhacke weiter gegen Denkmalschutzobjekte wütet, soll nun Mäckler die klassizistische Stadtbibliothek an der Schönen Aussicht wiedererrichten, von der die Aufräumarbeiten von 1945 nur noch den Säulenportikus übrig liessen. Dieser bildet seit den achtziger Jahren als «schönste Kriegsruine Frankfurts» den stolzen Eingang zum Container der Portikus-Kunsthalle. Die Rekonstruktionssucht, deren konservativer Geist längst ganz Deutschland erfasst hat, dürfte im Fall des Portikus zur Wiedergewinnung eines schönen Blickfangs am Main führen. Ein anderer erhebt sich seit einem Jahr gleich auf der Südseite des Flusses in Form des Main-Plaza-Turms von Hans Kollhoff. Mit seiner gravitätischen Erscheinung ist der gedrungen wirkende, zwischen Gotik und Art déco oszillierende Zwanzigstöcker als nobelster Himmelstürmer der Stadt nicht nur die Antithese zum verlorenen Zürich-Haus, sondern auch zum glücklichsten Frankfurter Neubau der letzten zwei Jahrzehnte: der eleganten, aus den Kraftlinien des Ortes hergeleiteten Erweiterung der Villa Metzler zum Museum für Angewandte Kunst (MAK) durch Richard Meier.

Das MAK, das von einer Zeit zeugt, da Vergangenheit und Zukunft noch voller Optimismus zusammenfinden konnten, beherbergt nun eine Ausstellung über den Architekten Richard Meier als Designer und Künstler. Wer dessen gestalterische Arbeiten nicht kennt, wird staunen, wie stark dieser Vertreter der Spätmoderne in seinen Designentwürfen dem Wiener Jugendstil huldigt. So sind die Sitzgelegenheiten, die er 1985 für das MAK schuf, schwerblütige Neuinterpretationen von Josef Hofmanns Möbeln, und seine Silbergegenstände - Schalen, Bilderrahmen, Kerzenständer - sowie das Porzellan sind Erzeugnissen der Wiener Werkstätten zum Verwechseln ähnlich. Wirklich irritierend aber ist der suprematistisch beeinflusste rechteckige Flügel mit den schwerfälligen Chromstahlbeinen, den Meier 1995 für Imbach entworfen hat. Den Übergang zu Meiers künstlerischen Versuchen - den Collagen und den (nur als Abbildungen anwesenden) neokubistischen Metallskulpturen, zu denen er durch seinen Freund Frank Stella angeregt wurde - bilden Objekte wie der Kerzenleuchter «Tower» von 1989. Bei diesem wandte er schon eine ähnliche Kompositionsweise an wie in dem an eine Minimalskulptur erinnernden Wettbewerbsprojekt für das neue World Trade Center, welches er zusammen mit Peter Eisenman und Steven Holl verfasste. Dass bei diesem Vorschlag aber auch wichtige Anstösse von Holl kamen, verdeutlicht gegenwärtig eine Schau im benachbarten Deutschen Architektur-Museum (DAM). Die vor einem Jahr im Auftrag der Max Protetch Gallery in New York von namhaften Architekten schnell hingeworfenen und seither überholten Vorschläge für Ground Zero, die bereits in Venedig vorgestellt wurden, sind deswegen interessant, weil man hier der ersten Vision von Libeskind, einem mikadoartigen Hochhausbündel mit schwebendem Memorial, begegnen kann.

Gleichwohl hätte man auf die Präsentation dieser architektonischen Herzensergiessungen verzichten und dafür der Oscar Niemeyer gewidmeten Hauptausstellung mehr Raum einräumen sollen. Diese zuvor schon unter anderem in Paris gezeigte Schau (NZZ 9. 2. 02) leidet im DAM nämlich unter Platznot. Das hat die Ausstellungsmacher Haron Cohen und Cecília Scharlach dazu bewogen, die Präsentation völlig neu zu konzipieren. Dadurch ist sie von einer rhetorisch weit ausholenden Inszenierung zu einer spröden Retrospektive geworden, der jede brasilianische Eloquenz abgeht. Einem informativen «Fries» mit Bildern aller Bauten und Projekte des 95 Jahre alten Architekten antworten Modelle seiner wichtigsten Bauten in Brasilien, Frankreich und Italien sowie seiner unrealisiert gebliebenen Moschee für Algier. Ergänzt wird diese Zusammenstellung durch Zeichnungen des Meisters, durch aufschlussreiche historische Schwarzweissaufnahmen von Marcel Gautherot und prachtvolle Farbfotos von Michel Moch. Waren diese in Paris das vorherrschende Moment der Schau, so werden sie hier zum bunten Bilderreigen degradiert, der Niemeyers Œuvre allzu marktschreierisch anpreist.

Schade, dass das DAM die Möglichkeit vergeben hat, die Rezeption der organischen Baukunst Niemeyers von Calatrava über Future Systems bis hin zur heutigen Blob-Architektur zu thematisieren. Das hätte - zusammen mit der in diesem Kontext doch noch nützlichen WTC-Schau - einen kritischen Blick auf die Wolkenkratzer jenseits des Mains erlaubt, bei denen wenig Sinn für Form, Raum und Licht auszumachen ist. Doch scheinen die gegenwärtigen Finanzprobleme der Frankfurter Museen keine Eigenleistungen mehr zu erlauben, einmal abgesehen von der erfreulichen Tatsache, dass das DAM zur Ausstellung eine eigene Monographie herausgeben konnte, welche die noch immer schmale Niemeyer-Bibliographie nützlich erweitert.


[Ausstellungen: Bis 23. März im Institut für Stadtgeschichte, Begleitbroschüre Euro 1.50. Bis 18. Mai im MAK, Begleitpublikation: Richard Meier. Der Architekt als Designer und Künstler. Hrsg. Volker Fischer. Edition Axel Menges, Stuttgart 2003. 128 S., Fr. 89.- (Euro 36.- in der Ausstellung). Bis 11. Mai im DAM, Begleitpublikation: Oskar Niemeyer. Eine Legende der Moderne. Hrsg. Paul Andreas und Ingeborg Flagge. Birkhäuser- Verlag, Basel 2003. 144 S., Fr. 45.- (Euro 29.50 in der Ausstellung).]

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