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Die Architektur übt den Widerstand
Neue Zürcher Zeitung

Zum 70. Geburtstag von Aurelio Galfetti

1. April 2006 - Hubertus Adam
Sie wurde zum Fanal der neuen Tessiner Architektur: die Villa Rotalinti, ein Sichtbetonhaus, das Aurelio Galfetti in den Jahren 1960/61 als junger Absolvent der ETH Zürich am Hang oberhalb von Bellinzona errichtete. Das orthogonale Volumen dieses Bauwerks, das durch Öffnungen und Durchbrüche sein Inneres offenbart und wie ausgehöhlt erscheint, war einerseits eine Auseinandersetzung mit den plastischen Entwurfsprinzipien Le Corbusiers, die dem angehenden Architekten durch seinen Zürcher Lehrer Paul Waltenspühl vermittelt worden waren. Andererseits ist es ein frühes Beispiel für eine Architektur des Widerstands im Tessin - also für den Versuch, den die Hänge überziehenden Luxusvillen und Pseudo-Rustici architektonische Qualität entgegenzusetzen. Kurz darauf begannen auch andere Architekten, das Bauen im südlichsten Kanton der Schweiz zu erneuern: die etwas älteren Kollegen Tita Carloni, Luigi Snozzi und Livio Vacchini, dann auch der jüngere Mario Botta. Gemeinsam mit Ivo Trümpy und Flora Ruchat realisierte Galfetti 1967-1970 das überzeugend in die Umgebung eingefügte Freibad in Bellinzona, dessen einzelne Teile von einer brückenartigen, das Tal des Ticino überspannenden Passerelle erschlossen werden.

An die Öffentlichkeit traten die aufbegehrenden Tessiner 1970 mit einem Gemeinschaftsentwurf für die ETH Lausanne. Die legendäre Tendenza-Ausstellung von 1975 in Zürich trug ungewollt dazu bei, den Eindruck zu verstärken, es habe sich eine Gruppe etabliert. Tatsächlich verfolgten die Architekten durchaus unterschiedliche Haltungen. Galfettis Inspirationsquelle ist die klassische Moderne - was sich auch in einem seiner jüngsten Projekte zeigt, der mit ihren mächtigen Stahlträgern an Mies van der Rohe erinnernden Aula Magna der neuen Universität Lugano. (Deren Masterplan entwickelte Galfetti 1998 gemeinsam mit Jachen Könz. Zugleich überzeugte er die Behörden, die einzelnen Bauprojekte jungen Tessiner Büros anzuvertrauen.) Zu Galfettis herausragenden Bauten der achtziger Jahre gehören drei Mehrfamilienhäuser sowie die Hauptpost in Bellinzona, doch das Projekt, das ihm die grösste Bekanntheit eintrug, ist der Umbau des dortigen Castelgrande. Zwischen 1981 und 1991 entstanden ein Erschliessungssystem sowie eine Reihe neu gestalteter Räume innerhalb der Festung. Dabei wahren Galfettis Betonstrukturen auf vorbildliche Weise die Balance zwischen Autonomie und Integration in den Bestand. Seit Beginn der neunziger Jahre hat sich der Architekt verstärkt mit raumplanerischen Projekten auseinander gesetzt; so ist er beispielsweise am Projekt der neuen Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) beteiligt. An diesem Sonntag nun kann Aurelio Galfetti in Lugano seinen siebzigsten Geburtstag feiern.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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