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Lust, Platzangst und Atemnot
Der Standard

Im Migros-Museum wird das „Unheimliche“ als Netz von Erzählsträngen, Raumfolgen und Defekten aufbereitet. Raum wird extrem beschrieben: als mysteriöser Ort, als Zelle oder Unendlichkeit. In jedem Fall als Versuchung.

3. April 2003 - Markus Mittringer
Zürich - Verzaubert und in die Wüste geschickt - das kann ganz schön Angst machen. Oder auch anturnen. Allein, getrieben und von allem und jedem entfremdet in der Großstadt herumzuirren detto. Ferngesteuert, ausgeliefert, fremdbestimmt oder ganz verlassen - auch gut. Meist hat es mit Raum zu tun, wenn einem so richtig superunwohl zumute ist. Ist er leer, ein Horror. Zu eng, ein Horror. Unbegrenzt - Angst. Krümmt und biegt er sich - Wahnsinn. Erzählt er von Abwesenden - Schauder. Deutet er auf Anwesende hin - Furcht. Ist er fenster- wie türlos - Panik. Mündet er in immer neue Räume - auch Unbehagen. Außerdem kann er noch scharfkantig, abschüssig, zu kalt, zu heiß, zu hell, zu dunkel, zu feucht oder zu trocken sein. In jedem Fall ist so ein Raum eine Herausforderung.

„Bewitched, Bothered and Bewildered“ versammelt eine ganze Reihe von Raumerfahrungen zum Nacherleben, Mitfürchten oder - fast schade - zum Ergründen, wie und warum recht simple Konstruktionen so unheimlich sein können.

Unheimlich ist vor allem die latente Bedrohung. Ob die nun real existiert, früher oder später doch in der Gestalt der Katastrophe eintrifft, auf Probleme mit den eigenen Synapsen zurückzuführen ist oder einfach darin besteht, dass man mit Raum eine Behörde verbindet und daher sogleich untertänigst in Ohnmacht verfällt und das gestempelte Schicksal hinnimmt, ist eigentlich egal. Räume sind voller Zustände. Erschreckender Zustände.

Und die färben ab: Markus Schinwald zeigt mit seinem Film Dictio Pii sieben Personen, die in schäbigen Hotelgängen und -zimmern ewig gleichen, befremdlichen Ritualen nachgehen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, letztlich unbefriedigend zu sein: Die Protagonisten fahren Lift, nutzen mechanische Hilfsmittel, um soziales Verhalten wie Lächeln oder bestimmte Körperhaltungen nachzuahmen, rauchen, schütteln unentwegt Staub von sich ab, räumen Kästen ein und wieder aus. Im Wissen, dass alles Begehren unerfüllt bleibt, haben sie keine Eile. Man hört, sie wären nicht arm, sie würden bloß nichts (an-)nehmen.

Die Videoinstallation Star City von Jane und Louise Wilson zeigt Gerätschaften in der einst geheimen Raumfahrerstadt Baikonur, mit denen für den ersten bemannten Raumflug trainiert wurde. Völlig schwerelos schwebt die Kamera durch den Ort, an dem einst ein Versuch begann, Utopie Tat werden zu lassen, zeigt, welch derbes Gerät dazu verhalf, ein Stück ins Weltall vorzudringen. Der Ort erscheint so verlassen wie unwirklich. Er existiert bloß noch im Gedächtnis dessen, der sich seiner - irgendwo weit weg schwebend - gerade erinnert.

Wirklich verlassen ist Brasilia. Matthias Müller besuchte die „Hauptstadt der Hoffnung“ der 50er-Jahre, die heute als entvölkertes Weltkulturerbe für das Scheitern sozialer Utopien steht (Vacancy, 1988). Anish Kapoor hat - ähnlich wie in der Tate Modern in London, nur weitaus kleiner - ein Füllhorn auf Staubsaugerbetrieb umgestellt, zieht Blicke ab, verspricht einen Fluchtweg aus dem Raum ins Nichts.

Über einen kurzen - angeblich recht bewusstseinserweiternden - Moment ebenfalls ins Nichts laden die Schweizer Architekten Décosterd & Rahm. Ihr Raum (ND Cult, 2003) ist ein dunkles, durch schwere schwarze Vorhänge isoliertes Sterbezimmer. Zentral und hell erleuchtet steht ein Plexiglaskubus. Innerhalb dieses Schneewittchensarges ist der Sauerstoffgehalt auf 6 % gesenkt. Kurzfristig kann die Atmosphäre halluzinogene Zustände hervorrufen, mittelfristig Schäden, längerfristig erstickt man. Obwohl - behauptet die Einspielung vom Band - beim noch ganz jungen Menschen Sauerstoffmangel die Zellentwicklung stimuliert. Eine Arbeit zum beliebten Thema „Die Lust und ihr Preis“.


[Bis 25. Mai]

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