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Schaufenster des argentinischen Wirtschaftsbooms
Neue Zürcher Zeitung

Das neue Puerto-Madero-Viertel am Hafen von Buenos Aires

7. April 2006 - Roman Hollenstein
Seit je spiegelt sich der Reichtum Argentiniens in Buenos Aires' Stadtbild. Die Prachtstrassen, Parks und Monumente dieser europäischsten Metropole Südamerikas erinnern an Paris, Madrid und Barcelona. Hochhäuser wie in anderen Riesenstädten gab es in der City denn auch lange kaum - einmal abgesehen vom 120 Meter hohen Art-déco-Juwel des 1936 eingeweihten Kavanagh-Hochhauses. Zwischen diesem und den einstigen Hafenanlagen des Puerto Madero bildete sich dann zaghaft eine Skyline. Bereits 1968 wurde der 32-stöckige Turm der Unión Industrial Argentina errichtet, mit dem sich der 1944 in Montevideo geborene Rafael Viñoly früh einen Namen machte. Doch die eigentliche Wolkenkratzer-Phalanx, die nun wie ein Keil die City von der Hafenzone trennt, ist jünger. Hier finden sich mit dem Viertelzylinder des República-Turms (1996) und dem an ein Teppichmesser gemahnenden Boston-Turm (2000) zwei Arbeiten des in New Haven tätigen Argentiniers Cesar Pelli, aber auch das an einen Flaschenöffner aus Kristall erinnernde La-Nación-Hochhaus (2005) von Hellmuth Obata Kassabaum.

Von diesem amerikanischen Kommerzbüro stammt ausserdem das schnittig gekurvte, mit einer preisgekrönten Klimahaut versehene Malecón-Hochhaus, das sich seit Mitte 1999 am Südende des Puerto Madero erhebt. Dieser 1887 bis 1897 nach Plänen von Eduardo Madero realisierte Hafen mit den vier je gut 600 Meter langen Becken dämmerte - für die Frachtschifffahrt zu klein geworden - während Jahren vor sich hin. Im Zeichen der globalen Revitalisierung ausgedienter Hafengebiete wurde 1989 die Corporación Puerto Madero mit dem Ziel gegründet, die 16 langgestreckten Lagerhäuser am Westrand der Hafenbecken zu sanieren und in Universitäts-, Geschäfts- und Wohnbauten umzuwandeln. So entstand zwischen 1992 und 1999 ein stimmungsvolles Quartier mit trendigen Bars und Restaurants, das - nur einen Katzensprung vom Finanzdistrikt und von den an der Avenida Madero emporgeschossenen Hochhäusern entfernt - zur beliebten Flanierzone am Wasser wurde.

Für das über einen Quadratkilometer grosse Areal östlich der Hafenbecken, das sich bis zum Erholungsgebiet Costanera Sur mit seinen Gärten, Museen und Strandanlagen, seinen Lagunen und Naturschutzzonen ausdehnt, wurde im Juni 1991 ein städtebaulicher Ideenwettbewerb ausgeschrieben. Die drei erstplacierten Büros formierten sich um den Architekten Borthagary zu einem Team, das schliesslich einen überzeugenden Masterplan vorlegte - bestehend aus zwei Parkanlagen sowie einem freien Strassenraster, das mit drei die Hafenbecken querenden Brücken und einem Fussgängersteg eng an die Innenstadt gebunden ist. Die niedrigen Bauten entlang der Hafenbecken und die parkseitig bis zu 170 Meter hohen Türme, die auf Le Corbusiers Vision von 1929 für diesen Ort verweisen, sollten insgesamt rund zwei Millionen Quadratmeter Büro- und eine Million Quadratmeter Wohnfläche offerieren. Obwohl man aufgrund der manisch-depressiven Wirtschaftsentwicklung lange an der Verwirklichung dieses ehrgeizigen Projekts gezweifelt hatte, konnten die ersten Bauten noch während der Wirtschaftskrise um das Jahr 2000 vollendet werden: 12 vier- bis neunstöckige Bürobauten an der Cossettini- sowie 8 neunstöckige Wohnblocks an der Manso-Strasse, aber auch Wahrzeichen wie Calatravas Puente de la Mujer mit der drehbaren Haifischflosse oder das Hilton- Hotel von Mario Alvarez, dem wohl erfolgreichsten Architekten der Stadt.

Weitere Entwürfe lagen in den Schubladen bereit, so dass seit Beginn der gegenwärtigen Boomphase im Jahr 2003 die Häuser wie Pilze aus dem Boden schiessen, darunter mehrere nahezu 50-stöckige Wohntürme am Parque Mujeres Argentinas. Deren luxuriöse Wohnungen sind nicht nur bei der oberen Mittelschicht gefragt, die aus den bewachten Vorstadtsiedlungen wieder ins sicher gewordene Zentrum zurückkehrt, sondern auch bei Ausländern. Der florierende Tourismussektor profitiert zudem von neuen Hotels wie jenem, das jüngst von Philippe Starck in der einstigen Porteño-Mühle eingerichtet wurde.

Diesem Schaufenster des neusten argentinischen Wirtschaftswunders, in welchem Ende 2006 bereits 14 000 Menschen wohnen und rund 70 000 arbeiten dürften, fehlt nur noch ein kulturelles Zentrum von nationaler Ausstrahlung. Das 2002 von Rafael Viñoly geplante Fortabat-Museum für argentinische Kunst - eine industriell anmutende Bauform mit tonnenförmig aufgespanntem Glasdach - könnte diesem Anspruch genügen. Doch will der direkt am Jachthafen gelegene Neubau, mit welchem die einst mächtige Zementbaronin Amalia Fortabat dem Ende 2001 vom Unternehmer Eduardo Costantini im Nobelviertel Palermo eröffneten Museum für lateinamerikanische Kunst von Atelman Fourcade Tapia die Stirn zu bieten sucht, nicht fertig werden. Umso rasanter wächst dafür Pellis Torre Repsol über einem aus zwei verschränkten Dreiecken bestehenden Grundriss in den Himmel. Der 160 Meter hohe Bürobau mit dem sich zwischen dem 26. und dem 31. Stock zur Stadt hin öffnenden Wintergarten soll als «ökologisches Wahrzeichen» schon in zwei Jahren weithin sichtbar vom gelungenen Hafenumbau künden, der einer geschickten Mischung aus Baukunst, Investorenarchitektur und historischem Ambiente zu verdanken ist.

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