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Von außen das Wesentliche sehen
Der Standard

Fünf Jahre lang leitete Nasrine Seraji eine der Meisterklassen für Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Im Gespräch mit Franziska Leeb zieht sie (Zwischen-)Bilanz über ihre Wiener Jahre.

13. Oktober 2001 - Franziska Leeb
Nach einem halben Jahrzehnt an der Akademie der bildenden Künste legt Nasrine Seraji eine Pause ein. Sie ließ sich für (vorerst) ein Jahr karenzieren, um unter anderem an einem Buch über die Didaktik in der Architekturlehre zu arbeiten. Auf jeden Fall trägt sie zur Wiener Architektur auch mit einem gebauten Statement bei. Der Wohnbau in der Linzer Straße (für den Bauträger Mischek) ist bereits eingereicht und soll den Wiener Wohnungsmarkt mit großzügig zugeschnittenen Apartments bereichern.

Frau Seraji, wie lautet Ihre Bilanz nach fünf Jahren an der Akademie?

Nasrine Seraji: Das Schwierigste war der Übergang von einem sehr prägenden Meister, Gustav Peichl, zu meiner Auffassung von Lehre. Die Studenten waren an eine bestimmte Art der Lehre und der Beurteilung gewöhnt. Sie mussten erst lernen, dass Kritik ein Weg ist, der hilft, ein Projekt weiterzuentwickeln. Wenn man einen Entwurf diskutiert, heißt das ja noch lange nicht, dass etwas falsch damit ist. Wo es früher um das Zufriedenstellen des Meisters nach seinen Regeln der Architektur ging, findet jetzt eine Diskussion mit anderen Lehrern und Studenten auf einer anderen, öffentlicheren Ebene statt. Es war nicht leicht, das zu erreichen. Mittlerweile ist es ganz normal. In Rüdiger Lainer, der die zweite Meisterklasse leitet, fand ich einen Verbündeten. Im Kampf für neue Strukturen an der Akademie kamen uns meine Erfahrungen in der Lehre und seine Vertrautheit mit der Institution sehr zugute.

Was war und ist Ihnen dabei wichtig?

Seraji: Es war wichtig, die Einzigartigkeit der Akademie im Vergleich zu den anderen Wiener Architekturschulen herauszustreichen. Unsere Lehre soll Visionen von Architektur vermitteln. Visionen, die den Studenten ein Bewusstsein ihrer Umwelt geben und ihnen erlauben, Verantwortung dieser Umwelt gegenüber zu übernehmen.

Oft heißt es ja, die TU-Absolventen seien besser auf ihren Beruf vorbereitet als an der Akademie ausgebildete Architekten.

Seraji: Sie sind vielleicht besser auf die Praxis des Bauens vorbereitet. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirkliche Architektur-Denker sind. Eines der Mottos, die wir hatten, lautete, die Studenten zu lehren, gleichzeitig zu handeln und zu denken. Wenn man gelernt hat zu denken, findet man immer eine Lösung. Architektur ist eine einzigartige Art zu denken. An der Akademie haben wir die Möglichkeit zuzuhören und 1:1 oder manchmal vielleicht 4:1 in Dialog zu treten, niemals aber beträgt das Verhältnis von Studenten zu Professor 200:1. Beim Architekturstudium gelten andere Maßstäbe als beim Jus- oder Physikstudium. Auch in der Beziehung zu einem Bauherrn ist es notwendig, in einen Dialog zu treten. Die Studenten müssen lernen, was es heißt, mit Leuten zu verhandeln, denen gegenüber wir mit unseren Bauten verantwortlich sind.

Sie haben ja nicht nur die Professur an der Akademie, sondern sind auch Gastprofessorin an der Princeton University und betreiben Ihr Büro in Paris. Was ist die größte berufliche Herausforderung?

Seraji: An allen Orten ist es eine Herausforderung für mich, dass ich von außen komme. Ich bin überall Ausländerin. Das ist offenbar meine Bestimmung. Als Outsider habe ich einen anderen Überblick als ein Insider. Ich habe das Privileg, Dinge zu sehen, die jene, die zu nah am Geschehen sind, nicht bemerken.

Was ist der Unterschied zwischen Princeton und der Akademie in Wien?

Seraji: Die gesamte Größe der Princeton School of Architecture entspricht der einer Meisterschule an der Akademie. Struktur und Finanzierung sind völlig verschieden. Es konzentriert sich in Princeton alles auf die Lehre. Die Wiener Struktur hat hingegen einen doppelt so hohen Personalanteil für die Administration wie für die Lehre. Wir versuchen, das zu ändern.

Wie gut sind Ihre Kontakte zur Wiener Szene?

Seraji: Genauso wie zu der in Paris. Ich bin jemand, der sich von der öffentlichen Szenerie ziemlich fern hält. Das heißt nicht, dass ich schüchtern bin. Sie wissen, wie leidenschaftlich ich mich für etwas einsetzen kann. Aber ich möchte keine öffentliche Person sein. Das kann ich nur dann, wenn ich Position beziehen muss für etwas, das entweder für meine eigene Arbeit wichtig ist oder für meine Lehre. Ich bin aber niemand, der gern auf Partys geht und brauche daher andere, die für meine Publicity sorgen.

Im Gegensatz zu den meisten Ihrer Kollegen, die von der Konstruktion des Raumes sprechen, lautet ein immer wiederkehrendes Thema in Ihrer Arbeit „Constructing the Void“. Was meinen Sie damit?

Seraji: Das war der Titel meiner ersten Ausstellung in Wien und ist ein Thema, das mich seit langem fesselt. Ich unterscheide zwischen dem Konstruieren der Leere und dem Konstruieren des Raumes. „Raum“ hat eine sehr spezifische Bedeutung für Architekten und eine Menge anderer Bedeutungen für die Allgemeinheit. Die Leere hingegen ist ein Nichts, etwas, das nicht existiert, etwas Ephemeres. Wenn ich ein architektonisches Projekt beginne, fange ich mit nichts an. Wir haben nur eine Reihe abstrakter Rahmenbedingungen eines Programms, auf dessen Basis wir mögliche Lösungen entwickeln, Position beziehen und Antworten auf die Probleme unseres Bauherrn finden müssen. Ganz langsam nimmt - durch all die Dinge, die man hinzufügt - die Leere die Form von Raum an. Unter dem Konstruieren von Raum stellt man sich im Gegensatz dazu einen Block vor, aus dem man etwas herausmeißelt.

Sie realisieren nun Ihr erstes Projekt in Wien, einen Wohnbau in der Linzer Straße. Wie gehen Sie dort mit der Leere um?

Seraji: Diese Idee der Konstruktion der Leere existiert in allen meinen Projekten. In manchen tritt sie stärker in Erscheinung, und beim Projekt Linzer Straße gibt es eine wahre Symphonie der Leere, die hier in mehreren Formen auftritt. Hier gibt es sie zum Beispiel als extra Raum, den wir anbieten können. Das ist sehr wichtig für mich, weil diese Extras, also das, was über die reinen Bedürfnisse hinausgeht, in der Architektur immer enthalten sein müssen. Als wir im Vorjahr mit der Arbeit an dem Projekt begonnen haben, stellte ich die Frage: „Was bedeutet Luxus im Wohnbau?“ Alle stimmten dafür, dass Luxus in der Architektur „Raum“ ist. Nicht in Quadratmetern gemessen, sondern so, dass eine 75-Quadratmeter-Wohnung dem Bewohner das Gefühl gibt, 120 Quadratmeter zur Verfügung zu haben. Dann stellt sich die Frage, wie man so etwas umsetzen kann - womit man wieder bei „Constructing the Void“ wäre.

Ist Ihnen die Poesie in der Architektur ein Anliegen?

Seraji: Kommt drauf an, in welcher Form. Für mich und meine Architektur ist es wichtig, dass sie auch zu den Benutzern spricht. Der Dialog zwischen Gebäude, Bauherr und Architekt ist eine sehr private Angelegenheit in der Realisierungsphase. Später muss ein Haus diesen Dialog mit der Öffentlichkeit fortsetzen können. Dazu braucht es eine bestimmte Sprache. Irgendwie muss ein Gebäude singen können. Aber hoffentlich nicht zu laut.


[Die Langfassung dieses Interviews erschien in der September-Ausgabe des Fachmagazins „architektur“]

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