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City of Future?
Neue Zürcher Zeitung

Architektonische und städtebauliche Projekte für Columbus

Columbus, die Hauptstadt von Ohio, sucht nach einer neuen Identität. Spektakuläre Architektur soll internationale Aufmerksamkeit garantieren. Kern des städtebaulichen Erneuerungsprogramms bildet das jüngst eingeweihte Wissenschaftsmuseum COSI, das Arata Isozaki entwarf.

7. März 2000 - Hubertus Adam
Das neue Center of Science and Industry, kurz COSI genannt, sei nicht nur eine landmark für Columbus, sondern darüber hinaus ein Modell für eine wissenschaftliche und öffentliche Institution schlechthin, konstatierten die Betreiber nicht ohne Stolz, als Anfang November der Neubau des Technikmuseums eröffnet wurde. Dass sich mit dem 125-Millionen-Dollar-Projekt auch von seiten der Stadt hohe Erwartungen verbinden, brachte Bürgermeister Gregory S. Lashutka zum Ausdruck, indem er vom COSI als dem «centerpiece of our city» sprach: «This institution helps build our future.»

Die Hauptstadt von Ohio leidet unter der Tatsache, dass sie imagemässig nicht mit Cleveland oder Cincinnati, den beiden grossen Zentren des Staates, konkurrieren kann. Als Verwaltungsmetropole und Sitz verschiedener Universitäten gilt Columbus als mittelmässige Stadt im mittleren Westen. Dabei blieb sie von den negativen Folgen des Strukturwandels in den amerikanischen Agglomerationen weitgehend verschont; «Newsweek» zählte Columbus zu den Top ten der lebenswerten US-Städte. Doch mit landschaftlicher Schönheit oder grandioser Lage wie das nicht allzu ferne Pittsburgh kann die Kapitale am Scioto River ebensowenig prunken wie mit einer eindrucksvollen Stadtkulisse. Dort, wo an der Flussbiegung ein Nachbau der «Santa Maria» an den Namensgeber der Stadt erinnert, markieren einige neoklassizistische Gebäude und die dahinter aufragende Phalanx weitgehend belangloser Hochhäuser der letzten zwei Dekaden den Kern von downtown Columbus.

Architektur als Standortfaktor
Architekturliebhaber kennen die Stadt am Scioto vor allem wegen Peter Eisenmans 1989 eröffnetem Wexner Center for the Visual Arts, das sich etwa 15 Autominuten nördlich der Innenstadt auf dem Areal der Ohio State University befindet. Nach einer Reihe von avantgardistischen Einfamilienhäusern konnte der New Yorker Architekt, sieht man von dem verändert ausgeführten Wohnblock für die Internationale Bauausstellung Berlin ab, hier seinen ersten öffentlichen Bau realisieren. In der gerüstartig das Grundstück durchmessenden, perspektivisch verzerrten Gitterstruktur lässt Eisenman eines seiner favorisierten Motive anklingen: die Überlagerung heterogener Grundrisssysteme. Stadt- und Campusraster schneiden sich im Museumskomplex. Daneben integrierte der Architekt zwei vorhandene Altbauten und liess in Form von Backsteintürmen Elemente eines Ende der fünfziger Jahre abgerissenen Arsenals zeichenhaft wiedererstehen. Gerade dieser ironische historische Bezug verdeutlicht, dass sich der Dekonstruktivismus durchaus evolutionär aus den Trümmern der Postmoderne entwickelte. Auch wenn die Ausstellungssäle nicht einfach zu bespielen sind, zählt das Wexner Center zu den bedeutendsten Bauten seiner Zeit.

Eisenman gelangte kurz nach der Fertigstellung des Museums zu einem Folgeauftrag: dem Greater Columbus Convention Center, das an der Strasse liegt, die von der Universität in die Stadt führt. Auf drei Seiten von einem Geflecht aufgeständerter Highways umzingelt, stösst das Messezentrum im Westen an die von niedrigen, kleinteiligen Backsteinbauten geprägte High Street. Indem Eisenman das gewaltige Volumen in eine leicht ondulierende Reihe parallel angeordneter Streifen gliederte - der Architekt verweist als Inspirationen auf Gleise ebenso wie auf die Bänder der Highways und ein Bündel von Glasfaserkabeln - und die Anlieferung auf die Ostseite verlagerte, gelang es ihm, den mächtigen Komplex stadtverträglich zu integrieren. Das Convention Center ist inzwischen so erfolgreich, dass in den kommenden Jahren für 73 Millionen Dollar ein Erweiterungsbau errichtet wird.

Diese Messeerweiterung ist nur Teil eines ambitionierten urbanistischen und ökonomischen Programms, durch das sich Columbus zu einer «City of future» entwickeln soll. Dazu zählt der auf 20 Jahre angelegte Masterplan für die Restrukturierung der vernachlässigten Scioto-Ufer, ein Hochhauskomplex mit dem Namen «Miranova», ein Shopping-Center am Rande der Innenstadt sowie ein neues Stadion als Nukleus für ein städtebauliches Entwicklungsgebiet. Im Rahmen dieser Projekte kommt dem COSI eine zentrale Funktion zu; es ist Brennpunkt und Auftakt dieser Vorhaben zugleich. Das 1964 gegründete «Dynamic center of hands-on science, learning and fun» hat sich von einem populären Wissenschaftsmuseum zu einer international operierenden Institution gewandelt. COSI produziert Wanderausstellungen wie «Mission to Mars» oder «Square Wheels», organisiert mobile Bildungsprojekte und verkauft sie an andere Institutionen - etwa nach Hongkong und Mexiko.

Indem das von der früheren Astronautin Kathryn Sullivan geleitete COSI den Neubau Arata Isozaki anvertraute, votierte man bewusst für ein attraktives architektonisches Markenzeichen. In den USA hatte der japanische Architekt sich schon mehrmals mit dem Thema Museumsbau beschäftigt, so beim Los Angeles Museum of Contemporary Art, dem Guggenheim Soho und der Erweiterung des Brooklyn Museum. Bei dem 300 Meter langen Baukörper, den er direkt gegenüber dem Stadtzentrum am Westufer des Scioto placierte, knüpfte der Architekt formal indes eher an sein «Haus des Menschen» in La Coruña oder sein Convention Center in Nara an. Die charakteristische Ellipsenform wird hier allerdings ins Gigantische gesteigert. Eine endlose Abfolge 19 Meter hoher und 3 Meter breiter hellgrauer Betongusselemente bildet den gegen Westen gerichteten Panzer des Ausstellungskomplexes. Nähert man sich von hier aus der Innenstadt, wirkt das Ensemble wie ein vorgeschobenes Bollwerk, eine eindrucksvolle Wissenschaftszitadelle, hinter der die Hochhäuser des Zentrums aufragen.

Vergangenheit und Zukunft
Der Standort des neuen COSI ist historisches Terrain, auch wenn davon nach dem Hochwasser von 1913 nichts mehr zu merken ist: Franklintown, die einstige Ansiedlung an dieser Stelle, entstand 1797 als Stützpunkt für die westwärts ziehenden Siedler, noch bevor man 1812 entschied, die Hauptstadt des Staates Ohio am gegenüberliegenden Flussufer zu gründen. Der Weg der Pioniere wurde für Isozaki zur Metapher für sein neues Museum: «Sie blickten Richtung Osten, auf ihre Vergangenheit, und Richtung Westen, auf die Zukunft. Daher schien mir, dieses Gebäude müsste eine Seite haben, die von Tradition, Vergangenheit, Erinnerung spricht, und eine Seite der Innovation, der Hoffnung, der Zukunft.» Dieser Gedanke erklärt, warum das COSI sich von der Stadt abwendet und nach Westen orientiert. Ein zylindrischer Eingangsbau ist auf dieser Seite mittig in die monumentale Schildmauer eingelassen. Von hier aus gelangt man über den 25 Meter hohen Würfel des Atriums und einen den Baukörper in nordsüdlicher Richtung durchmessenden Erschliessungsgang in die Ausstellungsbereiche, zum IMAX-Kino oder über Brücken in den U-förmigen Bau einer Highschool von 1924, in dem nun Restaurant (mit Blick über den Fluss auf die City) und Verwaltung untergebracht sind. Schaut man vom Ufer auf das Museum, zeigt es sich weniger rigide, fast fragmentarisch: hinter dem renovierten Schulbau rhythmisieren die mit farbigen Blechen verkleideten Treppentürme die Rückfront; die Ellipse aus Beton ist auf dieser Seite unterbrochen.

COSI ist kein herkömmliches Wissenschaftsmuseum. Die einzelnen Disziplinen werden zu sieben «learning worlds» verdichtet. So nimmt einen «adventure» mit zu einer archäologischen Grabung, während «progress» eine Zeitreise simuliert. Daneben gilt das Interesse digitalen Medien, der «world of gadgets» und dem Weltraum. Interaktivität ist hier alles, und für das Museumskonzept kreierte man auch gleich das passende Wort: «edutainment».

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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