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Moderne Architektur im Exil
Neue Zürcher Zeitung

Wien feiert den 100. Geburtstag von Ernst Plischke

5. April 2003 - Stephan Templ
In sein legendäres Buch «Gli elementi dell'architettura funzionale» nahm Alberto Sartoris gleich zwei Gebäude des jungen, 1903 in Klosterneuburg bei Wien geborenen Ernst Plischke auf. Wenigen Österreichern war das vergönnt. Schliesslich hatte die «Moderne» im wirtschaftlich schwachen Österreich der Zwischenkriegszeit nur eine Handvoll Auftraggeber, von denen die meisten nach 1938 vertrieben, wenn nicht gar ermordet wurden. Ernst Plischke selbst gelang mit seiner jüdischen Frau, der Gartenarchitektin Anna Lang-Plischke, die Flucht über die Weltmeere: Er landete in Neuseeland. Dank Sartoris kannte man dort seinen Namen, und es wurde ihm auch sogleich ein Posten im Ministerium für Wohnbau angeboten.

Plischke war einer der wenigen Exilanten, die ihren Erfolg in der Fremde fortsetzen konnten: Als 30-Jähriger schon baute der weit gereiste Behrens-Schüler, der bereits Frank Lloyd Wright und Le Corbusier getroffen hatte, die berühmt gewordene Villa am Attersee: Dieses erste moderne Landhaus Österreichs, ein weiss gestrichener, vom Boden abgehobener Holzbau mit Bandfenstern und schwebendem Dach, ist ein Werk, das sich heute noch wunderbar einfügt zwischen See und Waldrand. An frühen Bauten in Österreich sind ausserdem noch das Arbeitsamt in Liesing und das Doppelhaus in der Wiener Werkbundsiedlung zu nennen; und mit im Gepäck nach Neuseeland nahm Plischke Unrealisiertes: etwa den Entwurf für das Haus Peter, das sich - einem Einraumkonzept verpflichtet - über vier Etagen ausbreitet.

Das Klima Neuseelands sollte die luftigen Entwürfe noch beflügeln, etwa bei dem 1956 in Wellington vollendeten Haus Sutch. Die stumpfwinklig verzahnten, langgestreckten Baukörper der Sutch-Villa mögen manchem wie eine Mischung aus Entwürfen von Richard Neutra und Rudolf Schindler erscheinen. All diese Werke sind nun in der Retrospektive «Ernst Plischke - Das Neue Bauen und die Neue Welt» in der Akademie der bildenden Künste in Wien zu sehen. - Als 60-Jähriger fing Plischke noch einmal neu an: Roland Rainer hatte den 1963 vakant gewordenen Lehrstuhl Clemens Holzmeisters an der Akademie der bildenden Künste in Wien für Plischke erkämpft. Die Berufung eines Exilanten war damals etwas Aussergewöhnliches und hätte doch im Österreich der Wiederaufbau-Gemütlichkeit ein Signal von Offenheit bedeuten können. Mitnichten. Der im Exil erfolgreiche Rückkehrer bekam keinen wesentlichen öffentlichen Auftrag und musste sich daher auf seine Lehrtätigkeit beschränken. Doch die Zeiten haben sich geändert: Uneingeschränkt zollten jüngst in Wien ehemalige Schüler wie Walter Stamm, Hermann Czech oder Alessandro Alvera ihrem Meister und Mentor höchste Anerkennung. Alvera war es auch, der beim Umbau des Kaiserlichen Hofmobiliendepots den Schauraum für das erste Plischke-Werk überhaupt anregte: die 1928 für die Keramikerin Lucie Rie entworfene Wohnungseinrichtung. Das Kaiserliche Hofmobiliendepot würdigt nun in einer Zusatzausstellung Plischke auch als Möbeldesigner.


[ Bis 20. April in der Akademie der bildenden Künste und bis 29. Juni im Kaiserlichen Hofmobiliendepot. Katalog: Ernst Plischke. Das Neue Bauen und die Neue Welt. Das Gesamtwerk. Hrsg. Eva Ottillinger und August Sarnitz. Prestel-Verlag, München 2003. 352 S., Fr. 125.- (Euro 35.- in der Ausstellung). ]

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